„Wallet-Pflicht“: Grund zur Sorge oder Chance?

Um die eIDAS 2.0 -Verordnung vollumfänglich umsetzen zu können, müssen die EU-Mitgliedstaaten ihren Bürger:innen bis 2026 flächendeckend digitale Wallets bereitstellen können. Um diese auch privat sicher nutzen zu können, sollen Unternehmen verschiedener Branchen bis 2027 zusätzlich Schnittstellen zu den European Digital Identity (EUDI) Wallets anbieten. [...]

Basierend auf der eIDAS-2.0-Verordnung der EU müssen alle Mitgliedsstaaten bis Ende 2026 digitale Wallets für ihre Bürger:innen bereitstellen. Dadurch soll Identifizierung im digitalen Raum gestärkt werden und die Sicherheit verbessert werden. (c) stock.adobe.com/Tonton54

Unternehmen aus verschiedenen Branchen müssen bis spätestens Ende 2027 eine Schnittstelle zu den European Digital Identity (EUDI) Wallets der EU anbieten. Bringt das nur noch mehr Bürokratie aus Brüssel oder können Unternehmen davon sogar profitieren? Christian Gericke, Geschäftsführer von d.velop mobile services und Vorstand des Arbeitskreises Vertrauensdienstes im Branchenverband Bitkom, analysiert das Business-Potenzial der digitalen Brieftaschen.  

Basierend auf der eIDAS-2.0-Verordnung der EU müssen alle Mitgliedsstaaten bis Ende 2026 digitale Wallets für ihre Bürger:innen bereitstellen. Dadurch soll Identifizierung im digitalen Raum gestärkt werden und die Sicherheit verbessert werden. Nicht zuletzt sollen so auch neue Chancen für die Digitalwirtschaft entstehen. Doch dazu gehört auch, dass Bürger:innen die digitalen Brieftaschen sinnvoll im Alltag einsetzen können – etwa zur Verifikation bei Online-Diensten von Behörden oder im Gesundheitswesen. Um dies zu gewährleisten, sieht die EU eine Pflicht zur Akzeptanz – genauer zur Schaffung von Schnittstellen vor. Zu den betroffenen Branchen, die EUDI-Wallets als Identifikations- und Authentifizierungsmittel akzeptieren müssen, gehören:  

  • Banken und Finanzdienstleister 
  • Versicherer  
  • Gesundheitswesen 
  • Anbieter von Digitallösungen für den öffentlichen Dienst  
  • Mobilitätsdienstleister  
  • Energie- und Wasserversorger  
  • Bildung 
  • Elektronische Kommunikationsdienste  

Finanz- und Versicherungswesen 

Gerade in regulierten Branchen wie Finanzdienstleistungen und Versicherungen wird das EUDI-Wallet den Umgang mit Identitäten transformieren. KYC-Prozesse (Know Your Customer), Compliance mit dem Geldwäschegesetz und elektronische Signaturen werden zusehends automatisiert, vereinfacht und rechtssicher gestaltet. Die Akzeptanzpflicht greift hier auch offline, sofern elektronische Prüfgeräte wie NFC oder QR-Scanner vorhanden sind. Die separate Frist zur Umsetzung endet hierfür 2028, danach drohen bei Nichteinhaltung Sanktionen. Konkret bedeutet das: Es ist keine Sichtprüfung mehr zulässig, stattdessen wird die Validierung über staatlich verifizierte, elektronische Systeme gefordert.  

Gesundheitswesen 

Auch im Gesundheitsbereich eröffnen Wallets neue Möglichkeiten – etwa bei der sicheren Authentifizierung von Patienten:innen und medizinischem Personal, der Integration in Krankenhausinformationssysteme und der Nutzung für Rezepte oder digitale Versicherungsnachweise. Das EUDI-Wallet könnte hier zum zentralen Bindeglied zwischen Identität, Attributnachweisen und medizinischen Daten werden. Für Patienten:innen hätte dies den Vorteil, alle Informationen in einer App gebündelt zu haben.  

Verwaltung 

Wallets sollen zur digitalen Identifikation für alle (Online-)Bürgerdienste werden, ähnlich wie heute der physische Personalausweis im analogen Raum. Aus diesem Grund entwickelt d.velop aktuell einen qualifizierten elektronischen Zustelldienst mit dem Ziel, Wallet-fähig zu sein. Dadurch können Bürger:innen künftig nahtlos, sicher und effizient mit Verwaltungsportalen interagieren – ohne Medienbrüche und Identitätsmissbrauch. Die Kommunikation mit Behörden könnte zu einem wichtigen Hebel für die Marktdurchdringung der Wallets werden, schließlich besteht eine hohe Alltagsrelevanz. Die Geschichte der Digitalisierung hat gezeigt, dass sich neue Consumer-Technologien nur dann durchsetzen, wenn sie für viele Menschen im Alltag praktischen Nutzen bieten. Projekte, die diese Relevanz nicht erreichen konnten, sind dagegen oft im Sand verlaufen.  

