Um das "wichtigste Ziel seines Mandats als EU-Digitalkommissar zu erreichen", will Günther Oettinger bis Ende des Jahres einen Handlungsplan für 5G vorstellen. Dieser soll sicherzustellen, dass die EU aus den Möglichkeiten der neuen Mobilfunktechnologie Kapital schlagen kann und nicht die bei der LTE-Einführung gemachten Fehler wiederholt würden. [...]
„Europa war bei der Forschung von 3G und 4G sehr weit vorne, aber bei der Umsetzung spät dran“, sagte Oettinger in einer Veranstaltung auf dem Mobile World Congress. Dieser Fehler solle mit 5G nicht mehr passieren. Die EU werde bei der Entwicklung des neuen Mobilfunkstandards anderen Regionen nicht hinterherhinken. Um dies zu verhindern, kündigte der Politiker für Ende des Jahres einen Aktionsplan für die Einführung des neuen Mobilfunkstandards an.
Oettinger geht davon aus, dass 5G das Thema IoT antreiben und die Digitalisierung unterstützen wird. Und dabei, so Oettinger handle es sich immerhin um den größten Umbruch seit der industriellen Revolution, da etwa im Automotive-Sektor 50 bis 90 Prozent der Innovationen digital seien. Wichtiger Punkt des Handlungsplans sei es daher aus Sicht von Oettinger, die Forschung mit einer Investment-Strategie zu verbinden und die großen europäischen Unternehmen mit an Bord zu nehmen.
AUS DEN BEI 4G GEMACHTEN FEHLERN LERNEN
„Wir müssen aus den bei 4G gemachten Fehlern lernen“, wandte sich der Digitalkommissar an das anwesende MWC-Fachpublikum. So sei es sehr wichtig, eine Transformation auf den Massenmarkt hinzubekommen, es reiche nicht aus, nur eine Plattform durch eine andere zu ersetzen.
Der Plan soll bis Ende dieses Jahres verabschiedet werden, sagte er und fügte hinzu, dass der Plan nicht nur die Interessen des Telekommunikationssektors widerspiegle, sondern auch die von anderen Industrien, die aus der verbesserten Vernetzung von 5G und dem Internet der Dinge profitierten, etwa die Automobilindustrie, Gesundheit, Fertigung, Energie, Medien und der öffentliche Sektor.
Der Handlungsplan wird laut Oettinger nicht mehr als fünf oder sechs Bereiche umfassen, in denen man „gemeinsam über eine groß angelegte Initiative Unterschiede setzen kann“. Dazu gehören voraussichtlich ein vereinbarter Zeitplan für den kommerziellen Einsatz von 5G und die Planung der notwendigen Zwischenschritte; eine Strategie, die vertikalen Industrien zusammen mit dem Telekommunikationssektor zu beteiligen, einschließlich der Identifizierung von Synergien, einem Standardisierungsprozess und gemeinsame Investitionen in die Infrastruktur.
Außerdem wird es wohl Anreize für Investitionen in den Ausbau der Glasfaserinfrastruktur geben, die für den 5G-Backhaul benötigt wird. „Wir brauchen 5G nicht nur in der Luft, sondern auch auf dem Boden“, konstatierte der EU-Digitalkommissar. Erwartet werden zudem konkrete Vorschläge zur Anpassung der Spektrumverwaltung und Maßnahmen, um die nächste Regulierungsrunde der EU an die Anforderungen für 5G anzupassen.
„DIE INDUSTRIE IST IM PLAN“
Während Oettinger bereits von einer Aufholjagd spricht, sehen sich die TK-Ausrüster auf Kurs. „Die Industrie ist im Plan“, erklärte etwa Ericsson-CTO Ulf Ewaldsson (siehe auch „MWC 2016: An der Schwelle zu 5G“). Sein Unternehmen kooperiere bei 5G mit 20 verschiedenen Partnern aus Industriebereichen wie Bergbau, Gesundheitswesen oder Robotics und habe 20 Testbeds bei Carrier-Partnern im Betrieb. Gleichzeitig betonte Ewaldsson, dass 5G die größte Gelegenheit sei, die sich der Industrie jemals geboten habe – selbst im Vergleich zum mobilen Internet: Hohe Datenraten, eine große Kapazität, kurze Latenzzeiten und die Zuverlässigkeit der Verbindung – 5G sei eine Technologie, die all diese Bedürfnisse erfüllen könne. Zugleich biete die Technologie den durch Cloud-Anbieter unter Druck geratenen Telcos, die Möglichkeit für neue Geschäftsmodelle.
Unterstützung erhielt der Ericsson-CTO von seinem Counterpart bei Nokia, Hossein Moiin: Auch wenn die Standards noch nicht feststünden, sei man 5G-ready, erklärte dieser. Nokia und dessen Wettbewerber hätten gute Vorstellungen darüber, was möglich ist. Zwar wissen wir nicht, welche Anwendungen besonders genutzt werden“, so Moiin. Man habe jedoch aus der Zeit ab 2007 gelernt und so flexibel wie möglich programmiert.
Der CTO von Nokia verwies damit auf das Network Slicing, eine auf Software-Defined Networking (SDN) und Network Functions Virtualization (NFV) basierende Technik, mit der man je nach Anforderung bestimmte Eigenschaften aus einzelnen Frequenzbereichen zusammenstellen kann. Das Thema ist mit Hinblick auf die Netzneutralität alles andere als unproblematisch, nach gewissen Äußerungen von Oettinger kann man aber davon ausgehen, dass die EU-Kommission diese Steine aus dem Weg rollen wird.
* Manfred Bremmer ist Redakteur der Computerwoche.
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