Tokenisierung verändert die Finanzwelt – und katapultiert die IT-Branche ins Zentrum einer neuen Ära programmierbarer Finanzen. [...]
8,4 Milliarden US-Dollar – das ist der Gesamtwert jener Assets, die Alibaba-Gründer Jack Ma im September 2025 auf seine Blockchain-Plattform AntChain übertragen ließ. Sie setzen sich aus erneuerbaren Energieanlagen in China zusammen, die institutionellen Investoren den Zugang zu Cashflows aus der Stromerzeugung ermöglichen. Token-Halter könnten Cashflows für die Stromgenerierung erhalten – aber auch Echtzeitinformationen über die den aktuellen Betrieb von 15 Millionen energierelevanten Geräten ablesen. Das Prinzip, Assets wie Energieanlagen per Blockchain handelbar zu machen ist nicht neu – wohl aber zeigt das aktuelle Volumen des Projekts auf der AntChain, mit welchem Enthusiasmus die Technologie in wachstumsorientierten Märkten wie Asien heute genutzt wird. Das liegt sicherlich auch an der gewachsenen Reife und Akzeptanz, die der Tokenisierungsbranche mittlerweile zukommt.
Entwicklung in Europa: Alternative zu klassischen Finanzierungen
Das gilt auch für Europa, wo die Blockchain mittlerweile als Infrastrukturebene für Projekte mit vorerst kleinerem Volumen, aber ebenso realem Nutzen dient. Ein Beispiel ist die Expansion des Lagerdienstleisters BoxDepo, die nun durch eine auf der Blockchain gestartete Anleihe auf eine bereits in Betrieb befindliche Lagerhalle finanziert wird. Während vergleichbare Projekte traditionell über Unternehmensanleihen, private Finanzierungsrunden oder auch Fonds abgewickelt werden, erlaubt der Token-Mantel hier neue Spielräume für Investoren wie für das Unternehmen selbst.
Ein wesentlicher Vorteil ist die Fraktionalisierung: Statt in einen großen Immobilienfonds mit breiter Streuung zu investieren, können Anleger ganz konkret Anteile an einem bestimmten Objekt erwerben – im Extremfall auf den sprichwörtlichen Quadratmeter genau. Das macht die Bindung an das Projekt greifbarer und eröffnet kleineren Anlegern den Zugang zu Investments, die sonst institutionellen Kreisen vorbehalten wären.
Noch entscheidender ist jedoch die Handelbarkeit. Während viele Immobilienfonds oder Anleihen nur eingeschränkt oder für feste Laufzeiten verfügbar sind, können tokenisierte Anteile im Prinzip jederzeit auf Sekundärmärkten gehandelt werden. Damit entfällt die lange Kapitalbindung, die bei klassischen Vehikeln oft ein Hemmschuh ist.
Auch gegenüber Crowdinvestments bietet die Technologie Vorteile: Dort werden häufig Nachrangdarlehen vergeben, die nur einen fixen Zinssatz abwerfen und im Insolvenzfall nachrangig behandelt werden. Tokenisierte Immobilienprojekte können dagegen mit echtem Eigenkapital arbeiten – die Investoren partizipieren direkt an der Wertsteigerung des Objekts. So wie bei einem Berliner Immobilienprojekt, bei dem rund zwei Dutzend Investoren Genussrechte zeichneten und mit dem Verkauf der Wohnungen an den realisierten Gewinnen beteiligt wurden. Für Unternehmen bedeutet diese Form der Finanzierung Eigenkapital für die Expansion, ohne die Fesseln klassischer Banken- oder Fondsstrukturen. Anlegern verschafft sie einen unmittelbaren Zugang zu Cashflows und Wertsteigerungen.
„Programmierbare Finanzen“ und die IT-Branche
Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, geht damit auch ein bereits angestoßener Paradigmenwechsel der Finanzwelt einher, in der der IT-Branche noch größere Bedeutung zukommt: Technologien wie die Blockchain oder DLT (distributed ledger technology) werden zunehmend gefragt und müssen in bestehende Finanzinfrastrukturen eingebettet werden. Ein herausragendes Beispiel ist der 2024 aufgelegte BlackRock USD Institutional Digital Liquidity Fund (BUIDL), ein tokenisierter Money-Market-Fond des gleichnamigen Vermögensverwalters, der auf mehreren Blockchains wie Ethereum, Polygon und Solana operiert – und bereits über 2 Milliarden Dollar schwer ist. IT-Expertise ist hier maßgeblich: Sie entwickelt Smart Contracts für automatisierte Fondsanteilsverkäufe, stellt Interoperabilität zwischen verschiedenen Blockchains sicher und implementiert sogenannte Layer-2-Lösungen (d.h. Erweiterungen zur Leistungssteigerung abseits der Haupt-Blockchain) für skalierbare Echtzeit-Transaktionen.
Das WEF untersuchte in einem aktuellen Bericht die Änderungen, die mit der Verbreitung von Asset-Tokenisierung einhergehen könnten, und stellte fest: Neben dem Wandel der Aufgaben bestehender Akteure der Finanzbranche, darunter etwa Intermediären (vgl. S. 42 des Berichts), werden auch die Fähigkeiten „neuer Intermediäre“ erforderlich sein – darunter Teilnehmer von „neuen Marktstrukturen“ und „Digital-Native Service Provider“ im IT-Sektor. Diese umfassen unter anderem Token Asset Issuers und Developer, die DLT-Plattformen entwickeln und warten, Digital Asset Custodians, die Cybersecurity-Kenntnisse für die Verwaltung kryptografischer Schlüssel einsetzen und Interoperability Provider, die Daten und Transaktionen zwischen programmierbaren Ledgers (z.B. Ethereum für BUIDL) und traditionellen Finanzsystemen synchronisieren (vgl. S. 46). Damit wird die IT-Branche zum Rückgrat der Tokenisierung.
*Der Autor Alexander Rapatz CEO von Black Manta Capital Partners.

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