Microsoft lanciert ein neues Desktop-Betriebssystem. Windows 11 wirkt mehr wie ein Upgrade. Für Unternehmen interessant ist hauptsächlich die Cloud-Version. [...]
Schon Windows 10 sollte das letzte herkömmliche Desktop-Betriebssystem sein. Anlässlich der Lancierung vor gut sechs Jahren hatte Microsoft verlauten lassen, künftig auch die Betriebssoftware aus der Cloud liefern zu wollen. Nun fährt Redmond zweigleisig: In Windows 11 gibt es nochmals eine neue Windows-Version, die allerdings auch aus der Cloud bezogen werden kann.
Windows 11 ist für die Bestandskunden kostenfrei. Den Endanwendern wird die neue Version auf Knopfdruck wie ein normales Update eingespielt. Firmen können bestimmen, wann der Wechsel geschehen soll. Dafür können die Administratoren vorhandene Werkzeuge wie Cloud Konfiguration, Microsoft Endpoint Manager, Windows Autopilot und Windows Update for Business verwenden. In Unternehmensumgebungen soll auch der Parallelbetrieb von Clients mit Windows 10 und Windows 11 möglich sein – beispielsweise, wenn Systeme im Einsatz sind, welche die hohen Systemvoraussetzungen des neuen Betriebssystems nicht erfüllen (siehe unten). Über ein Ende der kostenlosen Update-Frist hat Microsoft bis anhin keine Angaben gemacht. Für Kunden mit einem Lizenzvertrag ist diese Frist aber letztendlich sowieso Verhandlungssache.
Design, Teams, Android
Angesichts der neuen Bedienoberfläche scheint der Versionsschritt durchaus berechtigt. Das neue Fenster-Design mit abgerundeten Ecken, ein zentriertes Startmenü ohne die Kacheln, Desktop-Widgets wie in Windows Vista und 7 sowie «Snap»-Layouts für mehr Übersicht bei vielen geöffneten Fenstern sind nützliche respektive zeitgemäße Neuerungen. So finden sich User auch im Home-Office auf dem Bürobildschirm gleich wieder zurecht oder können die Business-Anwendungen permanent auf zwei Bildschirme verteilen, so wie sie es sich am Arbeitsplatz gewöhnt sind.
Aus dem Pandemiebetrieb kennen die meisten User nun auch Microsoft Teams, das neu Bestandteil des Betriebssystem wird. Es soll sich um eine abgespeckte Variante des Kollaborations- und Kommunikationsprogramms handeln, die allerdings wie das Vollprodukt Chats sowie Videokonferenzen von der Taskleiste aus erlaubt.
Weitere Programme – neu auch Apps genannt – beziehen die Anwender aus dem Microsoft Store. Bis anhin war die Auswahl vergleichsweise gering, wenn man die Stores von Apple und Google als Maßstab nimmt. Gemeinsam mit dem Entwicklungspartner Amazon bringt Microsoft demnächst Android-Apps auf den Windows-Desktop. Die Installation der Android-Programme wird über den bestehenden App-Store erfolgen, den Amazon heute für seine Fire- und Kindle-Modelle nutzt. Dort sind schon jetzt diverse Apps gelistet, die bisher nicht im Microsoft Store verfügbar waren, beispielsweise die Adobe Creative Suite, Instagram oder TikTok.
Hohe Systemanforderungen
Die neuen Funktionen, eine – wie Microsoft verspricht – wesentlich höhere Performance und schnellere Boot-Vorgänge sowie Neustarts muss der Anwender teuer bezahlen. Nicht mit dem Kauf der neuen Software, sondern mit der Investition in moderne Hardware. So setzt Windows 11 zum Beispiel einen Intel-Hauptprozessor der mindestens achten Generation voraus. Die Chip-Serie wurde 2017 erstmals verbaut, aktuell ist es die zwölfte Generation. Bei den AMD-Prozessoren müssen es Athlon- oder Ryzen-Modelle von 2018 oder jünger sein. Während 4 Gigabyte Arbeitsspeicher und 64 Gigabyte Festplattenkapazität für heutige Verhältnisse eher wenig sind, stellt Microsoft beim Grafikchip nochmals hohe Hürden auf: Der Beschleuniger muss kompatibel mit DirectX 12 sein. Diese Version hatte Microsoft 2014 lanciert.
Um die Sicherheit von Betriebssystem, Programmen sowie Daten zu erhöhen, stehen ein modernes UEFI-BIOS (Unified Extensible Firmware Interface) mit aktiviertem «Secure Boot»-Modus und ein Trusted Platform Module 2.0 (TPM) im Pflichtenheft für Windows 11. Für diese Komponenten muss nicht zwingend ein neuer Rechner angeschafft werden, allerdings eine neue Hauptplatine schon. Wenn sie dann verfügbar ist – in Zeiten weltweiter Halbleiterknappheit. Microsoft verspricht durch die Hardware-Sicherheitskomponenten kleinere Angriffsvektoren und damit weniger Gefahr von Datenlecks sowie Systemkorruption. Angesichts der großen Verbreitung von Windows und der daraus resultierenden Attraktivität für Angriffe stellen die neuen Hürden jedoch «nur» eine zusätzliche Herausforderung für Cyberkriminelle dar.
