Kritische Infrastrukturen mithilfe digitaler Lösungen an den Klimawandel anpassen

Digitale Technologien ermöglichen verbesserte Anpassungsmaßnahmen und bergen somit das Potenzial, die Widerstandsfähigkeit kritischer Infrastrukturen gegen den Klimawandel zu erhöhen. [...]

Foto: annca/Pixabay

In London wurde eine viktorianische Brücke mit Silberfolie eingewickelt, um das Bauwerk zu kühlen. In China schoben Eisenbahnarbeiter massive Eisblöcke über die Gleise, um diese vor Überhitzung zu schützen. Bei gleich mehreren Flughäfen kam der Flugverkehr aufgrund schmelzender Start- und Landebahnen zum Erliegen. Klingt fast wie im Film.

Und dennoch geben uns diese surrealen Bilder von extremen Hitzewellen im Jahr 2022 in Europa, Asien und den USA nur einen düsteren Vorgeschmack auf das, was uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erwarten wird.

Der Klimawandel ist real – und unangenehm. Hitzewellen, Waldbrände, Überschwemmungen, Dürren und Sturmfluten sowie übermäßige Regen- und Schneefälle haben beispiellose Auswirkungen auf den Zustand und die Langlebigkeit kritischer Infrastrukturen – darunter fallen etwa Straßen, Brücken, Eisenbahnstrecken, Start- und Landebahnen von Flughäfen, Kraftwerke, Telekommunikationstürme und Versorgungsnetze.

Laut der World Meteorological Organization ist die Anzahl der extremen Wetterereignisse zwischen 1970 und 2019 um das Fünffache gestiegen – die wirtschaftlichen Verluste, die mit diesen Wetterextremen einhergehen, haben sich in diesem Zeitraum sogar versiebenfacht.

Das UN Office for Disaster Risk Reduction geht überdies davon aus, dass Naturkastrophen zwischen 2015 und 2030 um bis zu 40 Prozent häufiger vorkommen.

Die aktuellen Diskussionen um den Klimawandel beschäftigen sich hauptsächlich mit der Abschwächung von dessen Auswirkungen. Betreiber:innen kritischer Infrastrukturen (KRITIS) konzentrieren sich hierbei besonders auf die Reduzierung der Treibhausgasemissionen, die mit dem Bau und Betrieb ihrer Assets einhergehen.

Doch dies reicht nicht aus: Vielmehr müssen Provider wirksame Möglichkeiten entwickeln, um sich an den Klimwandel anzupassen. Eine Brücke in Silberfolie einzuwickeln, mag zwar effektiv sein, ist aber zeitaufwändig, reaktiv und nicht skalierbar. Innovative digitale Technologien geben Infrastrukturbetreiber hier wirksame Tools an die Hand.

Veraltete Infrastruktur-Assets halten den aktuellen Klimaextremem nicht Stand – ihre Erneuerung erfordert jedoch signifikante Kapitalinvestitionen und lange Vorlaufzeiten für Planung, Bau und Betrieb.

Darüber hinaus handelt es sich um komplexe Systeme, die miteinander vernetzt und voneinander abhängig sind. Fällt ein Teil der Infrastrukturkette aus, kann dies zu einer Art Dominoeffekt führen, der sich wiederum auf weitere Branchen auswirkt.

Um ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und soziales Wohlergehen zu gewährleisten, müssen kritische Infrastrukturen deswegen klimaresistent werden. Bisher gingen zahlreiche Betriebe davon aus, dass die Widerstandsfähigkeit zu Lasten der Assetleistung geht – und diese entsprechend sinkt.

Diese Denkweise muss sich dringend ändern: Vielmehr müssen Asset-Betreiber:innen die Leistung und Widerstandsfähigkeit ihrer Anlagen in Einklang bringen.

Digitale Technologien bieten Potenzial für Anpassungen an das Klima

Die Risikobewertung und -diagnose kritischer Infrastrukturen beruht traditionell auf regelmäßigen Inspektionen, die durch herkömmliche Überwachungs- und Analyseverfahren unterstützt werden.

Dieser langwierige Prozess führt allerdings dazu, dass Entscheidungsfindungen kurzfristig nicht möglich sind – jedoch wäre genau dies notwendig. Um eine automatisierte, präzise und schnelle Entscheidungsfindung – und damit auch Widerstandsfähigkeit – zu ermöglichen, sollten Infrastrukturbetreiber deswegen auf digitale Lösungen für Messungen, Kommunikation und Berechnungen setzen.

