Der technologische Fortschritt der letzten Jahre hat eine neue Ära der Cyberbedrohungen eingeläutet. Generative KI wurde schneller in kriminelle Strukturen integriert als jede Technologie zuvor. Ein exklusiver Gastbeitrag von Thomas Kress. [...]
Angreifer nutzen sie zur Automatisierung, zur Tarnung und für psychologisch perfekt getimte Attacken. Gleichzeitig bietet KI auch enorme Chancen für die Defensive: automatisierte Detektion, Anomalieerkennung und intelligente Reaktionsketten. Unternehmen stehen an einem entscheidenden Punkt. Sie müssen eine strategische Entscheidung treffen: Möchten sie zum Opfer werden oder wollen sie Vorreiter sein? Wer KI nicht gezielt einsetzt, spielt Angreifern in die Hände.
Wenn KI zur Schwachstelle wird: Angriffe auf Unternehmens-KI erkennen und abwehren
Künstliche Intelligenz hat sich in vielen Unternehmen längst etabliert, sei es zur Optimierung von Prozessen, für Kundeninteraktionen oder in der IT-Sicherheit. Doch je stärker Unternehmen KI-Systeme in ihre Geschäftsprozesse einbinden, desto attraktiver werden diese Systeme für Cyberkriminelle. Eine wachsende Bedrohung dabei sind sogenannte Poisoning Attacks. Das sind Angriffe, bei denen die Trainings- oder Eingabedaten einer KI manipuliert werden, um falsche oder schädliche Ergebnisse zu erzeugen. Solche Angriffe sind besonders perfide, da sie die eigentliche Grundlage der künstlichen Intelligenz angreifen: die Datenintegrität.
Wie Angreifer Unternehmens-KI ins Visier nehmen
Bei einem Poisoning-Angriff schleusen Angreifer gezielt manipulierte Daten in den Datenstrom ein, den eine KI für ihre Entscheidungsfindung nutzt. Das kann unbemerkt geschehen, etwa durch:
- Verfälschte Sensordaten in IoT-Umgebungen, um automatisierte Systeme zu täuschen.
- Manipulierte Kundeneingaben oder Chat-Interaktionen, um die KI in eine bestimmte Richtung zu lenken.
- Veränderungen in öffentlich genutzten Trainingsdatensätzen, die als Grundlage für Machine-Learning-Modelle dienen.
Die Folge ist verheerend: Das System trifft falsche Entscheidungen, priorisiert falsche Informationen oder gibt vertrauliche Daten preis. Die Auswirkungen in sicherheitskritischen Bereichen sind immens. Ein manipulierter Datenstrom kann im Produktionsbetrieb zu Fehlalarmen oder sogar zu einem bewusst herbeigeführten Produktionsstopp führen. Eine falsch trainierte KI könnte in der Finanzbranche Kreditanträge fälschlicherweise ablehnen oder in medizinischen Anwendungen falsche Diagnosen stellen. Der Schaden ist nicht nur finanziell, sondern kann auch Menschenleben gefährden.
Warum herkömmliche Sicherheitsmaßnahmen nicht ausreichen
Klassische IT-Sicherheitsmechanismen wie Firewalls oder Malware-Scanner sind auf bekannte Muster und Signaturen optimiert. Sie suchen nach spezifischen Codefragmenten oder verdächtigen Netzwerkpaketen. Poisoning Attacks hingegen wirken subtil, weil sie nicht auf dem Einschleusen von Schadcode basieren. Sie nutzen korrekte Datenstrukturen, die lediglich inhaltlich verfälscht wurden. Einmal ins System eingespeist, arbeiten sie langfristig und unsichtbar im Hintergrund. Herkömmliche Sicherheitssysteme sind blind für diese Art der Manipulation, da die Datenpakete an sich nicht als bösartig erkannt werden.
Die Angreifer zielen auf eine Schwachstelle ab, die technologisch schwer zu fassen ist: die Integrität der Daten, die das Fundament für die Entscheidungsfindung der KI bilden. Der Fokus muss sich daher von der reinen Bedrohungsabwehr am Perimeter hin zur Überwachung der Datenströme und der Modelle selbst verlagern.
