Künstliche Intelligenz – Smarte Software denkt mit

KI bietet eine große Chance, Prozesse zu optimieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Ganz einfach ist das aber nicht. [...]

Quelle: mohamedHassan/Pixabay

Künstliche Intelligenz (KI), auch artifizielle Intelligenz (AI) genannt, gehört zu den vielversprechendsten Technologien des digitalen Wandels. Zumindest die „schwache KI“ ist dank technologischer Sprünge in den vergangenen zehn bis 20 Jahren in immer mehr Applikationen zu finden – so auch in der Business-Software. Die Entwicklung einer „starken KI“ liegt dagegen noch in weiter Ferne (siehe Kasten).

KI birgt Enorm viele Möglichkeiten

Dennoch hilft allein schon die „schwache KI“ den Unternehmen kräftig, ihre Daten besser und gewinnbringend zu nutzen – zum Beispiel als zusätzliche Entscheidungsgrundlage, für die Automatisierung sich wiederholender Aufgaben, für die Senkung der Fehlerquote, für ­detaillierte Prognosen, für eine höhere Planungssicherheit oder als Basis für ein zielgerichtetes Marketing.

„Ganz vereinfacht kann gesagt werden, dass KI-basierte Algorithmen ermöglichen, bestimmte Arbeitsschritte ,maschinell‘ zu erledigen, für die bisher die ,kognitiven‘ Fähigkeiten von Menschen erforderlich waren“, erklärt Michael Schröder, Head of Consulting von Ergon Informatik in Zürich.

Dadurch können Routineaufgaben automatisiert und hochskaliert (dass etwa bestimmte Anträge immer gleich behandelt werden) oder komplexe Entscheidungsaufgaben mit datenbasierten Empfehlungen unterstützt werden (beispielsweise, ob eine bestimmte Maschine bald gewartet werden muss, damit sie nicht ausfällt).

Entsprechend vielfältig sei der Nutzen von KI: Das Spektrum ­reiche von konkreten Ressourceneinsparungen über die Skalierung des Business und die Vermeidung von Risiken bis hin zur Ermöglichung neuer Produkte.

Andrea Rapanaro, AI-Expert bei Adnovum, ergänzt:

„KI kann auch Standard-Software aufwerten und die Be­nutzererfahrung verbessern, indem sie eine Aufgabe oder einen Prozess schneller, effizienter oder einfach angenehmer macht.“

Er nennt als Beispiel eine Computer-Vision-Komponente, die Text aus eingescannten Dokumenten oder Bildern extrahiert – dies könne dabei helfen, einen Validierungsprozess zu automatisieren und damit schneller und effizienter zu machen.

Ein weiteres Beispiel sei ein Chat- oder Voicebot im Kundendienst, der die häufigsten Fragen selbst beantwortet, und das rund um die Uhr – dies steigere die Kundenzufriedenheit und reduziere die ­Belastung des Callcenter-Personals sowie dessen ­Frustration darüber, immer wieder dieselben Fragen beantworten zu müssen.

„Die besten KI-Lösungen sind oft jene, von denen die End-User nichts merken und die auch nicht eigentlich als KI diskutiert werden, wie etwa jene in einem Voicebot“, sagt er.

„Die besten KI-Lösungen sind oft jene, von denen die User nichts merken.“

Andrea Rapanaro, Adnovum

Franziska-Juliette Klebôn, Data und AI Lead bei ­Microsoft Schweiz, nennt einen weiteren Nutzen der KI: „Unser Ziel bei der Entwicklung von KI-Werkzeugen und -Technologien ist es, die Arbeit der Menschen zu unterstützen und so Zeit für kreativere Aufgaben und innovatives Denken zu gewinnen.“

Generell konzentriere sich ­Microsoft darauf, wie die heute existierenden KI-Systeme Kunden, Partnern und anderen helfen können, ihre realen Probleme jetzt zu lösen. Der Einsatz von KI konzentriere sich im Moment hauptsächlich auf Bereiche wie Customer-Experience, Content und Marketing, Social Media und Data-driven Organization.

