Wer hätte das gedacht: Fast die Hälfte der Luftfahrt-Unternehmen sieht sich selbst als digitale Nachzügler. Das zeigt eine repräsentative Befragung im Auftrag des deutschen Digitalverbands Bitkom. [...]
Gerade die Luftfahrt, die für viele als Symbol für moderne Branche schlechthin steht, weist nach einer repräsentativen Befragung unter 102 Vorständen und Geschäftsführern aus Unternehmen der Luftfahrtbranche eine schleppende Digitalisierung auf. Wobei: Das Ergebnis fällt sehr unterschiedlich aus. Demnach zählen 46 Prozent der Konzernchefs ihr Unternehmen zu den digitalen Vorreitern. Gleichzeitig sehen sich jedoch fast genauso viele Unternehmen (45 Prozent) allerdings im Hintertreffen. Sieben Prozent geben sogar an, sich mit dem Thema Digitalisierung noch überhaupt nicht befasst zu haben. „In vielen Luftfahrtunternehmen herrscht noch Nachholbedarf beim Thema Digitalisierung. Um wettbewerbsfähig zu bleiben und den Markt nicht neuen Playern zu überlassen, ist digitales Denken in Unternehmen aber essentiell“, sagt Marc Bachmann, Bereichsleiter Luftfahrt beim Bitkom. Sogar bei den Großkonzernen mit 500 und mehr Mitarbeitern sehen sich vier von zehn Unternehmen (39 Prozent) noch als Nachzügler. 62 Prozent schätzen sich als Vorreiter ein. „Damit die Digitale Transformation gelingt, müssen Unternehmen das Thema zur Chefsache machen und eine Strategie entwickeln“, so Bachmann. Derzeit hat ein Drittel der Unternehmen (32 Prozent) noch keine Strategie zur Bewältigung des digitalen Wandels. Weitere 27 Prozent haben nur für einzelne Unternehmensbereiche eine Digitalstrategie.
41 Prozent haben eine zentrale Strategie für verschiedene Aspekte der Digitalisierung, 27 Prozent verfügen immerhin über Teilstrategien. „Die Digitale Transformation bietet enorme Chancen für die Luftfahrt. Sie macht das Fliegen effizienter, sicherer und komfortabler und die Herstellung von Flugzeugen oder Flugzeugteilen kostengünstiger und flexibler. Darüber hinaus können neue Geschäftsmodelle auf der Grundlage innovativer Technologien wie Big-Data-Analysen oder digitalen Plattformen entwickelt werden“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. „Um die Digitale Transformation erfolgreich zu gestalten, müssen die Unternehmen den Wandel strategisch angehen. Hierbei kann es sinnvoll sein, mit großen Unternehmen der Digitalbranche und Start-ups zu kooperieren. Diese bringen neben reichlich Digital-Knowhow häufig auch frischen Wind in traditionsreiche Branchen und können helfen, neue Projekte zum Fliegen zu bringen.“
In der Bitkom-Studie wurde untersucht, wie sich die Digitalisierung auf die Luftfahrt auswirkt, also zum Beispiel auf die Aspekte Effizienz und Sicherheit, wie sie die „Customer Journey“, also das Reiseerlebnis der Kunden von der Buchung bis zur Ankunft, verändert, welche Rolle Industrie 4.0 in der Luftfahrt spielt und welche Konsequenzen diese Veränderungen für die Unternehmen und die Branche haben.
Fliegen wird durch die Digitalisierung komfortabler
Die „Customer Journey“ wird durch die Digitalisierung insgesamt deutlich einfacher und bequemer, sowohl am Boden als auch in der Luft. So erwarten zum Beispiel 42 Prozent der Befragten, dass der Einsatz von Augmented Reality zur besseren Orientierung am Flughafen im Jahr 2030 verbreitet sein wird, etwa in Form von Smart Glasses, die die Passagiere zum Gate lotsen. Alle Befragten (100 Prozent) sagen zudem, dass der vollautomatische Check-in mit Gepäckautomaten künftig verbreitet sein wird. An Bord wird es üblich sein, dass Passagiere ihren eigenen Video- oder Audio-Streaming-Dienst über das In-Flight-Entertainment-System nutzen können (100 Prozent). Fluggäste werden mit ihrem Smartphone telefonieren (98 Prozent) und über einen kostenfreien Internetzugang (96 Prozent) surfen können. Die meisten Befragten (92 Prozent) erwarten zudem, dass Passagiere im Jahr 2030 an Bord online shoppen und die gekauften Waren nach der Landung am Gepäckband abholen können. Die Möglichkeit, den Aufenthaltsort des eigenen Gepäcks mittels Smartphone-App in Echtzeit zu verfolgen, wird 2030 laut 91 Prozent der Befragten ebenfalls verbreitet sein.
