Wie mit allen Buzzwords, wirft jeder gerne mit dem Begirff Cloud um sich und meint, damit eine Lösung für alle Probleme zu haben. [...]
Ich will hier darauf eingehen, was man unter einer Cloud-Strategie jenseits des Buzzwords versteht und warum das Thema gerade im E-Commerce besonders relevant ist.
Leider ist der Begriff Cloud in den letzten Jahren sehr abgenutzt worden, da jedes System und jede Dienstleistung in irgendeiner Weise „in der Cloud“ sein musste. Dazu kommt, dass wir in Deutschland und Europa sehr strenge Regeln und Gesetze haben, die eine Nutzung von Cloud-Strukturen und Cloud-Diensten, wie es in den USA schon längst Normalität ist, fast unmöglich machten. Inzwischen gibt es aber deutlich mehr Rechtssicherheit und vor allem auch neue Lösungen, die auf deutsche und europäische Anforderungen optimiert sind.
Betrachtet man die grundsätzliche Idee hinter dem Cloud-Gedanken, geht es hauptsächlich darum, Strukturen und Leistungen, die bisher monolithisch und in Eigenregie aufgebaut und gepflegt wurden, auf Services auszulagern und dadurch eine deutlich bessere Skalierung zu erreichen. Chancen zur Kostenreduktion sollte man natürlich mitnehmen, wenn sie sich ergeben, sie sollten jedoch nicht die Hauptmotivation einer Cloud-Strategie sein. Unserer Ansicht nach liegt der Hauptgrund für das Thema Cloud-Strategie in der Skalierung!
Denn wenn heute jeder Businessprozess und jede Leistung skalierbar sein muss, muss auch die gesamte Struktur und Servicelandschaft skalierbar geplant und umgesetzt werden.
Von der Struktur zum Service
Unterteilen wir die Systemlandschaft eines Unternehmens grob in die Bereiche Enterprise Software mit dem ERP System, dem PIM System, dem CRM System und weiteren Systemen, in Data Center Systeme mit dem Data-Warehouse und unterstützende Data Quality Services und in den Bereich IT Services in dem die Infrastruktur des Unternehmens und der Business Prozesse abgebildet werden, finden wir viele große Systeme mit dem Anspruch der Datenführerschaft in ihrem jeweiligen Gebiet. Mit dieser Datenführerschaft geht oft auch die Anforderung einher, das Management dieser Daten und damit die eigentliche Serviceerbringung selbst durchzuführen.
Halten wir dem eine serviceorientierte Struktur entgegen, haben wir zwar nach wie vor die für ihre entsprechenden Daten führenden Systeme oder Services, aber wir haben eine komplett neue Landschaftsstruktur für die Diensterbringung: Man lagert die Aufgaben in verschiedene XaaS Systeme, also X as a Service Systeme, aus.
Da es für fast alles entsprechende XaaS Systeme gibt, sollte man für die jeweiligen Dienste sehr strenge Bewertungskriterien anlegen:
• Unterstützt der Dienst die Zielerreichung des Unternehmens?
• Ist die Leistung des Dienstes von strategischer Relevanz für Skalierungseffekte?
• Welche Skalierung muss hier berücksichtigt werden und welche Grenzen werden durch den Dienst gesetzt?
Neben den konkreten Anforderungen als möglicher Entscheidungsgrundlage gibt es noch den Entscheidungsweg über verschiedene Regionen: Sind in der aktuellen strategischen Entscheidung regionale Unterschiede relevant? Das wäre der Fall, wenn man zum Beispiel in Regionen wie Russland, China oder USA über unterschiedliche Datenhaltungen nachdenkt. Dies beträfe dann rechtliche und technische Aspekte.
Zentrale Systeme werden nach wie vor eine wichtige Rolle in der Infrastruktur von Unternehmen spielen – ganz egal welche Cloud-Dienste es als Alternative gibt. Die Entscheidung zu einem Cloud-Dienst sollte nie getroffen werden, nur weil es den Dienst gibt. Wer unter dieser Prämisse allerdings gute Gründe für den Wechsel zu einem Cloud-Dienst – sei er nun selbst gemanagt oder über einen Dienstanbieter gebucht – findet, der ist mit seiner Cloud-Strategie sicher auf dem richtigen Weg.
Geschwindigkeit und Flexibilität als Entscheidungsgrundlagen
Wenn Kosteneinsparungen als Entscheidungsgrundlage keine große Rolle spielen sollen und Skalierbarkeit sowieso schon überall bedacht wird, welche Gründe sprechen dann noch für die Cloud?
Hier kommt das individuelle Business zum Tragen! Wie wichtig sind bei der Skalierbarkeit die Faktoren Zeit und Flexibilität? Sicher gibt es monolithische Systeme, die im gewissen Maße skalierbar sind. Doch wie schnell gelingt das? Wie flexibel lässt sich dabei auf individuelle Anforderungen reagieren? Und muss eventuell die Infrastruktur angepasst oder erweitert werden? Diese und weitere Fragen müssen im Sinne einer ernstzunehmenden System-Strategie umfassend beantwortbar sein, wie das folgende Beispiel zeigt.
Skalierungsbedürfnisse entstehen oft in Expansionssituationen, sei es in weitere Länder und in Internationalisierungsprozessen oder sei es durch die Erweiterung des Leistungsportfolios des Unternehmens. Betrachten wir den Fall einer Internationalisierungsstrategie. Nehmen wir an, für den heimischen Markt ist bereits alles hervorragend aufgestellt, und da man mit Weitblick geplant hat, ist die Expansion in andere europäische Länder kein Problem: Es gibt einen fast identischen Rechtsraum, es gibt eine einheitliche Währung, es gibt keine Einschränkungen des Warenverkehrs. Was aber, wenn sich die Unternehmensführung für eine Expansion zum Beispiel in den russischen Markt entscheidet?