Die Reise mit der KI hat erst begonnen

Viele Unternehmen haben den Nutzen von KI bereits für sich entdeckt. „Mit der steigenden Verbreitung der Cloud in der Schweiz können Organisationen aller Größen KI für sich nutzen“, sagt Klebôn. „Auch Schweizer KMUs setzen zunehmend auf die KI.“

Es gebe heutzutage kaum mehr eine Industrie oder einen Anwendungsbereich, in denen diese nicht auf irgendeine Art im Einsatz stehe. Sie nennt ein paar wenige von sehr vielen Beispielen: Die Axpo ­verbessere den Stromnetzbetrieb mit einer Azure-basierten Web-Plattform, Nestlé verhindere Cybersicherheitsbedrohungen mit maschinellem Lernen, während die ­Bühler-Gruppe damit den Druckguss gerade neu erfinde.

In ­vielen Bereichen habe sich der Anspruch der Kundschaft und End-User insofern erweitert, als eine gewisse System­intelligenz sowie system- als auch plattformübergreifende Intelligenz schlichtweg erwartet werde: „Alle unsere Produkte integrieren deshalb immer mehr Module unserer KI-Umgebungen, seien es Cloud-Services wie ­Natural Language Processing (NLP) oder Speech-to-Text, sowie lokale Komponenten zur Verbesserung der Datenqualität, Sicherheit und Compliance“, so Klebôn.

„Wir stehen ganz am Anfang, wenn es darum geht, zu verstehen, wozu KI-Systeme fähig sein werden.“

Franziska-Juliette Klebôn, Microsoft Schweiz

Auch Rapanaro stellt fest, dass „die Anzahl Anfragen und Ausschreibungen, die KI-Komponenten als Teil der zu entwickelnden Software enthalten, deutlich zugenommen hat“.

Das gelte auch für die Nachfrage nach Mitarbeitenden, die Kunden bei Initiativen zur Umstellung auf die Cloud oder die Implementierung intelligenter und automatisierter Services unterstützen.

„Allerdings sind viele unserer Kunden aktuell noch dabei herauszufinden, wie sie KI am besten einsetzen, um ihr Potenzial voll aus­zuschöpfen.“ Klebôn formuliert das ähnlich: „Wir stehen ganz am Anfang, wenn es darum geht, zu verstehen, wozu KI-Systeme fähig sein werden.“

„Starke“ und „schwache“ KI

Von Künstlicher Intelligenz gibt es zwei Arten, eine „starke“ und eine „schwache“. Erstere soll schwierige Aufgaben mindestens auf Augenhöhe mit dem Menschen erledigen können, zweitere konkrete Anwendungsprobleme meistern, also in Einzelbereichen den Menschen oder die Software unterstützen. KI muss dabei immer lernfähig sein und auch mit Wahrscheinlichkeiten und ­Unsicherheiten umgehen können.

Während die „starke“ KI noch eine reine Zukunftsvision ist, die sich möglicherweise nie umsetzen lassen wird, hat die „schwache“ KI dank rasanter Fortschritte in den vergangenen Jahren zunehmend Einzug in Wirtschaft und Gesellschaft gehalten.

Intelligent im herkömmlichen Sinn ist eine „schwache“ KI ­jedoch nicht, da sie lediglich intelligentes Verhalten mittels Algorithmen – also der Verbindung von Mathematik und Informatik – simuliert. Der Begriff Künstliche Intelligenz ist bei „schwacher“ KI deshalb nicht wirklich zutreffend, oft handelt es sich vielmehr um den KI-Teilbereich maschinelles Lernen (ML): Ein System lernt selbstständig anhand von Daten, ein konkretes, bestimmtes Problem zu lösen, ohne dass es explizit dafür programmiert wird.

Mittels Algorithmen und Trainingsdaten baut es ein statistisches Modell auf, das wiederum gegen die Test-daten getestet wird. Dadurch lernt das System, Muster und Korrelationen in realen Datensätzen zu erkennen, was es ihm fortan ermöglicht, Entscheidungen und Vorhersagen zu treffen oder selbst unbekannte Daten richtig zu interpre­tieren (beispielsweise bei der Sprach- oder Bilderkennung).

Je länger eine ML-Anwendung genutzt (und damit weiter trainiert) wird und je mehr Daten sie zur Verfügung hat, desto genauer werden ihre Resultate.