Administration und Betrieb
Angesichts der hohen Hürden bei den Systemvoraussetzungen ist in den (Heim-)Büros der Schweiz künftig durchaus eine Zweiklassengesellschaft denkbar: Kollegen mit älteren PCs «müssen» weiter mit Windows 10 arbeiten, die neu rekrutierten Angestellten mit moderner Hardware nutzen Windows 11. Erst eine komplette Client-Erneuerung beendet wohl diese Klassengesellschaft – und bringt der IT-Abteilung etwas mehr Ruhe. Wie realistisch dieses Szenario ist, veranschaulicht eine Analyse des Netzwerkspezialisten Lansweeper.
Der Anbieter hat die IT-Landschaft bei 60’000 Kunden mit über 30 Millionen Windows-Rechnern inventarisiert. Das Resultat bestätigt: Nicht einmal jeder zweite Business-PC ist parat für Windows 11. Der größte Knackpunkt waren bei 44 Prozent die Minimalanforderungen an den Hauptprozessor, der bei den meisten Rechnern schlicht zu alt war. Das «Trusted Platform Modul» war bei 28 Prozent der Maschinen abgeschaltet oder inkompatibel, bei weiteren 20 Prozent zu alt. Die kleinste Herausforderung stellte der Hauptspeicher dar: Bei nur 9 Prozent der Arbeitsplätze waren weniger als 4 Gigabyte RAM verbaut. Der Arbeitsspeicher sollte den Administratoren die wenigsten Kopfschmerzen bereiten.
Microsoft stellt den IT-Mitarbeitern zudem in Aussicht, dass sie nur noch einmal jährlich die Systemkompatibilität für ein großes Update prüfen müssen. Bis anhin standen diese Checks zweimal pro Jahr an. Windows 11 wird jährlich aktualisiert – mit 24 Monaten Support für die Home- oder Pro-Editionen und 36 Monaten Support für die Enterprise- und Education-Editionen, so der Hersteller. Die notwendigen Sicherheits- und Windows-Updates sollen außerdem zukünftig kleiner sein und im Hintergrund eingespielt werden, sodass die Anwender ihre Arbeit nicht unterbrechen müssen.
Windows as a Service
Den Launch des zukünftigen Windows hat Microsoft schon vorweggenommen mit der Vorstellung von Windows aus der Azure-Cloud im Juli dieses Jahres. Damals lancierte der Software-Konzern den Dienst «Windows 365». «So wie die Anwendungen durch Software as a Service (SaaS) in die Cloud kamen, bringen wir jetzt das Betriebssystem in die Cloud», umschrieb Microsoft-CEO Satya Nadella den Service. Endanwender und Unternehmen sollen Windows 10 sowie Windows 11 direkt aus der Cloud beziehen. Mit dem virtuellen PC ließen sich alle Anwendungen, Tools, Daten und Einstellungen auf beliebigen Endgeräten nutzen.
Die IT-Abteilungen können dank der Flexibilität der Cloud bezüglich Rechenleistung und Speicherplatz je nach Bedarf skalieren. Für sie werden außerdem die Bereitstellung, Aktualisierung und Verwaltung des Betriebssystems vereinfacht. Plus: Da alle Systeme und Daten ausschließlich in der Cloud existieren, können die Administratoren die Verantwortung für die Sicherheit der Infrastruktur abgeben. Microsoft setzt nach eigener Aussage auf das Zero-Trust-Prinzip. Alle Daten werden in der Cloud gespeichert und abgesichert statt auf dem Endgerät. Abgerechnet wird ebenfalls nach dem Cloud-Modell: Firmen zahlen einen monatlichen Festpreis pro (virtuellem) Windows-PC.
Windows und der Baggerfahrer
Selbst in einem Land wie der Schweiz mit überragend guter Netzwerkabdeckung ist das «Windows as a Service» aber wohl vorerst noch Zukunftsmusik. Sie ist schon leise zu vernehmen, für das Orchester müssen aber noch mehr 5G/6G-Dirigenten engagiert werden. Dann sollte Microsoft noch Betriebsmodelle vorstellen, wie firmenspezifische Fachanwendungen in den Windows-Instanzen ausgeführt werden können. Zu guter Letzt muss die Rechtslage geklärt werden, wer bei einem Cloud- oder Netzwerk-Ausfall haftet. Wenn das Geschäft komplett in die Cloud ausgelagert ist, steht der Betrieb schon nur bei einem Stromausfall, den ein unvorsichtiger Baggerfahrer auf einer der vielen Schweizer Großbaustellen verursachen kann.
Dem «Windows as a Service» wird die Zukunft gehören. Administratoren und auch IT-Entscheider tun gut daran, sich heute nicht nur mit Windows 11, sondern auch mit der Cloud-Variante zu beschäftigen. Denn Windows 11 kann nur ein letzter Kompromiss sein, bevor sich insbesondere Unternehmen davon verabschieden sollten, für ein neues Betriebssystem neue Hardware anzuschaffen – wozu sie angesichts der hohen Systemanforderungen fast schon genötigt werden.
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