Plötzlich steht man dann vor einer komplett neuen Rechtssituation was Datenhaltung und Datentransfer angeht. Hier gilt es, diese Bereiche hinsichtlich Sicherheit, Rechtskonformität und möglicher Auswirkungen auf bestehende Verträge und angebotene Leistungen genau zu bewerten.
Außerdem ändern sich Währung und Wirtschaftsraum, die Logistik muss gegebenenfalls neu aufgesetzt werden, und es stellt sich auch die Frage, ob der Warenverkehr ohne Einschränkungen möglich ist.
Aber es geht noch weiter: Wie werden in Zukunft die russischen Mitarbeiter auf die Systeme zugreifen? Werden alle Unternehmensinformationen in Russland im eigenen Netzwerk abrufbar sein? Wie sieht die Infrastruktur aus, wenn man zwei verschiedene Regionen in ein privates Netzwerk bringen will?
Die Fragen, die sich ergeben, sind vielfältig und gehen fast immer hinab auf die Detailebene. Wer hier jetzt auf einen Monolithen in der Heimat gesetzt hat, wird es auf jeden Fall schwer haben, eine leistungs- und kostenseitig sinnvolle Lösung für alle Mitarbeiter und Kunden zu schaffen. Doch was wäre, wenn man die Systeme zur Leistungserbringung als Services ausgelagert hat? Was wäre, wenn zum Beispiel der russische Online-Shop komplett unabhängig in einer eigenen Cloud-Instanz mit eigenem Datenbank-Master arbeiten könnte? Wenn die Systeme und Infrastrukturen, die man im russischen und im europäischen Markt nutzt, unterschiedlich wären und jeder Online-Shop nur eine Schnittstelle zu „seinem“ System bräuchte? Und wenn dann alle diese Satelliten-Systeme über eine zentrale Schnittstelle Transaktionen und finale Reports an das Hauptsystem senden würden?
Cloud-Systeme bieten in einem solchen Szenario nicht nur deutlich mehr Skalierungsmöglichkeiten, sie verbessern auch die Flexibilität mit der das Unternehmen auf neue Anforderungen reagieren kann, und sie erhöhen die Geschwindigkeit mit der reagiert werden kann. Beides kommt dem Erreichen der neuen Ziele zugute.
Die Bedeutung im E-Commerce
Wer im E-Commerce nachhaltig unterwegs ist, ist es bereits gewohnt, skalierbare Strukturen um sich herum zu haben. Die E-Commerce Plattform muss sich kontinuierlich an den Markt anpassen können und ebenso muss die Systemwelt des Unternehmens sich stets mit den aktuellen Anforderungen wandeln.
Egal, ob ein etabliertes E-Commerce Unternehmen den nächsten Wachstumsschritt angeht oder ein E-Commerce-Einsteiger sich dem „E“ vor Commerce öffnen will, verteilte Systeme werden immer einen großen Teil der Strategie ausmachen. Man kann es auch ganz einfach ausdrücken: Man braucht kein Universal-Tool, man braucht ein auf das individuelle Problem gerichtetes Tool. Die passende Systemwelt erhält man, in dem man die verschiedenen Systeme ihren Anforderungen entsprechend in Regionen und Märkte aufteilt. So entsteht eine interessante dreidimensionale Entscheidungsmatrix, die alle Anforderungen, Regionen und Märkte berücksichtigt. Sie zeigt plastisch, wo welche Systemlösung benötigt wird und wie ein Setup zur Erfüllung aller Anforderungen aussehen kann.
Sackgassen vermeiden
Unabhängig davon, ob man seine Systemwelt auf einer solchen Grundlage aufbaut oder ob die Systemwelt von vornherein als verteiltes System geplant ist, man muss auf jeden Fall vermeiden, dass in Zeiten von Wachstum oder Veränderung etwas entsteht, was sich einige Jahre später als „gewachsenes System“ bezeichnen lässt.
Der Weg in die Cloud ist kein Weg des „Fire and Forget“, und Nachhaltigkeit ist auch hier das oberste Gebot. Nachhaltigkeit in verteilten Systemen setzt eine vollständige Dokumentation von Infrastruktur und Systemwelt voraus und verlangt eine Planung bezüglich maximaler, konsequenter Flexibilität. So sollen Sackgassen in der Systemwelt vermieden werden.
Vergleicht man heute den Einsatz verteilter und monolithischer Systeme, wird man in den meisten Unternehmen einen wohldokumentierten Monolithen vorfinden. In verteilten Systemen, gerade in der Cloud, muss mindestens genauso viel in Nachhaltigkeit investiert werden. Eben weil man jederzeit in der Lage sein will, ein System zu kappen und durch ein anderes zu ersetzen oder zu ergänzen, muss die Konsequenz einer solchen Handlung immer vollständig klar sein.
Wer also eine Cloud-Strategie einführt, hat als Fokusthemen Nachhaltigkeit, Geschwindigkeit und Flexibilität auf dem Programm. Als IT-Strategen wissen wir vielleicht nicht, was das Unternehmen als nächstes für konkrete Herausforderungen meistern muss, aber wer sich genau diesen Fokusthemen widmet und sie meistert, wird sein Unternehmen für die Zukunft und alle Anforderungen, die da kommen mögen, perfekt aufgestellt haben.
*Der Autor Ralf Lieser ist Leiter Qualitätsmanagement bei dem Magento Enterprise Solutions Partner netz98.
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