„Langatmige Prozesse werden nicht mehr toleriert“

Das Defizit an IT-Fachkräften ist weiterhin groß und geschäftsschädigend. Hays-Manager Simon Alborz skizziert im Interview Wege aus dem Fachkräftemangel. [...]

Unternehmen müssen wissen, welche technologische Kompetenz heute und morgen in welchem Ausmaß benötigt wird. Warum, erklärt Hays-Manager Simon Alborz im Interview (c) pixabay.com

Laut des Fachkräfte-Index aus dem vierten Quartal 2021 ist die Nachfrage nach IT-Fachkräften nochmals um 20 Prozent gegenüber dem Vorquartal angestiegen. Als Bereichsleiter des auf Personalberatung spezialisierten Unternehmens Hays sind Sie mit dem Arbeitsmarkt sehr vertraut. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Simon Alborz: In der Tat haben wir dem Index zufolge ein neues Rekordhoch erreicht. Diese Entwicklung dürfte auf Nachholeffekte wie auch auf einen gewissen Investitionsstau aus den vergangenen Monaten zurückzuführen sein. In den Pandemie-Monaten wurde vergleichsweise wenig neues Personal gesucht. Obgleich viele Unternehmen wussten, wie dringend sie eigentlich in Digital- und IT-Know-how investieren müssen. Die Digitalisierung macht ja auch keine Pause.

„Nicht nur technische Kompetenz steht hoch im Kurs“

Gibt es bei den aktuell nachgefragten IT-Kompetenzen besondere Auffälligkeiten?

Alborz: Durchaus! Nicht nur die rein technische Kompetenz der Software-Entwicklung steht hoch im Kurs. Auch angrenzende und komplementäre Fähigkeiten wie IT-Beratung oder IT-Architektur werden aktuell verstärkt nachgefragt. Das liegt sicher zum Teil daran, dass beide Jobprofile größtenteils für die Umsetzung der Digitalstrategie mitverantwortlich sind. Vereinfacht gesagt, kümmert sich ein IT-Architekt um die Konzeption einer neuen Applikation, der Entwickler baut sie anschließend zusammen.

Der Index besagt, dass es erstmals 100.000 offene IT-Stellen pro Quartal gibt. Gerät hier nicht der ein oder andere Produktionsmotor ins Stottern?

Alborz: Ja, das sehen Unternehmen branchenübergreifend schon kommen und versuchen dem pragmatisch entgegenzuwirken, indem sie Mitarbeitenden mit entsprechendem Potenzial attraktive Lern-, Weiterbildungs-, und Zertifizierungsangebote machen. Das kann beispielsweise eine Scrum-Master-Zertifizierung oder eine SAP-Schulung sein. Aber auch die unterstützende Finanzierung eines berufsbegleitenden Studiums gehört dazu. Für die Betroffenen selbst hat das den Vorteil, dass sie ihre Kompetenzen und Einsatzmöglichkeiten für den Arbeitgeber langfristig verbessern. Darüber hinaus sollten aber auch alternative Wege jenseits der klassischen Personalgewinnung eingeschlagen werden.

Können Sie Beispiele nennen?

Alborz: Es gibt den Ansatz, dass Firmen, die selbst IT-Fachkräfte ausbilden, gleichzeitig für ihren eigenen Kompetenzbedarf neue fachliche Schwerpunkte setzen und mit etwas Geduld hoch spezialisierte Expertise im eigenen Haus aufbauen. Um das tun zu können, müssen sie aber erst einmal wissen, welche technologische Kompetenz heute und morgen in welchem Ausmaß benötigt wird. Dazu gehört es, stärker als bisher zu antizipieren, welche Skills in zwei bis drei Jahren wichtig werden. Die kurzfristige Besetzungsdenke ist damit passé. Denn schließlich gelingt es schon heute nicht mehr, die gewünschte Expertise je nach Projekt- oder Auftragslage passgenau anzuwerben.

Wo sehen Sie dennoch kurzfristige Kompensationsmöglichkeiten, um wenigstens einige Lücken zu schließen?

