Museen sind keine neutralen Orte, Digitalisierung kein neutraler Prozess

Ein aktuelles Projekt innerhalb der Berlin University Alliance untersucht, welche Ausgrenzungen digitale Technologien produzieren. [...]

„Ungleichheit, die in unserer Gesellschaft existiert, setzt sich auch in den Museen fort.“ (c) Unsplash
„Ungleichheit, die in unserer Gesellschaft existiert, setzt sich auch in den Museen fort.“ (c) Unsplash

Wird in Museen die Gesellschaft in ihrer Vielfalt abgebildet? Welche Künstler*innen dürfen ihre Werke zeigen? Wie patriarchal und männlich dominiert sind Museumssammlungen? Eröffnet die Digitalisierung neue Räume – oder schafft sie neue Ausschlusskriterien? Das sind Fragen in einer Debatte, die gerade geführt wird. Doch sie ist nicht neu. Museen als Orte werden seit Jahren kritisch in den Blick genommen. Schon seit 1985 machen die „Guerilla Girls“, eine US-amerikanische Gruppe feministischer Künstlerinnen auf die sexuelle und rassistische Diskriminierung in der Kunstwelt aufmerksam. Neu hinzugekommen ist die Debatte, welche Rollen Digitalisierung und KI in diesem Kontext spielen.

Zugänglich, divers, inklusiv, transparent?

Das Projekt „Museums and Society – Mapping the Social“ (Museen und Gesellschaft – Kartierung des Sozialen) innerhalb der Berlin University Alliance (BUA) hat sich dieses Thema zu eigen gemacht. Ein Team aus Mitgliedern verschiedener Hochschulen und Museen analysiert seit Projektstart im Jahr 2020 die Beziehung zwischen Museum und Gesellschaft. Das Team untersucht, wie zugänglich, divers, inklusiv, transparent und nachhaltig Museen sind. Und welche Sichtweisen privilegiert, marginalisiert oder gar nicht thematisiert werden. In vier Fallstudien wird in dem Projekt erforscht, inwiefern Museen Orte der Verständigung und des Austausches sind.

Eine dieser Fallstudien heißt „Digitale Bildwelten“. Durchgeführt wird sie von Dr. Lukas Fuchsgruber, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Verbundprojekt. Er forscht und lehrt am Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne der TU Berlin. Er geht der Frage nach, welche sozialen Ausschlüsse Museen durch die Digitalisierung produzieren. Dazu untersucht er Sammlungsdaten, digitale Netzwerke sowie verschiedene Schnittstellen der Vermittlung und des Datenaustauschs – von der Datenbank bis zum Social-Media-Projekt. Sein Fazit ist ernüchternd: „Museen sind zwar Orte, an denen sich Menschen mit der Gesellschaft auseinandersetzen, aber sie sind keine neutralen Orte. Und genauso sind auch die Techniken, die zur Anwendung gebracht werden, nicht neutral.“

Mit welchem Material wird KI trainiert?

Vermehrt präsentieren sich Museen auf Social-Media-Plattformen wie Facebook und Instagram. Eine Form der Kunst-Vermittlung, die auf eine größere Reichweite und auf neue Zielgruppen setzt. „Wir sehen einen steigenden Einfluss von sehr profitorientierten Internetkonzernen wie Meta und Google, die sehr viel mit Museen kooperieren, aber eben ein Geschäftsmodell verfolgen, dass auf der Ausnutzung der Daten der Benutzerinnen basiert“, kritisiert Lukas Fuchsgruber. Denn was passiert mit den Daten der Menschen, die den Museumskanälen folgen? Wie werden sie ausgewertet, wie kommerziell weitergenutzt? Wie vermittelt sich Kunst in so einem hochkommerzialisierten und auch sehr beschleunigten Kontext? Und adressieren die aus den Daten produzierten Algorithmen ein diverses Publikum? Besorgt sieht er auch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), um beispielsweise Bild-Informationen für Besucherinnen in Echtzeit bereitzustellen. „Trainieren wir die KI auf Datensätze, die rassistisches oder homophobes Material enthalten, dann werden sich Altlasten von diskriminierender Sprache weiter fortsetzen“, befürchtet er. Er kommt zu dem Schluss, dass nicht nur die Museen, sondern auch die Technologien demokratisiert werden müssen.

Interaktive Publikation „Weltbilder“

Zum Thema Rassismus in digitalen Sammlungen hat er mit seiner Kollegin, der Doktorandin Freya Schwachenwald, und Studierenden ein Projekt erarbeitet, das die digitalen Bildwelten untersucht. Gemeinsam haben sie Gemälde des 19. Jahrhunderts analysiert – unter dem Gesichtspunkt der Dekolonialisierung. Welche Namen werden zum Beispiel bei der Beschreibung der Herkunftsorte von Objekten verwendet? Sind es indigene Namen, jene, die die Kolonialmächte einst festschrieben? Oder benutzt man neutrale geografische Beschreibungen? Wie sind die Personen dargestellt? Sind es reale Menschen oder entspringen sie der Fantasie der Künstlerinnen von damals? „Die Gemälde des 19. Jahrhunderts sind in der Zeit des europäischen Kolonialismus entstanden“, sagt Lukas Fuchsgruber. „Sie sind keine neutralen Darstellungen eines Sachverhalts, sondern mit dem europäischen Blick gemalt.“ Sie zeigen Fantasien oder exotische Welten, sie zeigen Länder, die die Künstlerinnen oft nicht einmal besucht hatten.

Entstanden ist die interaktive Publikation „Weltbilder“. Die Studierenden haben digitale Spots auf den Gemälden platziert, die nun die vermeintliche Idylle stören. Sie haben beispielsweise das Gemälde „Zuckerrohrplantage“ von Ferdinand Konrad Bellermann mit dem Urteil „Ideelle Aneignung“ versehen und den digitalen Hinweis „Inszenierte Darstellung Indigener Völker“ bei der Darstellung einer Person mit Handkarren gesetzt. Eine moderne Art der Vermittlung, die auf einen kritischen Dialog zwischen Kunst, Wissenschaft und Öffentlichkeit setzt.

Wie komplex das Thema Digitalisierung der Museen ist, zeigt sich auch daran, dass eine digitale Audioführung zwar ein Gewinn für Hörende ist, aber gleichzeitig Gehörlose ausschließt. Und Personen ohne Zugang zu schnellem Internet oder hochwertiger Technologie profitieren zweifellos nicht von einem virtuellen Museumsrundgang. „Ungleichheit, die in unserer Gesellschaft existiert, setzt sich auch in den Museen fort.“ Lukas Fuchsgruber will Museen nicht vorschreiben, was sie zu ändern haben. Er will Denkanstöße geben. „Ich möchte als Kunsthistoriker kritisch reflektieren und mit meinen Forschungsergebnissen den Blick dafür schärfen, dass Digitalisierung zwar neue Räume eröffnet, aber sie für andere wieder verschließt.“


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