Vom Fortbewegungsmittel zur digitalen Plattform: Warum Autobauer ganzheitlich denken müssen

Die Automobilindustrie befindet sich inmitten einer tiefgreifenden Transformation. Die größten Herausforderungen entstehen nicht nur durch die Umstellung auf Elektromobilität. Die Integration digitaler Technologien erfordert, dass sich Fahrzeughersteller ganzheitlicher aufstellen. In seinem Kommentar ist Jack Weast von Intel überzeugt, dass es nicht mehr reicht, die Hardware eines Autos zu optimieren. Die Zukunft liegt in der intelligenten Verzahnung von Software, Daten und Elektronik. [...]

Jack Weast, Intel Fellow, Vice President und General Manager bei Intel Automotive (c) Intel
Jack Weast, Intel Fellow, Vice President und General Manager bei Intel Automotive (c) Intel

Mehr als 100 Jahre lang war die Automobilindustrie auf mechanische und hardwarebasierte Innovationen fokussiert. Das ändert sich gerade grundlegend. Software wird zur treibenden Kraft hinter neuen Funktionen und Services. Fahrzeuge sind längst keine reinen Transportmittel mehr – sie werden zu komplexen digitalen Plattformen. Diese Entwicklung bringt jedoch auch neue Herausforderungen mit sich. Die traditionellen Ansätze bei der Fahrzeugarchitektur, stoßen an ihre Grenzen. Elektrofahrzeuge erfordern weitaus mehr Software- und Elektroniklösungen als Verbrenner. Und der Trend zu vernetzten, softwarebasierten Funktionen bringt immer neue Anforderungen an die Rechenkapazität mit sich. 

Dabei geraten OEMs zunehmend in Wettbewerb mit Technologiekonzernen, die mit ihren datenbasierten Geschäftsmodellen auf den Automarkt drängen. Diese Unternehmen haben den Vorteil, dass sie in der digitalen Welt verwurzelt sind und innovative Lösungen schneller auf den Markt bringen können. Wie können traditionelle Automobilhersteller mithalten? 

Nur indem sie die Fahrzeugentwicklung komplett neu denken! Wenn die Architektur von Autos immer komplexer wird, reicht es nicht mehr aus, einzelne Komponenten besser und effizienter zu machen. Stattdessen braucht es einen ganzheitlichen, systembasierten Ansatz.  

Zentrale Rechenplattform wird Kernstück des Autos

Dabei steht das gesamte Fahrzeug als einheitliches System im Mittelpunkt, aufgebaut in erster Linie auf Software und Mikrochips. Statt Dutzender voneinander isolierter Steuereinheiten (ECUs) wird eine zentrale, leistungsfähige Rechenplattform zum Kernstück des Autos. Sie steuert nicht nur einzelne Funktionen, sondern ermöglicht die nahtlose Integration und Interaktion sämtlicher Systeme im Fahrzeug.

Je mehr Teilaspekte OEMs als Elemente eines zentralisierten Systems mitdenken – etwa ein intelligentes und skalierbares Energiemanagement auf allen Ebenen, eine zukunftsfähige Innenraum-Technik, der Einsatz von künstlicher Intelligenz oder die Optimierung von Workloads –, desto präziser können sie die Fahrzeugarchitektur beeinflussen. Verbesserungen in verschiedenen Bereichen lassen sich dann wechselseitig aufeinander abstimmen und die positiven Effekte multiplizieren sich. Das schafft die Voraussetzungen, um neue Fahrerlebnisse für immer anspruchsvollere Kunden zu schaffen – und gleichzeitig die Fahrzeuge effizienter, rentabler und nachhaltiger zu machen. 

Nicht umsonst setzt dieser Ansatz auf Anleihen aus der IT-Branche. Die Energieeffizienz von Computern machte erst durch ein zentralisiertes Energiemanagement in den 1990er Jahren einen entscheidenden Schritt nach vorne. Fahrzeugentwickler, die selbst immer mehr IT-Expertise benötigen, können diese Erfahrungen nutzen und auf die eigene Branche übertragen.  

Wichtige Nachricht für Autohersteller: Der ganzheitliche Ansatz bringt erhebliche Kosteneinsparungen mit sich. 

