Mensch-Roboter-Kollaboration im Contact Center

Immer mehr Unternehmen aus verschiedensten Branchen nutzen Technologien wie Chatbots für ihr Contact Center. Dort können sie mithilfe künstlicher Intelligenz in koordinierter Zusammenarbeit mit den menschlichen Kollegen oder auch eigenständig Serviceanfragen schnell und zuverlässig entgegennehmen und beantworten. [...]

Jürgen Haas ist Senior-Projektleiter und Sprachportalexperte bei IP Dynamics. (c) IP Dynamics
Jürgen Haas ist Senior-Projektleiter und Sprachportalexperte bei IP Dynamics. (c) IP Dynamics

Bereits jeder vierte Bürger kann sich die Nutzung eines Chatbots vorstellen, so die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom. Darüber hinaus sind Alexa, Cortana und Siri bereits heute häufig genutzte Sprachbots, die uns den Alltag erleichtern. Ebenso sind Sprachbots in der Unternehmenskommunikation auf dem Vormarsch. „Wenn Sie X möchten, drücken Sie Y“ – der Neandertaler unter den Sprachbots ist zwar noch nicht ausgestorben, aber Sprachbots der neuesten Generation haben sich über mehrere Evolutionsstufen zu ihrem heutigen Leistungsstand weiterentwickelt.

Mittlerweile sind Sprachbots komplexe Softwareanwendungen, die mehrere Komponenten vereinen, um ein natürliches, zielführendes Gespräch zu ermöglichen. Die Kette der Technologie beginnt heute nahezu stets mit der Anbindung an ein Contact Center, welches die Anrufe sowie die Mitarbeiter und Sprachbots zur Beantwortung der Anrufe steuert. Contact Center sind dabei nicht nur in der Lage, Telefonate und deren Bearbeitung zu managen, sondern sämtliche Kontaktkanäle.

Virtuelle Helfer mit künstlicher Intelligenz

Künstliche Intelligenz zeichnet sich als einer der Megatrends für die kommenden Jahre ab. Nach Schätzung von Gartner werden vor allem Investitionen in künstliche Intelligenz bis 2021 neue Geschäftsmodelle im Wert von 2,9 Billionen US-Dollar sowie 6,2 Milliarden Stunden an Arbeitsproduktivität generieren. Auch bei modernen Sprachbots wird auf Basis von künstlicher Intelligenz während des gesamten Kundengesprächs geplant und ausgewertet, wie sich der Sprachbot verhalten soll.

Dabei werden komplexe Schnittstellen zu den Backoffice-Anwendungen geschaffen, um den Anrufer beispielsweise zu identifizieren oder den Status einer Bestellung zu ermitteln. Diese Komponente auf Basis von künstlicher Intelligenz wird gemeinhin als Dialogmanagement bezeichnet. Darüber hinaus finden mittlerweile auch Ansätze mit maschinellen Lernen wie Deep Learning Anwendung. Die Sprachausgabe erfolgt entweder als das Abspielen aufgezeichneter Ansagen oder durch Sprachsynthese (Text-To-Speech), welche üblicherweise für variable Inhalte eingesetzt wird. So können auch Besonderheiten in der Aussprache oder Betonungen und Phrasierungen über Sonderbefehle gesteuert werden.

Vertikale Automatisierung: Voice-Self-Service rund um die Uhr

Grundsätzlich unterscheidet man beim Einsatz von Sprachbots im telefonischen Kundenkontakt zwischen horizontaler und vertikaler Automatisierung. Bei der vertikalen Automatisierung liegt der Fokus auf Geschäftsprozessen, die komplett über den Sprachbot abgebildet sind, um Kunden einen Voice-Self-Service zu ermöglichen. Dafür bieten sich häufig genutzte Prozesse mit hohem Standardisierungsgrad an, z.B. Auskünfte zum Kontostand oder die Anforderung von Versicherungsbescheinigungen.

Dabei führt der Sprachbot verschiedenste Prüfungen auf Plausibilität und Gültigkeit durch, die unter Umständen eine Sonderbehandlung auslösen oder weitere Prozesse anstoßen, z.B. den Versand von Unterlagen wie im Fall der Versicherungsbescheinigung. Solche fallabschließend erbrachten Voice-Self-Services ermöglichen einen Rund-um-die-Uhr-Service für Kunden, nehmen Anruflast von den menschlichen Kollegen und setzen Zeit für anspruchsvollere Aufgaben wie beratungsintensive und wertschöpfende Telefonate frei.

