Eine jahrelange Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern – so zum Beispiel beim exzessiven Gebrauch von Handys, Smartphones und Schnurlostelefonen – könnte eventuell einen Beitrag bei Entstehung von Tumoren im Kopfbereich haben. [...]
Bei einer Pressekonferenz des Umweltdachverbandes mit Beteilligung mehrerer Initiativen wurde am Donnerstag in Wien der italienische Ex-Manager Innocente Marcolini als Betroffener präsentiert. Ihm hat man letztinstanzlich in Italien eine berufsbedingte Erkrankung samt Rente wegen einer solchen Exposition zuerkannt. Proponenten forderten für Österreich Grenzwerte und mehr Konsumenteninformationen. Die Mobilfunker bezweifeln diese Argumente vehement.
„Laut einer Ende November vom global größten Mobilfunkausrüster veröffentlichten Studie wird sich bis Ende 2018 die Zahl der genutzten Smartphones auf 3,3 Milliarden verdreifachen und die Mobilfunkanschlüsse werden auf ingesamt 9,4 Milliarden (derzeit 6,6 Milliarden, Anm.) steigen. (…) In Österreich gibt es praktisch keine Grenzwerte, keine Informationen für diesen Bereich. (…) Wenn man bedenkt, dass für jeden Kühlschrank Informationen und Warnhinweise auf dem Gerät sein müssen, ist für Handys nichts vorgesehen“, sagte Umweltdachverband-Präsident Gerhard Heilingbrunner.
Die Mobilfunk-Skeptiker wollen in Innocente Marcolini, ehemals Manager in einem italienischen Konzern, einen „Parade-Patienten“ vor sich haben. Der Betroffene: „Ich war beruflich gezwungen, mit dem Schnurlostelefon oder dem Handy länger als zehn Jahre täglich fünf bis sechs Stunden zu telefonieren.“ 2002 erkrankte Marcolini laut eigenen Aussagen an einem gutartigen Neurinom (Nervenfasertumor) an der linken Gesichtshälfte. Eine Lähmung des Gesichtsnervs war die Folge, nach einer Operation ist auch das linke Auge schwer betroffen. Der Italiener: „In erster Instanz wurde eine Invaliditätspension abgelehnt.“ Die zweite und die dritte Instanz gaben ihm in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren recht. Das Urteil ist rechtskräftig. Marcolini: „Ich will dringend darüber informieren, was einem widerfahren kann, wenn man Handys so intensiv nutzt wie ich es getan habe.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat einen Zusammenhang zwischen Mobilfunkgebrauch und solchen Erkrankungen als „möglich“ bezeichnet. Das bedeutet aber noch nicht, dass das auch der Fall ist. Der Wiener Umwelthygieniker Michael Kundi: „Es ist nicht so, dass das (exzessiver Handy-Gebrauch, Anm.) garantiert ungefährlich ist. Prävention vor einer massenhaften Erkrankung ist angesagt.“ Die bisher durchgeführten epidemiologischen Studien hätten eher Hinweise auf ein Risiko ergeben. Allerdings, so Kundi: „Es handelt sich um Erkrankungen mit sehr langer Latenzzeit.“ Deshalb würde man eventuell die Auswirkungen des weltweit milliardenfachen „Feldversuchs“ erst später bemerken können. Das hänge mit der exponentiellen Entwicklung der Zahl der Mobilfunk-Konsumenten zusammen.
Heilingbrunner formulierte drei Forderungen an drei Minister. An Infrastrukturministerin Doris Bures (S): „Es geht nicht an, dass es keine gesetzlichen Grenzwerte für elektromagnetische Felder gibt.“
An Gesundheitsminister Alois Stöger (S): „Gesundheitsschutz heißt frühzeitig handeln.“ An Konsumentenschutzminister Rudolf Hundstorfer (S): „Er hat die Mobilfunkbetreiber zu umfangreichen Warnhinweisen zu verpflichten.“
Das österreichische Forum Mobilkommunikation als Plattform der Mobilfunker bezweifelte in einer Aussendung unterdessen vehement die Argumente der Kritiker. Zur Urteilsfindung in dem italienischen Prozess um Innocente Marcolini seien Studien des schwedischen Wissenschafters Lennart Hardell herangezogen worden. Diese seien aber nicht plausibel, es gebe heftige Kritik von Experten wegen „schwer wiegender wissenschaftlicher Verfehlungen“. Millionenfacher Handy-Gebrauch in Österreich hat sich jedenfalls bisher offenbar nicht auf die Kopftumor-Rate niedergeschlagen. Das Forum Mobilkommunikation: „Denn wären die Ergebnisse seiner (Hardells, Anm.) Studien nur annähernd im Bereich des Wahrscheinlichen, müsste man heute in der Bevölkerung eine um zumindest 30 Prozent höhere Kopftumor-Inzidenzrate (Häufigkeit des Neuauftretens innerhalb eines Jahres pro 100.000 Einwohner, Anm.) finden als noch vor rund 20 Jahren. Ein Blick in die Daten der Statistik Austria besagt aber das Gegenteil: In der Zeit seit Beginn des flächendeckenden GSM-Mobilfunks 1995 bis 2009 (aktuellere Daten sind von der Statistik Austria noch nicht verfügbar) hat sich die Inzidenzrate von Kopftumoren von 9,9 Fälle pro 100.000 auf 8,7 Fälle pro 100.000 reduziert, auch die Gehirn-Krebsinzidenz ist mit 5,4 Fälle pro 100.000 im Jahr 1996 und 4,9 Fälle pro 100.000 im Jahr 2009 rückläufig.“
Der Vorwurf, man würde Gefahren ignorieren und bagatellisieren, ginge ins Leere und sei falsch. Piero Lercher, Referent für Umweltmedizin der Wiener Ärztekammer, forderte bei der Pressekonferenz eine vorsichtigen Umgang mit dem Mobilfunk. Das ließe sich durch einfache Verhaltensregeln tun. Eva Marsalek von der „Plattform Mobilfunk-Initiativen“ will, dass bei jedem Handy der SAR-Wert – die Belastung durch Strahlung am Kopf des Benutzers – angegeben wird: „Wir sollen den Mobilfunk keineswegs abschaffen. Die Dosis macht die Wirkung. Die Politik ist gefordert.“(apa)
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