In diesem Monat stand einer der größten und aufmerksamkeitsträchtigsten Börsengänge der letzten Jahre an: Der chinesische E-Commerce-Riese Alibaba ging an die New York Stock Exchange. Während der vergangenen fünfzehn Jahre hat sich das Unternehmen aus Hangzhou zum größten Online-Händler der Welt entwickelt – größer als Amazon. Der Börsengang ist nun der nächste Schritt auf dieser Reise. [...]
Westlichen Einzelhändlern erscheint Alibaba, zumindest auf den ersten Blick, wie ein Geschenk Gottes. Die E-Commerce-Plattform bietet eine zuverlässige und subjektiv wie objektiv sichere Möglichkeit, einen Fuß auf den Boden dieses riesigen und rasant wachsenden Verbrauchermarktes zu bekommen und die eigenen Produkte dort zu verkaufen. Immerhin könnten Analystenmeinungen zufolge innerhalb der nächsten zehn Jahre bis zu 500 Millionen Chinesen in die weltweite Mittelschicht aufsteigen. Laut dem Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG nutzen in China schon jetzt mehr Verbraucher als irgendwo sonst in der Welt die Möglichkeit des Online-Shoppings.
Der E-Commerce in China unterscheidet sich jedoch in einigen wesentlichen Punkten von anderen Märkten. So ziehen chinesische Verbraucher es üblicherweise vor, die Ware nicht im Voraus sondern erst bei oder nach Erhalt zu bezahlen, wodurch die Abrechnung und Abwicklung einer Bestellung komplexer werden. Auch die chinesische Schrift umfasst, selbst in der vereinfachten Form, eine immense Anzahl an Zeichen, deren Integration in eine Internetplattform eine echte Herausforderung darstellt. Das ist auch der Grund dafür, weshalb viele Einzelhändler meinen, es führe kein Weg vorbei an Alibaba und seiner vorgefertigten Komplettlösung, die die Eigenheiten des chinesischen Marktes bereits berücksichtigt.
Trotz dieser klaren Vorteile birgt Alibaba für Online-Händler, die in China ihren Bekanntheitsgrad steigern und sich ein Stück vom Kuchen sichern möchten, auch einige Risiken. Das gilt besonders für Firmen mit einer internationalen Markenpräsenz und starker Corporate Identity.
Wenn sich beispielsweise ein Unternehmen dafür entscheidet, auf Tmall, Alibabas beliebter B2C-Plattform, einen Online-Shop zu eröffnen, verfügt es nur über begrenzte Möglichkeiten, Design und Funktionen des Shops entsprechend den eigenen Wünschen zu verändern. Online-Händler, die zur Umsatzsteigerung auf eine starke Markenidentität setzen – vor allem in der Mode-, Luxus-, Lebensmittel- und Getränkeindustrie – klagen häufig darüber, dass Alibaba die Optionen einschränkt, ihren Kunden ein ebenso einfallsreiches, begeisterndes Online-Erlebnis zu bieten wie eine gute Firmen-Webseite.
Die Wachstumsraten des mobilen Shoppings – über Smartphone, Tablet oder Phablet – verschärfen das Thema noch. China ist der weltgrößte Smartphone-Markt, und die chinesischen Verbraucher haben 2013 mehr als 27 Mrd. US-Dollar für Mobilfunkgeräte ausgegeben. Wenn ein Händler auf Tmall setzt, macht er Alibaba zu einer Zwischenstation in seiner Beziehung zu den eigenen Mobilfunkkunden. Er verliert dadurch die Kontrolle über wesentliche Kundendaten, seine sorgsam aufgebaute Markenerfahrung und die Möglichkeit, den Bestellprozess des Kunden direkt zu leiten und zu beeinflussen.
Das Wachstum von Multichannel-Shopping hat die Zahl der Omnichannel Commerce-Lösungen explodieren lassen. Diese Plattformen bieten den Kunden einen nahtlosen Übergang zwischen Verkaufskanälen wie Mobilfunkgeräten, Ladengeschäften, Webseiten, Social Media und Contact Centers und sorgen dafür, dass das Auftreten des Einzelhändlers hinsichtlich Preisen, Optik, Funktionalität und Inhalt einheitlich und angemessen ist. Deshalb sind führende Markenanbieter in China dann am besten gefahren, wenn sie neben der starken Präsenz von Alibaba ihre „eigene“ Omnichannel-Strategie verfolgt und umgesetzt haben.
Auch das Produkt- und Lagermanagement ist ein wichtiger Faktor jeder guten Omnichannel Commerce-Strategie. So ist es für Einzelhändler mit Webseiten in verschiedenen Sprachen und Märkten außerordentlich nützlich, wenn sie eine Produktinformation nur einmal aktualisieren müssen und diese Änderung sofort überall und auf allen Kanälen angezeigt wird.
Manche Plattformen – wie hybris – bieten die Möglichkeit einer Integration mit Alibaba, so dass die Daten zu Status und Lagerbestand automatisch und in Echtzeit im Frontend des Tmall-Shops synchronisiert und aktualisiert werden.
Alibaba ist für die Verkaufsstrategie jedes westlichen Online-Händlers, der in China aktiv sein will, von zentraler Bedeutung, um die chinesischen Verbraucher zu erreichen und das eigene Wachstum zu steigern. Die Händler sollten jedoch vorsichtig sein und nicht alles auf die Karte Alibaba setzen. Eine Omnichannel Commerce-Strategie, die dabei hilft, eine Reihe von „eigenen“ Vertriebskanälen in der Region zu verwalten – wie Internet, Mobilfunkgeräte, Contact Center, Social Media und sogar Tmall – ist eine weit bessere Alternative, die es dem Einzelhändler erlaubt, eine sinnvolle Kundenbeziehung und Markenidentität aufzubauen.
* Stefan Schmidt ist Vice President of Product Strategy bei hybris.
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