Alborz: Generell kommen Unternehmen nicht mehr umhin, mehrgleisig zu fahren, wenn es um ein effizientes und zukunftsfähiges Ressourcenmanagement geht. Das bedeutet, ihr Fokus sollte nicht mehr allein auf der Rekrutierung, sondern zusätzlich auf der Bindung ihrer Mitarbeitenden liegen. Nicht zu vergessen ist die Arbeitgeberattraktivität. Die beiden letzten Bereiche bekamen in den vergangenen Jahren nicht immer die nötige Aufmerksamkeit aus dem Management. Das macht sich jetzt bemerkbar. Denn gerade jetzt gibt es große Abwanderungswellen.

Mitarbeitende kündigen, ohne etwas Neues in Aussicht zu haben. Gerade im IT-Umfeld ist die Arbeitsbelastung, auch durch einen hohen Innovationsdruck, dauerhaft sehr hoch. Die Arbeit aus dem Home-Office tut da ihr übriges. Hier sind dringend Entlastungskonzepte gefragt, die die Betroffenen kurzfristig von einem hohen Projektvolumen befreien. Das kann einerseits die Zusammenarbeit mit IT-Freiberuflern sein, andererseits können hier auch flexible Arbeitsmodelle wie beispielsweise das Jobsharing kurzfristig Entlastung schaffen.

„Entscheidungen müssen schneller getroffen werden“

Schauen wir nochmals konkreter auf die Rekrutierung, wo schlummern hier noch Effizienzpotenziale?

Alborz: Entscheidungen müssen schneller getroffen werden. Gerade bei komplexen Unternehmensstrukturen sind die internen Abstimmungswege, ehe man sich für einen Kandidaten entscheidet, noch zu lang. Da gibt es noch viel Luft nach oben. Selbst die Top-Arbeitgeber müssen begreifen, dass sie sich das lange Hinhalten eines Kandidaten nicht mehr leisten können. Jeder Bewerbende möchte heute innerhalb eines Tages eine definitive, glaubwürdig begründete Rückmeldung. Langatmige Prozesse und vermeintliche „Schwebezustände“ werden nicht mehr toleriert. Wer nicht schnell Bescheid bekommt, geht zum Wettbewerb.

Übrigens macht sich so manche Firma die hohe Wechselbereitschaft von Kandidaten bereits systematisch zu Nutze. Sie setzen auf Schnelligkeit und hohe Einstiegsmotivation, um sofort den Arbeitsvertrag dingfest zu machen. Anders ausgedrückt: gerade erst kennengelernt, schon kommt ein Vertrag. Diese Unternehmen haben verstanden, dass die Anfangsbegeisterung für den Arbeitgeber sowie die Position nicht wochenlang anhält und es zudem zu viele attraktive Alternativen für den Kandidaten gibt.

Was könnten Sie Firmen, die händeringend nach IT-Fachkräften suchen, mit auf den Weg geben?

Alborz: Gerade vor dem Hintergrund eines anhaltenden Engpasses sollten die Anforderungskriterien an eine Stelle nicht zu eng gesetzt werden. Ein möglichst breiter Kandidatenzirkel sollte sich davon angesprochen fühlen. Wenn zentrale Qualifikationen noch nicht vorhanden sind, sollte der Kandidat dennoch erkennen können, wie er sich diese Fähigkeiten im Laufe der Zeit beim Arbeitgeber aneignen kann.

Firmen sollten bei der Fachkräftesuche zudem nicht allein die Position beim Einstieg des Kandidaten im Blick haben, sondern auch antizipieren, wie sie sich mit dem beruflichen Weiterkommen im Unternehmen „mitentwickelt“. Beispielsweise, dass trotz eines Aufstiegs in eine verantwortungsvolle Position jederzeit die Möglichkeit besteht, einmal kürzertreten zu können, ohne die eigene Karriere zu gefährden.

*Silvia Hänig ist Kommunikationsberaterin und Geschäftsführerin der iKOM in München.


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