Es fehlt vielerorts noch an Innovation

Laut Schröder ist das Wissen der IT-Entscheider, was KI prinzipiell kann, mittlerweile zwar sehr gut, auch gebe es zahlreiche Ideen.

„Was jedoch oft fehlt, ist das Wissen, wie man in der eigenen Geschäftstätigkeit KI-Cases umsetzen und zum Erfolg führen kann.“ Klebôn sagt dazu: „Die meisten Kunden fangen mit der Datenhaltung an. Die Cloud bringt ihnen Flexibilität und in den überwiegenden Fällen langfristig auch Kostenreduktionen.“

In einem zweiten Schritt würden sie damit beginnen, die Intelligenz der Cloud zu nutzen.

„Was wir uns wünschen, mehr zu sehen, ist, dass Kunden beginnen, auf der Basis der Cloud neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Aber das ist nur eine Frage der Zeit.“ Auch Rapanaro sagt: „Das ­Wissen um die Möglichkeiten von KI ist leider oft nicht genug.“

Erstens sehe Adnovum oft eine unterschiedliche Reife auf strategischer Ebene in Bezug auf KI – abhängig von der Branche, der Größe eines Kunden und den Budgets, die für Transformation und Innovation zur Verfügung stehen.

„Zweitens, und das ist das Wichtigste, stellen viele Kunden, die mit KI zu experimentieren beginnen, sehr schnell fest, dass etwas Entscheidendes fehlt: die Datenqualität oder generell die Daten, die es für AI-Komponenten braucht.“ Oft würden auch eine geeignete Governance und Strategie fehlen, um Proofs-of-Concept zu produk­tionstauglichen Initiativen erweitern zu können.

Noch viel Potenzial vorhanden

Entsprechend gibt es bei der Implementierung und Nutzung von KI noch viel Luft nach oben. „Ihr Potenzial ist bei Weitem nicht ausgeschöpft“, sagt Klebôn.

„Wir glauben, dass KI eine entscheidende Technologie unserer Zeit ist, und wir sind optimistisch, dass sie viel für die Menschen, die Industrie und die Gesellschaft tun kann – jetzt und in Zukunft, in einer Weise, die wir bereits sehen, und in einer Weise, die wir noch nicht erahnen können.“

„KI ist nicht wie ein Portal, das man konzipiert und mehr oder weniger einfach hinstellt.“

Michael Schröder, Ergon Informatik

Michael Schröder sieht die größten Entwicklungs­möglich­keiten bei KI-Projekten, bei denen Abläufe auf digitale Art und Weise völlig neu gedacht werden: „Dies kann zum Beispiel sein, wenn ein Gerät oder ein Produkt mittels ­Internet of Things (IoT) ,smart‘ gemacht wird: Die neu anfallenden Daten aus der physischen Welt ermöglichen besonders spannende Anwendungsfälle.“

Als Beispiele nennt er Predictive Maintenance, langfristige Einsatz­analysen und Produktverbesserungen. „Andere spannen­de Bereiche, in denen wir noch viel Potenzial sehen, sind Augmented Reality (computergestützte erweiterte Realität) und Conversational Agents (intelligente virtuelle Gesprächspartner)“, sagt er.

„Hier kann der Einsatz bestehender KI-Bausteine wie Objekterkennung oder NLP neue Anwendungen ermöglichen, die bis vor Kurzem nur in ­Science-Fiction-Filmen denkbar waren.“ Doch auch im Kleinen könne die KI viel bewirken: „Auch die ganz profane digitale Geschäftsabwicklung bietet zahlreiche Chancen, mittels KI verschiedene Arbeitsschritte zu automatisieren und die Sachbearbeiter mit smarter Entscheidungsunterstützung effizienter zu machen.“

Dieses Ziel verfolgt auch Adnovum mit Conversational AI: „Mit diesem Angebot versuchen wir, automatisierte Bearbeitung optimal mit direkter Interaktion mit Mitarbeitenden zu kombinieren“, erklärt Mark Bosshard, Head of Conver­sational AI.

„So werden Mitarbeitende gezielt für Auf­gaben eingesetzt, bei denen Menschen klar besser performen als automatisierte Prozesse, zum Beispiel im Verkauf.“

Implementierung ist nicht einfach

Die Implementierung von KI im Unternehmen ist allerdings nicht ganz einfach. Es stellen sich verschiedene Herausforderungen. „Die erste ist, dass man KI nicht einfach so implementieren kann“, erklärt Schröder.

