Sustainability beziehungsweise nachhaltiges Wirtschaften wird für alle Unternehmen immer wichtiger. Lesen Sie was hinter Sustainability steckt. [...]
Nachhaltigkeit entwickelt sich mehr und mehr zum wohl größten branchenübergreifenden Trend des 21. Jahrhunderts. Klimaforscher warnen immer eindringlicher vor der weiter voranschreitenden Erderwärmung. Die Politik scheint die Signale endlich verstanden haben und setzt sich ehrgeizige Klimaziele. Hierzulande hat das Bundesverfassungsgericht im April 2021 die Regierung dazu verdonnert, die Ziele für mehr und Klimaschutz auch über das Jahr 2030 hinaus detailliert festzuschreiben.
Wie wichtig es ist, ressourcenschonend zu leben und zu wirtschaften, zeigt auch der sogenannte Erdüberlastungstag, der Jahr für Jahr weiter nach vorne rückt im Kalender. 2021 beispielsweise hat Deutschland bereits am 4. Mai – rein rechnerisch – seine gesamten verfügbaren Ressourcen für das laufende Jahr aufgebraucht. Ab diesem Punkt beanspruchen wir mehr Ressourcen, als uns eigentlich aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zustünden. Den Rest des Jahres leben wir quasi auf Pump.
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Um hier gegenzusteuern sind alle gefordert. Neben dem Staat müssen vor allem auch Unternehmen , Klima- und Umweltschutz in ihren Strategien verankern, um den Klimawandel aufzuhalten und den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen.
Sustainability – Definition
Nachhaltigkeit – neudeutsch Sustainability – beschreibt ein Handlungsprinzip, welches das Gleichgewicht zwischen Nehmen und Geben beschreibt. Ursprünglich kommt das Prinzip der ausgeglichenen Ressourcen-Nutzung aus der Forstwirtschaft und basiert auf dem Gedanken, nie mehr Holz zu schlagen, wie auch wieder nachwächst. Die neuere Begriffsauffassung, die die Vereinten Nationen in den 1980er Jahren definiert haben, beschreibt als das Ziel, stabile Gesellschaften über Generationen hinweg durch die Verbindung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Ansätzen für die gesamte Weltbevölkerung zu gewährleisten.
Plastikmüll in Weltmeeren, Hungersnöte in Afrika, Artensterben und allen voran der Klimawandel mit extremen Dürren und Überschwemmungen überall auf der Welt. Um diese Herausforderungen zu meistern, ist ökologische und soziale Nachhaltigkeit unabdingbar. Die UN ruft in ihren Sustainable Development Goals nicht nur Privatpersonen und staatliche Institutionen zu nachhaltigem Handeln auf, sondern vor allem auch Unternehmen.
Nachhaltigkeit – Klimaneutrale Unternehmen?
Fakt ist, dass Kohlenstoffemissionen für 81 Prozent der gesamten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind. Gemessen werden diese Emissionen in Millionen Tonnen. Deutschland allein war 2020 laut Bundesumweltministerium für 739 Millionen Tonnen Treibhausgase verantwortlich – davon ist ein Großteil auf Unternehmen und ihre weit verzweigten Produktions- und Lieferketten zurückzuführen.
Viele Großkonzerne auf der ganzen Welt wie Apple, Microsoft und Nike haben sich dazu entschlossen, ihren CO2-Fußabdruck drastisch zu reduzieren. Apple setzt sich sogar das ambitionierte Ziel, alle Produkte bis 2030 zu 100 Prozent klimaneutral zu produzieren, indem sie zum Beispiel Handys und Laptops zu größeren Teilen, aus recycelten Materialien herstellen, Energie in Stores, Büros und Rechenzentren besser nutzen sowie ihre Fertigungslieferkette komplett auf erneuerbare Energiequellen umstellen.
Doch auch andere Unternehmen wollen sich in den kommenden Jahren den Stempel „klimaneutral“ sichern, obwohl sie weiterhin Millionen Tonnen an Treibhausgasen ausstoßen. Das System dahinter nennt sich „Greenwashing“ und beschreibt Betriebe, die sich durch den Kauf von CO2-Gutschriften als grün, nachhaltig oder umweltfreundlich darstellen. Durch die Unterstützung von – mehr oder weniger – zertifizierten Klimaschutzprojekten hübschen Großkonzerne so ihre Klimabilanz auf. Diese Unternehmen sind also oft eher am grünen Schein als am grünen Sein interessiert.