Auch der Zustand der Assets sollte kontinuierlich und großflächig überwacht werden –digitale Techniken wie LiDAR-Umfelderfassung, weltraumgestützte Fernerkundung und Drohnenbilder sind unerlässlich, um die Verschlechterung eines Asset-Zustands zu prognostizieren.

Ebensolche Techniken überzeugen durch Präzision und Wirtschaftlichkeit, weshalb sie sich etwa für den Einsatz bei der Überwachung von Öl- und Gaspipelines, Autobahnen, langen Brücken, Viadukten und Tunneln eignen.

Kombinieren Unternehmen diese Kapazitäten mit komplexen Wettermodellen und historischen Daten, sind sie in der Lage, besser zu verstehen, inwieweit sich verändernde Klimamuster oder Extremereignisse die Abnutzung von Assets beschleunigen oder sie sogar außer Betrieb setzen können.

Bei der Vorhersage von Starkregen haben Wartungstechniker:innen beispielsweise die Möglichkeit, Veränderungen im Überschwemmungsgebiet auf einer Karte zu verfolgen und diese Daten mit Zustandsbewertungen von Straßen- und Bahnanlagen zu kombinieren – und damit ein Risikoprofil des betroffenen Asset-Bestands zu erstellen.

Basierend auf der Analyse können Betreiber:innen dann Korrekturmaßnahmen ergreifen sowie Investitionen in Anpassungsmaßnahmen optimieren.

Im Folgenden finden sich reale Beispiele für Unternehmen, die digitale Technologien einsetzen, um sich auf extreme Wetterbedingungen vorzubereiten:

  • Ein Wasserversorgungsunternehmen im Großbritannien prüft, inwieweit Wetterdaten zur Vorhersage von Stürmen und zur Modellierung von deren Auswirkungen auf die Wasserspeicher eingesetzt werden können. Ziel ist es, proaktiv Entscheidungen über vorbeugende chemische Behandlungen zu treffen.
  • Eine europäische Eisenbahninfrastrukturorganisation entwickelt eine intelligente Plattform für Wetterdienste. Die Plattform führt Wetterdaten und Informationen über den Zustand der Assets zusammen, um Risiken im Netzwerk zu identifizieren.
  • Eines der führenden Stromübertragungs- und -verteilungsunternehmen arbeitet an einer digitalen Plattform, die Windgeschwindigkeit und -richtung sowie Temperatur und Sonneneinstrahlung vereint. Basierend auf den Daten, beurteilt die Firma, wie effizient Stromfreileitungen die Wärme ableiten, um sicher zu funktionieren.
  • Ein bekanntes nordisches Öl- und Gasunternehmen, das Offshore-Ölplattformen entwickelt, setzt bei deren Mantelkonstruktion auf 3D-Modellierung, Daten und  Künstliche Intelligenz (KI). Damit ist es in der Lage, kritische Betriebsszenarien zu modellieren und sicherzustellen, dass die Konstruktion effizient und widerstandsfähig gegen Stürme und hohe Windgeschwindigkeiten ist.
  • Eine japanische Eisenbahnorganisation nutzt Daten und digitale Technologien, um sichere Betriebsbedingungen für Gleise zu entwickeln und die Konstruktionsparameter zu überarbeiten. Auf diese Weise ist die Firma beispielsweise im Stande, die Toleranzgrenzen für die gesamte künftige Gleisfertigung von 60°C auf 65°C anzuheben.

Auf dem Weg zu einer widerstandsfähigen Asset-Basis

Infrastrukturdienstleister müssen digitale Technologien in alle vier Phasen der Resilienzstrategie und des Katastrophenmanagements integrieren:

1. Die Net-Zero-Strategie muss um eine Anpassungsstrategie erweitert werden.

Zahlreiche Infrastrukturunternehmen arbeiten bereits an einer Net-Zero-Strategie, um den Klimawandel zu bekämpfen und regulatorische Anforderungen zu erfüllen. Diese sollte darüber hinaus um eine umfassende Klimaanpassungsstrategie ergänzt werden.

