Nicht unbedingt, sagt Ismet Koyun, CEO und Gründer von KOBIL. Es gibt eine Lösung für die digitale Unabhängigkeit Europas. Und die muss heißen: eigene, digitale Ökosysteme – sicher und datenschutzkonform. Ein Kommentar. [...]
Der AWS-Ausfall hat sämtlichen Branchen schlaflose Nächte bereitet. Die finanziellen Schäden gehen in die Milliarden US-Dollar. Inzwischen hat Amazon einen Ursachenbericht veröffentlicht. Doch ungeachtet dessen, wie es genau dazu gekommen ist: Das wahre Problem liegt tiefer. Europa hat seine digitale Souveränität verloren. Laut dem Bitkom Cloud Report 2025 würden alleine in Deutschland 67 Prozent aller Unternehmen ohne Cloud-Dienste stillstehen. Wenn ein Zwischenfall in einem US-Rechenzentrum ausreicht, um europäische Unternehmen, Behörden und öffentliche Dienste lahmzulegen, ist das strukturelles Versagen. Wir haben unsere digitale Handlungsfähigkeit ausgelagert und damit unser wirtschaftliches und politisches Selbstbestimmungsrecht.
Europa im Abseits
Seit Jahren wächst die Abhängigkeit von wenigen globalen Anbietern, die unsere Cloud-, Kommunikations- und zunehmend auch KI-Infrastrukturen dominieren. Das führt zu gefährlichen Machtkonzentrationen und Monopolstellungen einzelner Unternehmen. Ein einziger technischer Fehler, ein Cyberangriff oder eine geopolitische Eskalation kann die Infrastrukturen kompromittieren und Europa damit ins digitale Abseits stürzen. Die Folgen wären katastrophal nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch die Sicherheit Europas.
Mit Sicherheit und Unabhängigkeit zurück ins Spiel
Sicherheit bedeutet Kontrolle. Und Kontrolle über Daten, Systeme und KI haben wir nur, wenn sie in europäischer Hand liegen. Wer kritische Infrastrukturen auf US-amerikanischen Clouds betreibt, überlässt die Verfügbarkeit seiner Dienste politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen außerhalb Europas.
Das bedeutet: Wir müssen nicht nur Daten, Rechenzentren oder KI-Systeme aus Europa vorantreiben und kontrollieren, sondern auch die Sicherheitsarchitektur, die sie schützt. Dazu zählen Zero-Trust-Modelle, End-to-End-Verschlüsselung, Multi-Faktor-Authentifizierung auf Identitätsebene sowie ein konsequentes Security-by-Design. Nur wenn diese Sicherheitsprinzipien in der DNA europäischer Systeme verankert sind, lässt sich verhindern, dass ein technischer Fehler zu einer Schwachstelle mit geopolitischer Tragweite wird.
Digitale Eigenständigkeit selbst gestalten
Viele europäische Unternehmen wollen digitale Souveränität mit US-amerikanischen Firmen umsetzen. Das ist ein Widerspruch in sich. Man kann keine Unabhängigkeit mit denselben Strukturen erreichen, die die Abhängigkeit geschaffen haben. Digitale Eigenständigkeit heißt: eigene Verschlüsselungsstandards, eigene Identitätssysteme, eigene Datenräume – betrieben in Europa, nach europäischem Recht.
Diese Systeme müssen transparent, überprüfbar und resilient sein. Das bedeutet, sie dürfen keine Blackboxes sein, sondern müssen sich durch unabhängige Audits und Zertifizierungen nachweislich absichern lassen – von der Hardware bis zur Software-Schicht. Wir brauchen Rechenzentren, Plattformen und KI-Systeme, die europäischem Recht, Datenschutz und Ethik folgen. Nur dann können wir kritische Infrastrukturen schützen, Vertrauen schaffen und echte Innovation ermöglichen. Digitale Eigenständigkeit ist eine Sicherheitsstrategie für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft.
Open Source: Transparenz, aber mit Grenzen
Eine Lösung ist sicherlich Open Source, denn offene Standards schaffen Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Vertrauen. Doch Offenheit allein reicht nicht. Open Source muss in einer sicheren europäischen Architektur verankert sein, sonst bleibt der Code zwar offen, die Kontrolle aber fremd. Wenn Open-Source-Komponenten von globalen Tech-Riesen integriert und weiterverarbeitet werden, entstehen neue Abhängigkeiten – diesmal auf Code- statt auf Plattformebene. Souveränität bedeutet deshalb nicht Offenheit um jeden Preis, sondern bewusste Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette der Technologie.
Was es aber übergreifend braucht, um digitale Sicherheit, Skalierbarkeit und Resilienz zu gewährleisten, sind eigene digitale Ökosysteme – aus Europa, für Europa.
Digital souverän durch eigene Ökosysteme – die Strategie, um zu gewinnen
Doch wie kann das gelingen? Damit digitale Ökosysteme wirklich souverän und sicher sind, müssen sie auf drei Säulen ruhen:
- Europäische Cloud-Infrastrukturen: Rechenzentren, die in Europa betrieben und nach europäischen Datenschutz- und Sicherheitsstandards reguliert werden. Dazu gehört eine redundante Architektur mit dezentralen Datenknoten, um Ausfälle oder Angriffe abzufedern.
- Eigene KI-Modelle und Trainingsdaten, entwickelt und kontrolliert in Europa, um den Zugang zu Wissen, Innovation und Wertschöpfung nicht von Dritten abhängig zu machen. Diese Modelle müssen durch vertrauenswürdige Rechenumgebungen (Trusted Execution Environments) abgesichert werden, damit sie manipulationssicher bleiben.
- Einheitliche Sicherheits- und Identitätsstandards, die es ermöglichen, Unternehmen, Verwaltungen und Bürger in einem gemeinsamen digitalen Raum sicher zu vernetzen. Ein Identity-first-Ansatz, der die Identität als Schlüssel für jede Transaktion nutzt, schützt Daten besser als jede Firewall.
Initiativen wie GAIA-X, das European Cybersecurity Competence Centre oder nationale Cloud-Programme sind lediglich erste Schritte. Es muss weitergehen mit einem verbindlichen Rahmen, der Cybersicherheit, Infrastrukturhoheit und Innovationsförderung gemeinsam denkt und finanziell absichert. Zudem braucht es tragfähige technologische Lösungen. Ein Beispiel dafür ist unsere SuperApp-Plattform. Ein hochsicheres, digitales Ökosystem, das auf starken Identitäts-, Verschlüsselungs- und Compliance-Standards basiert und alle digitalen Dienste unter einem einheitlichen Sicherheits- und Governance-Modell bündelt. Sie bietet Städten, Kommunen und Unternehmen die Möglichkeit, eigene, souveräne Infrastrukturen zu betreiben – mit durchgängiger Datenhoheit und überprüfbarer Sicherheit.
Das Ziel muss sein, eine souveräne, resiliente und vertrauenswürdige digitale Architektur zu schaffen, die global konkurrenzfähig ist – und im Krisenfall Bestand hat.
*Ismet Koyun ist CEO und Gründer der KOBIL Gruppe.

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