Mit KI die eigene KI schützen: Der Wandel zur adaptiven Verteidigung
Um diesen neuartigen Angriffen zu begegnen, setzen führende Unternehmen auf KI-gestützte Sicherheitslösungen. Diese Systeme überwachen Datenströme in Echtzeit und sind in der Lage, ungewöhnliche Muster zu erkennen, auch wenn diese noch nie zuvor aufgetreten sind. Es ist ein Wettlauf zwischen der angreifenden und der verteidigenden KI, wobei letztere das Potenzial hat, die Oberhand zu gewinnen.
Solche Systeme analysieren kontinuierlich:
- Abweichungen in Datenverteilungen: Eine plötzlich veränderte Häufigkeit von bestimmten Werten oder eine Verschiebung der statistischen Merkmale eines Datenstroms kann ein Indikator für eine Poisoning Attack sein.
- Ungewöhnliche Eingabesequenzen oder Interaktionsmuster: Selbstlernende Sicherheitsmodelle können erkennen, wenn Benutzer oder Systeme Daten in einer Art und Weise eingeben, die von den historischen Mustern abweicht.
- Manipulationsindikatoren in Trainingsdaten: Durch den Vergleich von Trainingsdaten mit bekannten, als „sauber“ eingestuften Referenzdaten können Manipulationen frühzeitig erkannt werden.
Durch selbstlernende Abwehrmechanismen können verdächtige Datenpakete isoliert oder blockiert werden, bevor sie in die kritischen Modelle gelangen. Dies geschieht in Millisekunden, oft ohne dass die menschliche IT-Sicherheitsperson eingreifen muss. Diese Systeme lernen kontinuierlich dazu und passen sich an neue Bedrohungsvektoren an, was sie zu einem äußerst effektiven Werkzeug im Kampf gegen KI-gestützte Angriffe macht.
Praxisbeispiel: Adaptive Threat Detection in der Industrie
In der Praxis kombinieren Unternehmen verschiedene Strategien. Sie setzen auf Data-Loss-Prevention (DLP), um den Abfluss sensibler Daten zu verhindern, auf Zero-Trust-Architekturen, die keinen internen oder externen Akteur per se als vertrauenswürdig einstufen, und auf KI-gestützte Threat-Detection-Systeme.
Ein konkretes Beispiel findet sich in der Fertigungsindustrie. Hier überwachen KI-Systeme die Qualität von Produkten anhand von Sensordaten. Ein Poisoning-Angriff könnte nun manipulierte Sensordaten einschleusen, die das KI-Modell dazu bringen, fehlerhafte Produkte als einwandfrei zu deklarieren. Eine adaptive Threat Detection würde in diesem Fall die statistische Abweichung der Sensordaten erkennen, bevor sie in das Bewertungsmodell gelangen. Sie würde nicht nur Alarm schlagen, sondern auch die verdächtigen Daten isolieren und eine manuelle Überprüfung anstoßen. Die nahtlose Integration dieser intelligenten Abwehrmechanismen in bestehende Workflows ist entscheidend. Sie verhindern, dass der Betrieb ausgebremst wird, während die Sicherheit gewährleistet bleibt.
Fazit: KI-Schutz ist Chefsache und eine strategische Investition
Der Einsatz von KI bietet enorme Chancen, erfordert aber auch eine völlig neue Denkweise in Bezug auf Sicherheitsstrategien. Unternehmen, die ihre KI-Systeme nicht aktiv schützen, laufen Gefahr, dass diese zum Einfallstor für gezielte und schwer erkennbare Angriffe werden. Der Schaden, der durch einen erfolgreichen Poisoning-Angriff entstehen kann, übersteigt oft die Kosten für eine präventive Sicherheitsarchitektur.
Die gute Nachricht ist, dass die Abwehrkräfte genauso intelligent sein können wie die Angriffe. Mit der richtigen Kombination aus KI-gestützter Erkennung, kontinuierlicher Überwachung und strengen Datenintegritätsprüfungen lässt sich das Risiko deutlich reduzieren. Es geht darum, KI nicht nur als Produktivitätswerkzeug zu betrachten, sondern auch als einen kritischen, schützenswerten Vermögenswert. Unternehmen müssen jetzt handeln und in eine robuste, KI-gestützte Sicherheitsstrategie investieren. Nur so können sie das volle Potenzial der KI sicher ausschöpfen und aus dem Wettlauf zwischen Angreifern und Verteidigern als Vorreiter hervorgehen.
*Thomas Kress ist IT-Sicherheitsexperte und Inhaber der TKUC Group mit den Marken TKUC und TheUnified.

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