Mit Daten Leben retten – Digitalisierung als Motor für das Gesundheitswesen der Zukunft

Mit der Zielsetzung, die richtige Balance zwischen Datenschutz und den Interessen der Datenwirtschaft zu finden, hat die EU drei neue Gesetzgebungsmaßnahmen für die Digitalwelt umgesetzt: DGA – (Data Governance Act), DMA (Digital Markets Act) und DSA (Digital Services Act). [...]

(© Microsoft/APA Fotoservice/Jan Hetfleisch)

Mit diesen Entwicklungen als Ausgangspunkt haben sich im Rahmen vom Europäischen Forum Alpbach Dr. Katharina Reich, (Chief Medical Officer, BMSGPK), Prof. Dr. Siegfried Meryn (Future Health Lab, Health Digital City Wien), Prof. Dr. Thomas Mück (stv. Generaldirektor der AUVA und Professor an der Sigmund Freud Privat Universität) sowie DI (FH) Hermann Erlach (General Manager Microsoft Österreich) über das richtige Gleichgewicht zwischen der Freisetzung von Innovationen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und dem Schutz der persönlichen Grundrechte und der Werte Europas ausgetauscht. Nicht nur allgemein, sondern auch speziell in Bezug auf das Gesundheitswesen, wo der Einsatz von Daten Leben retten kann.

„Wir müssen weg von der Verbots-Debatte und hin zur Chancen-Debatte,“ so Hermann Erlach über die Notwendigkeit einer positiven Einstellung gegenüber Digitalisierung und der Nutzung von Daten, womit er einen spannenden Diskurs mit reger Publikumsbeteiligung eröffnete.

Im Bereich Digital Health stehen besonders die Vorteile für Patient*innen im Mittelpunkt. Ärzt*innen, die künstliche Intelligenz bei der Diagnose einsetzen, finden weitaus häufiger Brustkrebs und retten mehr Leben. Hierbei ergänzen sich menschliche und maschinelle Fähigkeiten im Sinne der Patient*innen. Diese Vorteile müssen in den Fokus der Diskussion gelangen.

„Patient*innen brauchen ein fundiertes Wissen über ihre Daten – also wer hat meine Daten, wie kann ich sie nutzen, wem stelle ich sie zur Verfügung und vor allem: Was habe ich davon? Wenn der Mehrwert der Datennutzung im Gesundheitswesen nicht bei den Patient*innen ankommt, dann tun wir uns schwer,“ so Dr. Katharina Reich.

Weitere wichtige Aspekte von Digital Health sind die Einsparungspotentiale durch Digitalisierung im Gesundheitswesen sowie selbstverständlich der Datenschutz.

Gemeinsame Richtlinien, um Mehrwert für alle Bürger*innen zu garantieren

Oft werden Daten als die neue Währung oder gar als das neue Öl angepriesen. Doch dieser Vergleich greift zu kurz. Daten sind viel mehr der neue Boden auf dem, bei richtiger Bewirtschaftung, ständig erneuerbare Wirtschaftskraft wachsen kann.

Im Gesundheitswesen soll das Recht auf datengestützte Medizin und das Recht auf Datenschutz sinnvoll vereint werden. Gegenstand der Diskussion war, wie Richtlinien und Rahmenbedingungen in dieser Hinsicht aussehen könnten.

Thomas Mück teilte seinen Blickwinkel aus der Forschungssicht: „Gemeinsam genutzte Gesundheitsdaten in einem kontrolliert zugänglichen Health Data Pool sind der wichtigste Rohstoff für diesen zentralen Teilbereich der Datenwirtschaft. Für ein erfolgreiches Data Mining im Gesundheitswesen brauchen wir große Datenpools in pseudonymisierter Form. Sprich: Ich muss diese Daten einzelnen Personen zuordnen können, ohne dass klar ist, wer das ist. Das ist komplexer als anonymisieren.“

Einig waren sich die Teilnehmer*innen, dass es Zusammenarbeit über die Bereichsgrenzen braucht. Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sind Partner, die gemeinsam aus ihren Synergien schöpfen können. „Ein einheitlicher juristischer Rahmen sollte geschaffen werden, auch durch die EU,“ so Prof. Dr. Siegfried Meryn über die Rahmenbedingungen.

„Es ist zudem ausschlaggebend, koordinativ tätig zu sein, um zu vermeiden, dass eine Vielfalt an Insellösungen entsteht – vielmehr braucht es eine einheitliche Plattform.“

Transformation des Gesundheitswesens durch Digitalisierung darf kosten

Die Wissenschaft ist von den Vorteilen der Datennutzung längst überzeugt. Zahlreiche Studien von österreichischen Forscher*innen haben das in der jüngeren Vergangenheit belegt: „Wir müssen die Mediziner*innen nicht abholen, sie wollen bereits in den Zug einsteigen. Datengetriebene, KI-gestützte Systeme in der Forschung, Entwicklung und Patientenversorgung sind bereits „State of the Art,“ so Prof. Dr. Siegfried Meryn.

