Trumps beschleunigter Protektionismus ist Europas digitale Stunde der Wahrheit

Trumps wirtschaftspolitische Maßnahmen sind ein Weckruf für die digitale Souveränität Europas: Zölle auf europäische Schlüsselindustrien, verschärfte Einfuhrbedingungen und gezielte industriepolitische Eingriffe verdeutlichen, wie verletzlich die EU auch im digitalen Bereich ist. [...]

Martin Hager ist Gründer und CEO von Retarus. (c) Retarus

Die wirtschaftspolitischen Spannungen zwischen den USA und Europa rücken ein lange verdrängtes Thema in den Fokus der IT-Branche: die Abhängigkeit von US-Plattformen und -Services. Wenn zentrale Infrastrukturen, Kommunikationsdienste oder Datenverarbeitung in der Hand von Anbietern liegen, die der Rechtsprechung einer zunehmend erratischen US-Politik unterliegen, entsteht ein ernst zu nehmendes strukturelles Risiko für europäische Unternehmen.

Spätestens jetzt zeigt sich, dass digitale Souveränität kein politisches Buzzword, sondern eine operative Notwendigkeit ist. Es geht um die Kontrolle über kritische Systeme, Ausfallsicherheit, Revisionssicherheit – und darum, wie belastbar die eigene digitale Architektur in einem volatilen Umfeld tatsächlich ist.

Gerade im Enterprise-Umfeld ist jetzt eine strategische Neubewertung nötig: Welche Bestandteile der IT-Landschaft sind austauschbar, welche sind kritisch? Welche Prozesse lassen sich ohne funktionierende API-Anbindung oder Cloudverfügbarkeit absichern? Und wie lassen sich europäische Alternativen so integrieren, dass sie Compliance, Performance und langfristige Skalierbarkeit garantieren?

Bequemlichkeit rächt sich

Über Jahre hinweg war es bequem, mit wenigen großen IT-Anbietern zusammenzuarbeiten – doch diese Bequemlichkeit rächt sich. Für ein solides Risikomanagement braucht es mehr Diversität in der Providerlandschaft. Nur so lässt sich verhindern, dass Unternehmen in eine strukturelle Erpressbarkeit geraten, sei es politisch, regulatorisch oder finanziell. Gleichzeitig gilt: Balance ist entscheidend. Wer auf zu viele kleinteilige Lösungen setzt, riskiert operative Komplexität. Der bessere Weg führt über mittelgroße, europäische Dienstleister, die Spezialisierung mit Flexibilität verbinden. „Buy local“ gilt auch für die IT.

Anbieter dafür gibt es. Europa hat im Bereich Messaging, Infrastruktur-Services und Plattformintegration leistungsfähige Lösungen aufzuweisen. Obwohl auf EU-Ebene bereits diskutiert wird, Cloud- und Sicherheitsdienste künftig gezielt und ausschließlich bei europäischen Anbietern zu beziehen, werden sie nach wie vor noch viel zu selten als ernsthafte Option in Entscheidungen zur IT-Architektur einbezogen. Das muss sich ändern – nicht aus Prinzip, sondern aus technischer und wirtschaftlicher Vernunft. Digitale Resilienz entsteht durch konsequente Architekturentscheidungen. Wer Wahlfreiheit will, muss seine Abhängigkeiten kennen – und sie aktiv reduzieren. Das bedeutet nicht Abschottung, sondern echte Souveränität.

* Martin Hager ist Gründer und CEO von Retarus.


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