Kein Unternehmen muss die Belegschaft mit Program-mierkursen quälen – zumindest dann nicht, wenn es Low-Code- und No-Code-Plattformen einsetzt. [...]
Mit den cleveren Tools avancieren auch technisch weniger versierte Mitarbeiter zu Anwendungsentwicklern. Die IT-Abteilung freut sich über mehr Zeit für wertschöpfendere Aufgaben, Unternehmen können den Fachkräftemangel ausgleichen. Projekte wie Online-Shops, Webseiten oder Blogs benötigen kein technisches Know-how mehr. Für schnelle Ergebnisse reicht es, den richtigen Baukasten im Netz auszuwählen. Low-Code-Plattformen übertragen dieses Prinzip auf die Anwen-dungsentwicklung. Mit Grundlagenwissen ausgestattet, können Angestellte auf diese Weise Businesslogiken, Prozesse und Da-tenmodelle in Anwendungen verpacken und diese mit Benutzer-oberflächen ausstatten.
Statt in hochkomplexen Entwicklungs-umgebungen wie Eclipse oder Visual Studio Code „programmie-ren“ sie als sogenannte Citizen Developer ihre Apps per Drag-and-Drop-Funktion in einer grafischen Benutzeroberfläche mit eingebetteten Editoren für direktes Eingreifen im Quelltext. No-Code-Plattformen gehen noch einen Schritt weiter. Mit ihnen er-stellen Mitarbeiter Hilfsprogramme, ohne auch nur einen Wert oder eine Variable manuell im Code anpassen zu müssen. Lo-gisch, dass sie mit den rein grafischen Editoren bis dato keine komplexen Programme schreiben können. Doch ChatGPT und andere KI-Anwendungen stoßen bereits die Tore für interessan-te neue Lösungen auf.
Low-Code-Tools sind also die bessere Wahl, wenn die ge-wünschten Anwendungen komplexere Funktionen abdecken sollen. Sie eignen sich zum Beispiel auch, um Anwendungen zu schreiben, die Daten mit Drittsystemen im Unternehmen tau-schen oder über APIs mit anderen Services kommunizieren. Da Citizen Developer allerdings mit Low-Code-Plattformen zwar Anwendungen erstellen, deren Management aber nicht selbst übernehmen können, bleibt die IT-Abteilung in solchen Szenari-en involviert. No-Code-Szenarien brauchen diese Art der Inten-sivbetreuung durch Fachpersonal allerdings nicht.
Low-Code-Plattformen: Kapazitäten und Grenzen
Low-Code-Plattformen erfreuen sich großer Beliebtheit, die aller Voraussicht nach noch steigen wird. Grund dafür ist ihr großer Funktionsumfang und die größere Flexibilität im Vergleich zu No-Code-Plattformen. Doch auch bei der Wahl der verschiedenen Low-Code-Lösungen sollten Unternehmen nicht blindlings zum erstbesten Angebot greifen, sondern gut überlegen, was genau sie mit einer solchen Plattform vorhaben. Tun sie das nicht, müssen Entwickler sie gegebenenfalls nachträglich mit neuen Funktionskomponenten ausstatten oder um bestimmte Schnitt-stellen erweitern. Diese zusätzliche Arbeit können sie sich mit ausreichender Planung und Recherche ersparen.
Um Prozesse, Businesslogik und Datenmodelle flexibel anzu-passen, enthalten gute Low-Code-Plattformen einfach zu bedie-nende Editoren. Überhaupt ist die Bedienbarkeit ein zentraler Punkt, den Unternehmen bei ihrer Wahl immer im Hinterkopf be-halten sollten: Am Ende des Tages sollen Low-Code-Tools kom-plexe Programmieraufgaben abstrahieren und nicht durch eben-so komplizierte Abläufe ersetzen. Dennoch muss eine leistungs-starke Plattform auch eine Scripting-Engine enthalten, damit Nutzer im Zweifel die Möglichkeit haben, individuell notwendige Anforderungen auch direkt zu programmieren. Ein Set aus Standard-APIs sowie ausgereifte Mechanismen für das Deployment sollte das Tool der Wahl ebenfalls enthalten. Sie er-möglichen den Datenaustausch mit Drittsystemen beziehungs-weise die Implementierung von Systemanpassungen in die Pro-duktivumgebung. Nicht zuletzt sollte die Plattform auch ein Cloud- und On-Premises-Nutzungskonzept unterstützen, um die verschiedenen infrastrukturellen Anforderungen der Anwen-der abzudecken.
Beispiel: Einen Reklamationsprozess gestalten
Workflows zu definieren oder bereits modellierte Prozesse zu optimieren, ohne den Quellcode zu schreiben, ist das Alleinstel-lungsmerkmal von Low-Code-Plattformen. Nutzer können sich ganz auf die zu implementierenden Funktionen konzentrieren, die Plattform setzt aus den verschiedenen Bauteilen „unter der Haube“ den dafür nötigen Code zusammen.
Wie genau das aussieht, lässt sich anhand eines Beispiels nachvollziehen. Der Workflow für eine Gutschrift bei einer Re-klamation besteht aus verschiedenen Schritten: Nach der Da-tenprüfung folgt die Vorbereitung der Gutschrift, woraufhin der jeweilige Sachbearbeiter sie an einen Vorgesetzten zur Geneh-migung schicken muss. Auch der Genehmigungsprozess ist ein eigener Workflow, an dessen Ende die Gutschrift veranlasst wird. All diese Schritte in einer Anwendung für den Reklamati-onsprozess abzubilden wäre in Code sehr kompliziert, in einer Low-Code-Plattform sind Programmierkenntnisse hingegen völ-lig unnötig. Sämtliche Einstellungen, Änderungen oder Pro-zessoptimierungen erfolgen über intuitiv bedienbare grafische Modellierungswerkzeuge, während die Ergebnisse im Web-Client sofort sichtbar werden. Dort können Sachbearbeiter sich dann in der fertigen Anwendung durch den Genehmigungspro-zess klicken.
Low-Code-Plattformen werden eine immer größere Rolle spie-len, wie einige der führenden Marktforschungsinstitute vorher-sagen. Die intuitiven Tools demokratisieren die Anwendungsent-wicklung und machen aus IT-affinen und geschulten Mitarbeitern Citizen Developers, die mehr Verantwortung für Workflows und dazugehörige Apps übernehmen. Diese Entwicklung ist für Un-ternehmen vorteilhaft, denn oft wissen die Fachabteilungen bes-ser, welche Prozesse optimierungsbedürftig sind und wie genau sie aussehen müssen. Low-Code-Plattformen geben ihnen die nötigen Bausteine, um sie selbst anzupassen und eliminieren kostenintensive Kommunikationsschleifen mit den IT-Experten.
*Der Autor Kai Hinke ist Leiter Consol CM Software bei Consol.
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