Theoretisch steckt großes Potenzial in dem langsam aus seinem jahrelangen Dornröschen-Schlaf erwachenden VR-Markt. Doch in der Praxis sind noch einige Hürden zu überwinden. [...]
Die neue VR-Welle rollt an. Mit Systemen wie Oculus Rift, beziehungsweise dem auf derselben Technologie aufbauenden Samsung GearVR, und dem mit Spannung erwarteten HTC Vive – sowie auch der Augmented-Reality-Brille Hololens von Microsoft – sind bereits nach dem heutigen Stand der Technik ausgereifte Produkte erhältlich oder für die nahe Zukunft angekündigt. Außerdem gibt es mit der Lo-Fi-Variante Google Cardboard noch eine Möglichkeit für schmalere Geldbeutel, in die virtuelle Realität abzutauchen. Prinzipiell sieht es also gut aus für die Unternehmen, mit der Flucht vor der echten Realität Geld zu verdienen. Doch wie so oft steht sich die IT-Industrie wieder einmal selbst im Weg.
Warum? Weil sich der ohnehin noch kleine Markt zu einer starken Segmentierung hin entwickelt. Oculus-Hardware (bzw. Samsungs GearVR) funktioniert nur mit Oculus-Apps, HTC kocht mit Vive und seinem Partner Valve sicher auch seine eigenes Süppchen, Hololens hat sich ohnehin seine eigene Sparte geschaffen. Selbst die „fertigen“ Brillen sind nur eingeschränkt erhältlich und alles andere als kostengünstig, daher auch wenig verbreitet. Das Angebot an Apps und Anwendungen ist noch überschaubar, da natürlich auch die Nachfrage derzeit noch enden wollend ist und es sich schlicht und ergreifend nicht lohnt, Software dafür zu produzieren. Das alte Henne-und-Ei-Problem, das nur eine Standardisierung zu lösen vermag.
Was jetzt fehlt ist ein großer Player, der mit leistbarer aber guter Hardware und einem attraktiven Angebot an Software den Weg ebnet, damit sich der Markt entwickeln kann. Dafür kommen nur wenige Unternehmen in Frage. Die beste Ausgangssituation hat eigentlich Google: Mit Cardboard hat man einen Quasi-Standard geschaffen, der in den Köpfen der (an dem Thema interessierten) Konsumenten und Entwickler bereits verankert ist. Brächte man jetzt eine günstige Brille auf den Markt, die vielleicht ein paar Qualitätsstufen über den derzeit erhältlichen „Pappendeckel-Varianten“ steht, hätte das Produkt gute Chancen, am Markt zu reüssieren und die „kritische Masse“ an Usern und Apps zu erzeugen. Wenn der Konzern dann auch beim Android-Prinzip bleibt, das es jedem Anbieter erlaubt selbst Produkte nach diesem Modell herzustellen und anzubieten, könnte es mit dem „Geschäftsmodell VR“ doch noch klappen.
Apple hat zum Thema VR zwar noch nichts Handfestes aus eigener Mache zu bieten, aber theoretisch durch die große Zahl seiner Fans ebenfalls das Potenzial der Technologie zum Durchbruch zu verhelfen. Es wäre dann zwar wahrscheinlich wieder ein abgeschlossenes Ökosystem, doch es würde andere Anbieter auf den Plan rufen und das Interesse der Konsumenten wecken – wie es bereits bei MP3-Player, Smartphone oder Tablet zu beobachten war.
Theoretisch hätte auch Sony mit seinem Project Morpheus eine gute Chance, da Konsolen-Spieler eine der potentesten Zielgruppen für VR-Technologie darstellen. Doch man hat schon lange nichts Neues mehr vom „Gott der Träume“ gehört.
Man darf also gespannt sein, ob der VR-Markt es in diesem Anlauf schafft, erwachsen zu werden, oder ob er wieder in seinem Dornröschen-Schlaf versinkt, wie es vor rund 20 Jahren schon einmal der Fall war. Die Sterne stehen diesmal eigentlich nicht schlecht, mit der virtuellen Welt reales Geld zu verdienen. (rnf)
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