Bei zahlreichen Start-Ups aber auch bei Handelsriesen wie Rewe oder Tengelmann macht sich Aufbruchsstimmung breit. Der Lebensmitteleinzelhandel soll sowohl in Deutschland als auch in Österreich umgekrempelt werden und sich mehr ins Internet verlagern. Der Konsument soll einfach per Mausklick bestellen und Obst, Gemüse sowie andere Lebensmittel werden an die Haustür geliefert. [...]
Neue Anbieter wie 5cups.de, Coffeecircle oder Cookbutler sind am Start, etablierte Handelsketten haben Modellversuche ins Leben gerufen, um einen möglichen neuen Boom nicht zu verschlafen. „Alles auf dem Online-Lebensmittelmarkt ist im Umbruch. Wie bei Smartphones und E-Books hat sich ewig nichts bewegt und nun passiert endlich etwas“, sagte Cookbutler-Gründer Cornelius Stockmair. „Das kann noch richtig durch die Decke gehen.“
Denn von den über 130 Mrd. Euro, die die Branche im Jahr umsetzt, entfallen nach Schätzungen von Handelsexperten derzeit nur rund 0,1 Prozent auf den Online-Handel. Allerdings ist es nach wie vor ungewiss, ob sich der Einkauf von frischen Lebensmitteln via Internet auch durchsetzen wird. Denn der Preiskampf in der Branche ist hart, der deutsche Markt mit seinen zahlreichen Discountern und seinem dicht geknüpften Netz von Supermärkten gilt als einer der härtesten der Welt.
ES GEHT DARUM FLAGGE ZU ZEIGEN
„Das ist ein Zukunftsmarkt, an dem wir frühzeitig teilhaben wollen“, sagt Kaiser’s-Tengelmann-Geschäftsführer Henrik Haenecke. Mit bringmeister.de ist die Supermarkt-Kette in den Ballungszentren München, Berlin und Düsseldorf präsent und bietet Lieferungen noch am Tag der Bestellung an. Wie viele Kunden damit bereits gewonnen wurden, will Haenecke genau wie der Wettbewerber Rewe nicht genau sagen. Es geht darum, im Netz Flagge zu zeigen, um sich später ein möglichst großes Stück vom Kuchen abschneiden zu können. Da ist langer Atem gefragt. Dies macht es vor allem für Startups schwierig, sich durchzusetzen, da ihre finanziellen Reserven häufig dünner sind als bei den großen Einzelhändlern.
GROSSE HERAUSFORDERUNG
„Es ist ein komplizierter Markt. Die Preisbereitschaft ist nicht hoch. Dadurch braucht man relativ viele Kunden, um eine kritische Masse zu erreichen“, sagte der Chef des Bundesverbandes Deutscher Startups, Florian Nöll. „Zudem stellt sich die Logistikfrage. Beim Versand von verderblicher Ware muss man besonders vorsichtig und eben schnell sein“, betonte er. Zudem wollten die bewährten Einzelhändler das Thema selbst besetzen. Viele Startups waren dem zuletzt nicht gewachsen. Online-Shops wie Froodies oder supermarkt.de gehören der Vergangenheit an. Ihnen folgen neue Anbieter, die trotz der Herausforderungen auf den Markt drängen und hoffen, dass Lebensmittel im Netz in Deutschland bald ähnlich gefragt sind wie in den USA, Großbritannien und Schweden.
Relativ neu sind beispielsweise 5cups.de und coffeecircle, die sich auf Tee beziehungsweise Kaffee spezialisiert haben, tastybox.de, die vor allem Gourmets ansprechen, brandnooz.de, die ausschließlich neue Produkte offerieren und cookbutler.de, die neben dem Rezept alle Zutaten nach Hause liefern. „Um uns nicht einem zu hohen Margendruck auszusetzen, sind wir im Premiumbereich tätig und arbeiten nur mit Manufakturen zusammen“, sagt Tastybox-Gründer Guerson Meyer. Das funktioniere gut, die Kunden gäben bei ihnen mehr Geld aus als gewöhnlich. „Mit Amazon-Denken kommt man bei uns nicht weiter. Da die Ware erst nach der Bestellung zusammengestellt wird, muss man mehrere Tage auf das Paket warten“, erklärt der 33-Jährige.
