Krebstherapie wird zur Computerwissenschaft

Die Krebstherapie erlebt einen Paradigmenwechsel. Statt "Schrotschuss"-Chemotherapie soll in Zukunft die passgenaue, individualisierte Behandlung mit spezifisch wirkenden Medikamenten im Mittelpunkt stehen. [...]

Ohne aufwendige IT-Lösungen wird das nicht zu realisieren sein, erklärten die österreichischen Experten Hellmut Samonigg (MedUni Graz) und Ulrich Jäger (MedUni Wien im AKH) bei einem Hintergrundgespräch in Wien.

„Es geht eine neue Tür auf. (…) Wir werden Dinge anders machen als in den vergangenen 50 Jahren. Wir bekommen die Chance, Medikamente ganz spezifisch einzusetzen. Wir wissen bereits, dass es genetische Veränderungen gibt, die bei einem Mammakarzinom genauso vorliegen können wie bei einem Dickdarm- oder Magenkarzinom. Das bedeutet, dass wir völlig umdenken müssen“, so Samonigg, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (OeGHO).

Die Kenntnis der genetischen Merkmale des einzelnen bei einem Patienten vorliegenden Tumors führe dazu, dass man nicht mehr von „dem Mammakarzinom“, „dem Dickdarm-“ oder „dem Magenkarzinom“ sprechen könne. Statt dessen würden Onkologe und Hämatologie in Zukunft die Einteilung zunehmend nicht mehr nach dem betroffenen Organ treffen, sondern nach den zum Beispiel vorliegenden Mutationen, welche das Wachstum der bösartigen Zellen antreiben. Genau an diesen Punkten sollten die Medikamente zielgenau wirken. „Wir sind bereits dabei, die schrotschussartige, unspezifische Chemotherapie zurückzudrängen“, sagte Samonigg.

Völlig neue Erkenntnisse gebe es auch zur Entwicklung und zum Verlauf von Tumorerkrankungen, so der Grazer Spezialist: „Wir werden in der Lage sein, die individuelle Gensequenz von Tumoren zu untersuchen und die genetischen Veränderungen im Laufe einer Tumorerkrankung zu sehen.“ Schon jetzt wisse die Onkologie, dass sich primäre Tumoren von später auftauchenden Metastasen genetisch unterscheiden – das könnte die Möglichkeit bieten, im Rahmen der Therapie auch ständig auf solche Veränderungen zu reagieren.

Das alles macht die Diagnose und die Auswahl der passenden Therapie für die Patienten immer komplexer. „Die Frage ist, was wir mit allen diesen Informationen tun. Wir sequenzieren das Genom von Tumorzellen und finden zehn bis 30 mutierte Gene. Wie kann ‚der Doktor‘ wissen, welche Mutationen die jeweils wichtigen sind, die man mit einer zielgerichteten Therapie angeht? Da werden wir uns auch IT-Lösungen zunutze machen müssen“, erklärte Jäger.

BIG DATA IM BIOINFORMATIK-LABOR
International wird von Onkologen, Hämatologen und IT-Experten bereits an Bioinformatik-Lösungen gearbeitet, welche die individualisierte Krebsmedizin der Zukunft mit ihrem enormen Datenwust möglich machen soll. „Am Broad Institute in Cambridge in den USA hat man einerseits die Genexpressionsdaten von Tumoren analysiert, andererseits die Tumorzellen mit den unterschiedlichsten gezielt wirkenden Medikamenten ‚beschossen‘. Daraus kann man schließen, welche Arzneimittel bei dem Tumor eines einzelnen Patienten wirken könnten“, so Jäger.

Das System der Zukunft könnte laut den Experten so aussehen: Man sequenziert das Genom der Tumorzellen. Die Daten gehen an eine Bioinformatik-Institution, wo sie mit den zur Verfügung stehenden Informationen über die Wirksamkeit von Arzneimitteln bei spezifischen Mutationen verglichen werden. Daraus wird ein Therapievorschlag abgeleitet und geht an die Kliniker zurück. Unter zusätzlicher Verwendung von Gewebeproben könnte das sogar ähnlich wie die Austestung der Wirksamkeit von Antibiotika bei Infektionen funktionieren. Die Onkologen und Hämatologen an der MedUni Wien im AKH sind bereits dabei, ein solches Projekt („Exact“) zu realisieren. Auch in Graz gibt es solche Aktivitäten.

Vom 18. bis 22. Oktober findet in Wien der Jahreskongress der Krebsspezialisten Österreichs, Deutschlands und der Schweiz statt. Dabei werden rund 6.000 Teilnehmern die neuesten Entwicklungen sowohl auf dem Gebiet der Onkologie und der Hämatologie diskutieren. (apa/rnf)


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