Digitalisierung macht Luftfahrt effizienter, ressourcenschonender und sicherer
Die Digitalisierung erhöht zudem die Effizienz in der Luftfahrt. So erklären 92 Prozent der Befragten, dass digitale Technologien helfen, die zunehmende Nachfrage im Luftverkehr zu decken, zum Beispiel durch eine schnellere Abfertigung von Passagieren und Gepäck am Flughafen. Zudem werden Flugzeuge künftig mittels digitaler Technik eigenständig die effizientesten Routen wählen, wie 94 Prozent der Befragten sagen. Diese Form der Flugroutenoptimierung erfolgt in der Regel über eine Software, die aktuelle Flugzeug- und Wetterdaten in Echtzeit auswertet. 62 Prozent der Befragten sind zudem der Ansicht, dass digitale Technologien die Kosten in der Luftfahrt senken helfen. So macht sich beispielsweise eine effizientere Routenplanung unmittelbar im Kerosinverbrauch und damit in der Bilanz bemerkbar. Nicht zuletzt profitiert auch die Umwelt von dem Einsatz digitaler Technologien in der Luftfahrt: 56 Prozent der Befragten sagen, dass die Umweltbelastung im Luftverkehr mithilfe digitaler Technologien reduziert werden kann. Neben dem geringeren Kerosinverbrauch kann zum Beispiel auch der Fluglärm verringert werden. Innovative digitale Lösungen machen das Fliegen darüber hinaus sicherer, wie 97 Prozent der Befragten meinen, etwa durch verbesserte Anti-Kollisionssysteme.
Herstellung und Wartung von Flugzeugen wird smarter
Digitale Anwendungen wie Sensoren, 3D-Druck oder Augmented Reality werden künftig in der Flugzeugherstellung und -wartung eine große Rolle spielen, wie die Bitkom-Befragung zeigt. Zwei Drittel der Befragten (64 Prozent) gehen davon aus, dass sich die Produktion in der Luftfahrt im Jahr 2030 mittels digitaler Technologien selbst organisiert und weitgehend automatisiert abläuft (Industrie 4.0). Zudem erwarten sich die Befragten durch den Einsatz von Drohnen eine Unterstützung der öffentlichen Sicherheit und Wirtschaft, z.B. beim Pakettransport.
Unternehmen sehen große Chancen für neue digitale Geschäftsmodelle
Die digitale Transformation eröffnet auch Chancen für neue Geschäftsmodelle in der Luftfahrt, wobei die Experten das größte Potenzial in der Datenauswertung sehen. Bei einem datenbasierten Geschäftsmodell könnte ein Unternehmen beispielsweise Informationen zum Passagierverhalten an Flughäfen auswerten und darauf aufbauend eine Navigations-App entwickeln. 84 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass solche Modelle im Jahr 2030 zum Einsatz kommen. Auch plattformbasierte Geschäftsmodelle werden sich nach Ansicht vieler Experten (80 Prozent) durchsetzen. Dabei können beispielsweise über eine digitale Plattform Luftfracht und verfügbare Flugzeuge zusammengebracht werden. 78 Prozent der Befragten nehmen an, dass Geschäftsmodelle, die auf dem Prinzip der Share Economy beruhen, verbreitet sein werden, so etwa Mitflugzentralen. Rund die Hälfte (48 Prozent) sieht auch Potenzial für Geschäftsmodelle, bei denen zum Beispiel Triebwerke nutzungsabhängig vergütet werden.
Festhalten an traditionellen Geschäftsmodellen hemmt Innovation
Die Unternehmen sehen aber auch einige Hemmnisse für digitale Innovationen: So sind zwei Drittel der Experten der Ansicht, dass Luftfahrtunternehmen zu sehr an traditionellen Geschäftsmodellen hängen (68 Prozent). Weitere unternehmensinterne Hemmnisse sind fehlendes Kapital für Forschung und Entwicklung (61 Prozent) sowie mangelndes Knowhow im Management der Luftfahrtunternehmen (34 Prozent). Auch auf politischer Ebene sehen die Befragten einige Innovationshemmnisse: Zum einen fehle Unterstützung durch die Politik (73 Prozent), zum anderen unterliege die Luftfahrt einer zu starken Regulierung (30 Prozent). Als Innovationshemmnis sehen die Befragten außerdem, dass die Passagiere skeptisch gegenüber Innovationen in der Luftfahrt seien (34 Prozent).
Auch die Politik muss handeln
Für ein Gelingen der Digitalisierung der deutschen Wirtschaft sehen die Chefs der Luftfahrtkonzerne aber auch die Politik in der Pflicht. Als deren wichtigste Handlungsfelder nennen die Branchenexperten mit klarer Mehrheit (72 Prozent) den flächendeckenden Breitbandausbau mit mindestens 50 Mbit/s. Jeder zweite Konzernchef (53 Prozent) fordert außerdem bildungspolitische Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel.
Be the first to comment