Firmen sind dadurch in der Lage, sich proaktiv vorzubereiten, verschiedene Szenarien vorherzusagen und die unvermeidlichen Auswirkungen des Klimawandels auf das Infrastrukturportfolio zu minimieren.

2. Die digitale Roadmap sollte die Anpassungsreise untermauern.

Angesichts der zunehmenden Bedeutung digitaler Lösungen für Net-Zero-Strategien müssen Organisationen eine strategische digitale Roadmap entwickeln und aufrechterhalten, die die Abschwächung und Anpassung von Geschäftsprozessen in großem Maßstab unterstützt.

Um dies zu erreichen, sollten Unternehmen eine skalierbare digitale Architektur entwickeln, die flexibel und interoperabel ist. Diese Architektur muss einen API-first, cloud-basierten und modularen Ansatz verfolgen. Mithilfe von Edge-Komponenten und der Integration neuer und innovativer Technologien ist es möglich, die Architektur in Einklang mit den Geschäftsanforderungen weiterzuentwickeln.

3. Die Enterprise Data-Intelligence-Plattform muss zweckmäßig sein.

Der Wandel von einem Legacy-gestützten Infrastrukturmanagement-Ansatz hin zu einem datengesteuerten, intuitiven Ansatz erfordert eine strategische Business Data-Plattform. Diese führt Daten aus unterschiedlichen Asset-Management-Systemen zusammen, verbessert die Datenqualität und vernetzt die verschiedenen Systeme über ein gemeinsames Informationsmodell miteinander.

Die Plattform muss robust und widerstandsfähig sein, um große Datenmengen zu speichern und zu verarbeiten. Darüber hinaus sollten analytische Modelle verwirklicht werden, um extreme Wetterszenarien zu simulieren, Risikoprofile auf Karten zu visualisieren und Maßnahmen auf der Grundlage von Asset Deterioration-Profilen festzulegen.

Die Data-Intelligence-Plattform ist damit nicht nur der Motor für intelligente Lösungen zur Entscheidungsfindung in der Instandhaltungsorganisation, sondern bildet auch eine Grundlage für Forschung und Entwicklung. Anlageningenieure sollten in der Lage sein, mit Asset- und Wetterdaten zu experimentieren, innovative Prognose- und Präventionsmodelle zu entwickeln und diese schnell zu skalieren.

4. Den Datenaustausch mit Partner-Ökosystemen ermöglichen.

Die Ursachenanalyse zahlreicher vergangener Katastrophen hat gezeigt: Kritische Infrastrukturausfälle hätten vermieden oder ihre Auswirkungen verringert werden können, wenn die richtigen Daten zur richtigen Zeit mit den richtigen Beteiligten ausgetauscht worden wären.

Infrastrukturunternehmen sind in der Lage, ihre Klimaresilienz zu verbessern, wenn sie die notwendige strategische Plattform für den Datenaustausch so entwickeln, dass sie einen nahtlosen und sicheren Austausch von Anlagenzuständen, Wetterrisiken und Plänen zur Schadensbegrenzung mit Partner:innen, Notdiensten, Regulierungsbehörden und der Öffentlichkeit ermöglicht.

In Kombination mit klar definierten Datennutzungsvereinbarungen mit Partner:innen ist die Plattform in der Lage, die Genauigkeit von Risikobewertungen zu erhöhen, Notfallmaßnahmen zu verbessern und die Wiederherstellung des Normalbetriebs zu beschleunigen.

(Quelle: Cognizant Sustainability Services)

Fazit

Der Infrastruktursektor hat in der Vergangenheit unter der Verwendung von Informationssilos über den gesamten Lebenszyklus der Anlagen hinweg sowie zwischen den beteiligten Parteien gelitten. Mithilfe digitaler Lösungen sind Unternehmen nicht nur in der Lage, diese Silos aufzubrechen, sondern auch eine belastbare Asset-Basis zu schaffen.

Die Entwicklung digitaler Technologien und Lösungen bringt Konstrukteur:innen, Architekt:innen, Betreiber:innen und Wartungsingenieure zusammen. Darüber hinaus werden Bestandsinformationen über den gesamten Lebenszyklus der Anlagen gespeichert, verwaltet und ergänzt.

Auf dieser Grundlage ist es möglich, gemeinsam bessere Entscheidungen zu treffen, die Folgen von Wetterextremen auf nachhaltige Weise eindämmen und adressieren.

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