„Sie ist nicht wie ein Portal, das man konzipiert und mehr oder weniger einfach hinstellt.“

KI stehe dafür, dass aus bestehenden Daten und mit Unterstützung von menschlichem Input beziehungsweise mit Trainingsdaten „kognitives Wissen“ in ­einen ­Algorithmus umgesetzt wird. Dies setze vo­raus, dass die ent­sprechenden Daten auch verfügbar sind – und das in genügender Menge und Qualität.

„Weiter müssen ge­nügend Trainingsdaten vorhanden sein, um einen geeigneten Algorithmus trainieren zu können – hier besteht ein großer Unterschied etwa zwischen einem Tech-Giganten wie Google mit quasi unendlichen Daten und Möglich­keiten und einem Schweizer KMU mit überschaubaren ­Daten und Mitteln“, sagt er. Eine weitere Herausforderung sei es, die einmal trainierten Algorithmen erfolgreich in die ­Produktion zu überführen und dann kontinuierlich ak­tuell zu halten.

„Hier hat sich in den letzten Jahren MLOps etabliert.“ MLOps (Machine Learning Operations) sind eine Reihe von Praktiken, die darauf abzielen, Machine-Learning-Modelle in der Produktion zuverlässig und effizient bereitzustellen und zu warten.

Ireneu Pla, Senior ML Engineer bei Adnovum, nennt weitere große Herausforderungen bei der Implementierung von KI: Mangel an Vertrauen und übersteigerte ­Erwartungen. „Fehlen das Vertrauen oder das Bewusstsein dafür, was mit KI heute möglich ist, kann es sein, dass vielversprechende Ansätze außer Acht gelassen werden“, erklärt er.

„Überzogene Erwartungen dagegen können zu Enttäuschungen in der Anfangsphase und schließlich dazu führen, dass das Projekt keine echte Chance erhält, sich zu entwickeln.“ Um mit KI erfolgreich zu sein, sei eine offene Haltung wichtig: „Die Möglichkeiten sind endlos, aber wir wissen noch nicht alles.“

Weiter seien Algorithmen, insbesondere bei Machine Learning, im Wesent­lichen probabilistisch – es bestehe immer die Möglichkeit, dass sie scheitern. „Wie wir alle wissen, passiert dies auch bei ,normaler‘ Software. Dort sprechen wir dann von ­einem ,Bug‘“, so Pla.

„Bei KI sind Pro­bleme jedoch schwieriger nachzuvollziehen und zu beheben, da der Ansatz nicht ­deterministisch ist.“

Auch die Ethik spielt bei KI eine Rolle

Herausforderungen stellen sich bei der Nutzung von KI aber auch auf einer ganz anderen Ebene – der ethischen. „Technologien, die KI nutzen, müssen verantwortungs­bewusst und in einer Weise entwickelt werden, die das Vertrauen fördert und den Schutz der Privatsphäre wahrt“, sagt Klebôn.

„Microsoft sieht sich hier, gemeinsam mit vielen Partnern, in der Verantwortung, dass sichergestellt wird, dass alle Nutzerinnen und Nutzer von den Vorteilen der bahnbrechenden KI-Technologie profitieren können und dass gleichzeitig die Risiken minimiert werden.“

Ihr Unternehmen halte sich dabei an das „europäische ­Konzept für vertrauenswürdige KI“, das 2012 von der Euro­päischen Kommission veröffentlicht wurde. Pla weist ­darauf hin, dass Software grundsätzlich vertrauenswürdig sein sollte, egal ob mit KI oder nicht: „Schließlich möchten wir, dass unsere Arbeit eine positive Wirkung hat.“

Fazit & Ausblick

Die Nutzung der Künstlichen Intelligenz in den Unternehmen birgt gewaltige Möglichkeiten und Chancen, ist aber ohne Hindernisse und Hürden nicht zu haben.

Klebôn bringt es auf den Punkt: „Wir sind generell optimistisch, was die Zukunft der KI angeht, und wir glauben, dass die Fortschritte und Möglichkeiten im Vergleich zu den He­rausforderungen überwiegen.“

*Daniel Thüler ist Autor bei com!professional.


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