QUALITÄT WICHTIG
Ganz anders ist dies bei bringmeister.de und cookbutler.de, die beide Lieferungen am Tag der Bestellung anbieten. Die Online-Tochter von Kaiser’s-Tengelmann bringt die Ware dabei mit eigenen Mitarbeitern und Lkws zum Kunden. „Wir müssen sicherstellen, dass unsere Kunden genau die Ware erhalten, die sie haben wollen. Sie müssen das Gefühl haben, dass die Bananen, die wir ihnen liefern, genauso gut sind, als wenn sie diese selbst ausgesucht hätten“, sagt Haenecke. Deswegen könnten sie online entscheiden, ob sie lieber grüne, gelbe oder eben vollreife Bananen ordern wollten.
Cookbutler ist bisher nur in München aktiv und arbeitet bei der Auslieferung mit Partnern zusammen. Die Zeichen stehen laut Firmengründer Stockmair allerdings auf Expansion. Das Problem sei eigentlich nur die Erstbestellung, sagt er. Habe ein Kunde dann positive Erfahrungen gesammelt, schrecke er nicht mehr davor zurück, im Netz seine Lebensmittel zu bestellen und Gerichte zusammenzustellen.
Allerdings müssen die Online-Anbieter gerade bei Lebensmitteln zahlreiche Hürden überwinden. Beispiel Kühlkette: Die Waren dürfen bei der Auslieferung nicht verderben. Ist der Kunde etwa nicht da, wenn der Bote klingelt, kann’s eng werden. Die Deutsche Post, die über ihre Tochter DHL im Großraum Köln seit Mai 2012 in einem Pilotprojekt Pakete mit frischen Lebensmitteln ausliefert, formuliert das so: „Mindestens genauso wichtig wie die Kühlung der Waren ist die Erreichbarkeit der Kunden.“ Der Handelsriese Rewe versichert indes, das Risiko liege beim Lieferanten – die Kühlkette werde nicht unterbrochen, die Lebensmittel würden zurückgenommen. DHL liefert aber zur Sicherheit in zwei zweistündigen „Zeitfenstern“ am Abend aus. Immerhin – die Resonanz sei positiv, der Konzern prüfe deshalb die Ausweitung des Projekts auch auf andere Ballungsräume.
ONLINEHÄNDLER NICHT UNBEDINGT NÖTIG
Es gibt auch ein weiteres Problem: Nach einer Studie der Beratungsgesellschaft A.T. Kearney warten die Kunden nicht zwingend auf Online-Anbieter. Die große Mehrheit der Befragten sagte in der Erhebung, sie sei mit dem Angebot der Filialen und Läden zufrieden – und wolle deshalb gar nicht im Internet bestellen. Auch ist das Markt-Netz in Deutschland sehr eng geknüpft – die Online-Nachfrage entwickelt sich auch deshalb langsamer als etwa in Großbritannien, wo Schätzungen zufolge schon bis zu fünf Prozent des Umsatzes über den Internet-Handel erzielt werden. Doch dort ist die Supermarkt-Dichte geringer. Aber es gibt auch in Deutschland nicht nur Verächter der Online-Kost: Regelmäßige Online-Shopper sind Studien zufolge auch bereit, Lebensmittel im Netz zu erstehen. Berufstätige Elternpaare bestellen ebenfalls online – sie holen dann aber vielfach die Lebensmittel direkt am Supermarkt ab.
Rewe bietet dieses Modell neben seinem Online-Shop an, über den der Konzern bereits in mehreren Städten Lebensmittel verkauft. Die Metro-Tochter Real geht einen anderen Weg. Real verkauft im eigenen Online-Shop keine Lebensmittel, in zwei Städten – nahe Hannover und bei Köln – können Verbraucher ihr vorher im Netz bestelltes Essen aber abholen. Dabei soll es aber nicht bleiben. Real arbeitet einem Sprecher zufolge an Plänen, das Online-Geschäft neu aufzustellen.
KEIN GROSSES WACHSTUM IN ÖSTERREICH ERWARTET
Auch in Österreich experimentieren zahlreiche Lebensmittel-Ketten mit dem Online-Einkauf – wenn auch auf kleinem Niveau. „Wir gehen nicht davon aus, dass der Umsatz mit Food-Artikeln bereits in den nächsten Jahren enorm explodieren wird“, sagt der für die Handelsbranche zuständige Wirtschaftskammer-Geschäftsführer Rene Tritscher. „Ein gewisses Wachstum“ kann er sich aber vorstellen. Doch in einem Punkt ist er sich sicher: „Dass da online plötzlich mehr Lebensmittel verkauft werden als andere Produkte – daran glaube ich nicht.“ (apa)
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