Bildung 

Im Bildungsbereich sollen digitale Zeugnisse und Zertifikate künftig als verifizierbare digitale Nachweise (verifiable credentials) in Wallets abgelegt werden können. Dies vereinfacht nicht nur Bewerbungs- und Immatrikulationsprozesse, sondern steigert auch die Sicherheit und Effizienz im Umgang mit Bildungsnachweisen. 

E-Commerce 

Im Onlinehandel können Wallets zur Altersverifikation, Adressverifizierung oder für digitale Vertragsabschlüsse genutzt werden. Insbesondere im Kampf gegen Fake-Bestellungen oder betrügerische Nutzerprofile ist der Einsatz verifizierter Identitäten ein großer Vorteil. Das stärkt das Vertrauen in Plattformen und reduziert den Aufwand für manuelle Prüfprozesse. 

Unternehmens-Wallets 

Neben der digitalen Brieftasche für natürliche Personen soll es auch eine Variante für juristische Personen geben. Dadurch soll im B2B- oder B2G-Geschäft die Identifikation von Unternehmen ermöglicht werden. Anwendungsfälle reichen von Lieferkettennachweisen über elektronische Rechnungsprozesse bis hin zur Verwaltung digitaler Siegel. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten der Compliance-Prüfung und Prozessautomatisierung. 

Vom Compliance-Projekt zur demokratischen Infrastruktur 

Die EUDI-Wallet ist kein Brüsseler Technokratie-Projekt. Sie ist das Rückgrat eines selbstbestimmten digitalen Europas. Wer sie nur als Schnittstelle sieht, verkennt ihre Macht: Sie ermöglicht uns, digitale Souveränität im Alltag zu leben – beim Arzt, im Onlineshop, im Amt.   

Die Fristen 2027/2028 sind nicht das Ende. Sie sind der Startschuss für ein digitales Europa, das sich nicht fremdbestimmen lässt. Nutzen wir sie.

* Christian Gericke ist Geschäftsführer von d.velop mobile services und Vorstand des Arbeitskreises Vertrauensdienstes im Branchenverband Bitkom.


Mehr Artikel

News

Produktionsplanung 2026: Worauf es ankommt

Resilienz gilt als das neue Patentrezept, um aktuelle und kommende Krisen nicht nur zu meistern, sondern sogar gestärkt daraus hervorzugehen. Doch Investitionen in die Krisenprävention können zu Lasten der Effizienz gehen. Ein Dilemma, das sich in den Griff bekommen lässt. […]

Maximilian Schirmer (rechts) übergibt zu Jahresende die Geschäftsführung von tarife.at an Michael Kreil. (c) tarife.at
News

tarife.at ab 2026 mit neuer Geschäftsführung

Beim österreichischen Vergleichsportal tarife.at kommt es mit Jahresbeginn zu einem planmäßigen Führungswechsel. Michael Kreil übernimmt mit 1. Jänner 2026 die Geschäftsführung. Maximilian Schirmer, der das Unternehmen gegründet hat, scheidet per 14. April 2026 aus der Gesellschaft aus. […]

News

Warum Unternehmen ihren Technologie-Stack und ihre Datenarchitektur überdenken sollten

Seit Jahren sehen sich Unternehmen mit einem grundlegenden Datenproblem konfrontiert: Systeme, die alltägliche Anwendungen ausführen (OLTP), und Analysesysteme, die Erkenntnisse liefern (OLAP). Diese Trennung entstand aufgrund traditioneller Beschränkungen der Infrastruktur, prägte aber auch die Arbeitsweise von Unternehmen.  Sie führte zu doppelt gepflegten Daten, isolierten Teams und langsameren Entscheidungsprozessen. […]

News

Windows 11 im Außendienst: Plattform für stabile Prozesse

Das Betriebssystem Windows 11 bildet im technischen Außendienst die zentrale Arbeitsumgebung für Service, Wartung und Inspektionen. Es verbindet robuste Geräte, klare Abläufe und schnelle Entscheidungswege mit einer einheitlichen Basis für Anwendungen. Sicherheitsfunktionen, Updates und Unternehmensrichtlinien greifen konsistent und schaffen eine vertrauenswürdige Plattform, auf der sowohl Management als auch Nutzer im Feld arbeiten können. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*