Zentraler Hebel ist die Konsolidierung der ECUs auf einer gemeinsamen Plattform. Weniger Hardware bedeutet geringere Herstellungskosten und eine vereinfachte Wartung. Konsolidiert werden auch die einzelnen Workloads. Durch die nahtlose Verlagerung von Arbeitslasten zwischen einem zentralen Rechensystem und zonalen Subsystemen lässt sich die Rechenleistung im Fahrzeug optimieren. Das wirkt sich direkt auf die Effizienz aus – sei es in Bezug auf die Energienutzung oder die Performanz neuer Funktionen wie Infotainment, Sicherheitssysteme oder sogar autonomes Fahren. 

Der Software-basierte Ansatz macht es Autobauern möglich, viel flexibler auf Marktveränderungen und Kundenwünsche einzugehen. Sie können die Innovationszyklen verkürzen und die Fahrzeuge vernetzen und intelligent gestalten.

Hersteller sind nicht länger darauf angewiesen, neue Funktionen ausschließlich im Produktionsprozess zu integrieren. Stattdessen können diese in Form von Software-Updates, ähnlich wie bei Smartphones, drahtlos und nachträglich in die Fahrzeuge eingespielt werden. Über ihre gesamte Lebensdauer hinweg lassen sich Autos so mit neuen Funktionalitäten und Services erweitern. Auch die Integration neuer Technologien in bestehende Fahrzeugmodelle wird erleichtert. Bei Veränderungen sind keine teuren und aufwendigen Hardware-Anpassungen nötig. So lässt sich die Entwicklungszeit für neue Modelle drastisch verkürzen. Was früher Jahre dauerte, kann nun innerhalb von Monaten realisiert werden.

Personalisiertes Fahrerlebnis und erhöhte Sicherheit

Anhand von Daten wird das Fahrerlebnis personalisiert, die Sicherheit erhöht und Energie gespart. Außerdem lässt sich künstliche Intelligenz (KI) leichter implementieren. 

KI-Algorithmen können zum Beispiel dabei helfen, Echtzeit-Entscheidungen auf der Straße zu treffen, indem sie Fahrdaten analysiert und potenzielle Gefahren frühzeitig erkennen. Ob Spurhaltung, Bremsmanöver oder die Analyse von Verkehrszeichen – KI unterstützt das Fahrzeug dabei, sicher und in Zukunft auch autonom zu fahren. 

Gleichzeitig optimiert KI den Energieverbrauch, indem das Fahrzeug dynamisch auf äußere Einflüsse wie Verkehr und Wetterbedingungen reagiert. In Kombination mit einem leistungsfähigen Datenmanagement können OEMs mit KI nicht nur ihre Fahrzeuge effizienter gestalten, sondern auch neue, datengetriebene Services anbieten, die den Nutzern einen echten Mehrwert bieten – vom smarten Chatbot bis hin zum personalisierten Infotainment-System.

Offene Plattformen und Standards sichern Innovation

Ein ganzheitlicher Ansatz bedeutet aber auch, die Entwicklungen im Fahrzeug nicht isoliert zu betrachten. Autos sind Teil eines großen Mobilitätsnetzwerks. Sie kommunizieren mit ihrer Umgebung, mit anderen Fahrzeugen und Verkehrsleitsystemen. Das kann nur dann erfolgreich realisiert werden, wenn Automobilhersteller und Technologieunternehmen Hand in Hand arbeiten. 

Dafür braucht es offene Standards und Partnerschaften innerhalb eines breiteren Ökosystems. Denn nur durch die Zusammenarbeit von Hardware- und Softwareanbietern, Automobilherstellern und Zulieferern kann das volle Potenzial dieser neuen Fahrzeugarchitektur ausgeschöpft werden.

Offene Plattformen und Standards sind auch ein entscheidender Faktor, um die Innovationskraft der Automobilbranche langfristig zu sichern. Sie ermöglichen eine schnellere und kostengünstigere Entwicklung und bieten die Flexibilität, Fahrzeuge kontinuierlich zu verbessern. Diese Offenheit sorgt dafür, dass Innovationen nicht in proprietären Systemen gefangen bleiben und veralten, sondern sich flexibel weiterentwickeln lassen. 

Ganzheitlich denken wird zum Erfolgsfaktor. Die Automobilindustrie steht an einem Scheideweg. Ein zentralisierter Ansatz, der die enge Verzahnung von Software, Hardware und Daten in den Mittelpunkt stellt, ist der Schlüssel, um den Wandel erfolgreich zu gestalten.So können OEMs die wachsenden Anforderungen an Vernetzung, Effizienz und Personalisierung erfüllen und gleichzeitig wettbewerbsfähig bleiben. 

*Jack Weast ist Intel Fellow, Vice President und General Manager bei Intel Automotive.


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