„Es gibt den starken Wunsch, dass die Politik hier tätig wird, statt darüber zu diskutieren, während der Zug den Bahnhof bereits verlässt,“ so Meryn weiter.

Der Wunsch nach mehr Digitalisierung im Gesundheitswesen wurde auch von Allgemeinmedizinern im Publikum bestätigt. Dabei drehte sich die Diskussion mit dem Publikum teilweise darum, welcher Zeithorizont für die Etablierung von papierlosen Krankenhäusern realistisch sei – auch in Hinblick auf die lange Entwicklungszeit von ELGA.

„Wir müssen den Digitalisierungsschub aus der Pandemie mitnehmen. Hier haben wir gezeigt, dass wir sehr rasch notwendige Innovationen umsetzen können,“ so Reich und nennt die Entstehung des E-Impfpasses als positives Beispiel.

Mück hält dazu fest, dass die österreichische ELGA ohne Zweifel ein Digitalisierungswerkzeug mit großem Zukunftspotenzial ist. Ergänzend ist jedoch „eine maßgeschneiderte Unterstützung des niedergelassenen Bereiches im Sinne von patient summaries und verwandten Konzepten jedenfalls erforderlich“.

„Es muss auch Geld in die Hand genommen werden,“ ergänzt Meryn: „Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern investiert Österreich sehr wenig in die Weiterentwicklung und die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Für eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie braucht es klare Schwerpunkte, messbare Ziele und konkrete Umsetzungsprojekte.“

Einige Schritte Richtung Datenwirtschaft im Gesundheitswesen wurden auch in Österreich bereits gesetzt, aber es sind noch viele Möglichkeiten offen. An Daten mangelt es Unternehmen im Gesundheitswesen nicht. Die Kunst ist, die Daten nutzenbringend auszuwerten und mit neuen Erkenntnissen auch neue Arten von Lösungen für die Patient*innen anbieten zu können. Dabei ist das Vertrauen in die Technologie ausschlaggebend, sowohl von Patient*innen als auch seitens der Leistungserbringer.

„Es gibt in Österreich sehr viele gute Anwendungsbeispiele, dennoch sind wir im europäischen Vergleich weit hinten, was die Nutzung der Cloud betrifft. Wir müssen die Cloud Technologie gemeinsam mit Datenschutz und -sicherheit vorantreiben – sie stehen nicht im Widerspruch zueinander,“ so Erlach über die Möglichkeiten der Cloud und betont die Vorteile: „Die Sicherheit in der Cloud ist um ein Vielfaches höher als bei selbst betriebenen Lösungen. Auch im Gesundheitswesen heißt es daher immer weniger ‚Cloud Ja oder nein?‘, sondern viel mehr: ‚Wie nutzen wir die Cloud am besten?‘“.

Ein Blick in die Zukunft

Die EU-Kommission hat im Frühjahr eine digitale Dekade für Europa angekündigt und damit eine Vision der digitalen Transformation Europas bis 2030 präsentiert. Die Ziele, die dabei gesetzt wurden, können nur durch Zusammenarbeit über Länder-, Unternehmens- und Bereichsgrenzen hinweg erreicht werden. Sowohl Politik, Wirtschaft als auch die Wissenschaft tragen dazu bei, auch in Österreich.

„Im Ministerium ist man gewillt, Innovation voranzutreiben,“ so Reich und skizziert eine Vision für die Zukunft: „Wir starten nicht von Null, die Standards in den Spitälern sind nur sehr unterschiedlich. Wir müssen zu einem einheitlichen System kommen, wo ELGA- und SV-Daten sowie der E-Impfpass zusammenlaufen. So entstehen digitale Akten, die die Patient*innen mitbringen können.“

Auch Entscheidungsträger*innen aus der Privatwirtschaft müssen das Investmentpotenzial in diesem Bereich erkennen, ist sich Erlach sicher: „In den USA und Asien sind die Investitionen im Bereich Digital Health in den letzten Jahren stark gestiegen, während sie in Europa stagnieren. Wir müssen sicherstellen, dass die Innovationen auch hier, in Österreich und Europa, weiterentwickelt werden – und dafür braucht es finanzielle Mittel.“

Das große Potenzial datengestützter Medizin ist unverkennbar. Datenschutz und Datennutzung im Gesundheitswesen müssen zueinander nicht im Widerspruch stehen, waren sich die Teilnehmer*innen am Podium einig. Um Österreich als Standort zu stärken und das Land zu einem interessanten Ort für Ärzt*innen und Forscher*innen zu machen, gilt es aber, Akzente zu setzen. Und zwar jetzt, denn der Zug ist dabei, den Bahnhof zu verlassen.


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