Horizontale Automatisierung: Mehr Gesprächszeit für komplexe Anliegen

Die horizontale Automatisierung eignet sich für Abschnitte der Kundenkommunikation, die sehr häufig in verschiedenen Prozessen gebraucht werden. Branchenübergreifend gibt es drei Klassiker: Anliegen-Ermittlung, Identifikation und Legitimation. Diese Bausteine können je nach Wunsch verknüpft werden, so kann der Sprachbot z.B. zuerst das Anliegen abfragen, um ihn fallabhängig zu identifizieren und zu legitimieren oder direkt an einen Mitarbeiter zu vermitteln. Die Abfrage der Kundenummer und das zugehörige Anliegen, etwa der Fall „Reklamation“, wäre eine automatisierte horizontale Vorselektion.

Wichtig ist, dass die ermittelten und geprüften Informationen an den menschlichen Kollegen weitergegeben werden. Im Idealfall öffnet sich beim Mitarbeiter gleich die richtige Bearbeitungsmaske mit den passenden Kundendaten. Im oben beschriebenen Fall die richtige Kundenkartei mit den passenden Formularen für eine Reklamation, aber beispielsweise auch hinterlegte Gesprächsleitfäden.

Ein einfaches Rechenbeispiel zeigt, wie die durchschnittliche Gesprächszeit der Agenten durch horizontale Automatisierung gesenkt werden kann. Bei 5.000 Telefonanrufen am Tag und 45 Sekunden Gesprächsanteil für Identifikation und Legitimation im Mensch-Mensch-Gespräch sowie einer Erfolgsquote von 80 % einer automatischen Identifikation und Legitimation, nimmt ein Sprachbot seinen menschlichen Kollegen 5.000 x 0,8 x 45 Sekunden = 180.000 Sekunden = 50 Stunden Gesprächszeit pro Tag ab. Diese Zeit kann auf die Abwicklung komplexerer Aufgaben verwendet werden. Warteschleifen schrumpfen.

Horizontale und vertikale Automatisierung lassen sich natürlich auch verknüpfen: über die horizontale Automatisierung ermittelt der Sprachbot Anrufer und Anliegen und übergibt in einem komplizierten Fall an einen menschlichen Kollegen, wie im Fall der beschriebenen Reklamation. Bei einfachen Aufgaben übernimmt er selbst fallabschließend, beispielsweise wenn der Kunde nur eine Rechnung neu anfordert. So funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Sprachbot und den menschlichen Kollegen reibungslos und beide können ihre Stärken voll zum Nutzen für Kunden und Unternehmen zum Einsatz bringen.

*Jürgen Haas ist Senior-Projektleiter und Sprachportalexperte bei IP Dynamics.


Mehr Artikel

Gregor Schmid, Projektcenterleiter bei Kumavision, über die Digitalisierung im Mittelstand und die Chancen durch Künstliche Intelligenz. (c) timeline/Rudi Handl
Interview

„Die Zukunft ist modular, flexibel und KI-gestützt“

Im Gespräch mit der ITWELT.at verdeutlicht Gregor Schmid, Projektcenterleiter bei Kumavision, wie sehr sich die Anforderungen an ERP-Systeme und die digitale Transformation in den letzten Jahren verändert haben und verweist dabei auf den Trend zu modularen Lösungen, die Bedeutung der Cloud und die Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Unternehmenspraxis. […]

News

Richtlinien für sichere KI-Entwicklung

Die „Guidelines for Secure Development and Deployment of AI Systems“ von Kaspersky behandeln zentrale Aspekte der Entwicklung, Bereitstellung und des Betriebs von KI-Systemen, einschließlich Design, bewährter Sicherheitspraktiken und Integration, ohne sich auf die Entwicklung grundlegender Modelle zu fokussieren. […]

News

Datensilos blockieren Abwehrkräfte von generativer KI

Damit KI eine Rolle in der Cyberabwehr spielen kann, ist sie auf leicht zugängliche Echtzeitdaten angewiesen. Das heißt, die zunehmende Leistungsfähigkeit von GenAI kann nur dann wirksam werden, wenn die KI Zugriff auf einwandfreie, validierte, standardisierte und vor allem hochverfügbare Daten in allen Anwendungen und Systemen sowie für alle Nutzer hat. Dies setzt allerdings voraus, dass Unternehmen in der Lage sind, ihre Datensilos aufzulösen. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*