Nachhaltigkeit messen – Scopes
Im ersten Schritt zur Kontrolle ihrer Nachhaltigkeit gilt es für Unternehmen, ihren CO2-Fußabdruck nach international anerkannten Standards wie dem Greenhouse Gas Protocol oder der ISO-Norm 14064 zu überwachen und dokumentieren. Dafür unterteilen Firmen die von ihnen verursachten Emissionen in drei Bereiche, sogenannte „Scopes“.
Scope 1: Direkte Emissionen
Scope 1-Emissionen sind direkte Emissionen aus unternehmenseigenen oder vom Unternehmen kontrollierten Ressourcen. Mit anderen Worten: Emissionen, die als direktes Ergebnis von Aktivitäten auf Unternehmensebene in die Atmosphäre gelangen. Es wird weiter in vier Kategorien unterteilt:
- Stationäre Verbrennung: Alle Brennstoffe, die Treibhausgas-Emissionen erzeugen wie zum Beispiel Kraftstoffe oder Heizquellen.
- Verbrennung: alle Fahrzeuge, die einer Firma gehören oder von ihr kontrolliert werden und Treibstoff verbrennen (PKW, Transporter, LKW)
- Flüchtige Emissionen: Austritte von Treibhausgasen (Kühlung, Klimaanlagen). Es ist wichtig zu wissen, dass Kältemittelgase deutlich gefährlicher sind als CO2-Emissionen. Unternehmen sind deshalb angehalten, diese Emissionen zu melden.
- Prozessemissionen: Bei industriellen Prozessen und bei der Herstellung vor Ort freigesetzte Emissionen (CO2-Produktion bei der Zementherstellung, Fabrikabgase, Chemikalien).
Scope 2: Indirekte Emissionen – im Besitz
Bei diesen Emissionen handelt es sich um indirekte Emissionen aus der Erzeugung von eingekaufter Energie durch ein Versorgungsunternehmen. Mit anderen Worten: Alle Treibhausgas-Emissionen, die durch den Verbrauch von eingekauftem Strom, Dampf, Wärme und Kälte in die Atmosphäre gelangen. Bei den meisten Unternehmen ist Strom die vorrangige Scope 2 Emission.
Scope 3: indirekte Emissionen – nicht im Besitz
Scope 3-Emissionen sind alle indirekten Emissionen – welche nicht in Scope 2 enthalten sind – die in der Wertschöpfungskette des berichtenden Unternehmens anfallen, einschließlich vor- und nachgelagerter Emissionen. Es handelt sich also um alle Emissionen, die mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens verbunden sind. Dabei wird nochmals in Upstream- und Downstream-Emissionen unterschieden.
Zu den Upstream-Emissionen gehören:
- Business Reisen (Flugzeug; Bahn; Bus; PKW etc.)
- Generierter Abfall (Produktionsreste; Abwasser)
- Produktionsgüter (Materialien, Komponenten und Teile)
- Sonstige Güter (Büroeinrichtung; Bürobedarf; IT-Tools)
- Produkttransport (Containerschiff; Frachtflugzeug etc.)
Die Downstream-Emissionen beinhalten:
- Gemietete Flächen (Büros, Lagerhallen, Produktionshallen)
- Gebrauch von verkauften Produkten (z.B ein Smartphone muss über viele Jahre benutzt werden, um die Emissionen auszugleichen, die bei der Produktion entstanden)
- End-of-Life-Treatment (wie wird das verkaufte Produkt schlussendlich vom Konsumenten entsorgt. Ziel ist die Herstellung von mehr wiederverwendbaren Produkten.)
Doch wer kümmert sich konkret um das Monitoring und die Umsetzung von Nachhaltigkeit im Unternehmen?
Sustainability Management – Tools
Seit einigen Jahren gibt es das Berufsbild des Nachhaltigkeitsmanagers in Unternehmen. Zu seinen Aufgaben gehört es, Nachhaltigkeit auf allen Ebenen eines Konzerns zu kommunizieren, egal ob Logistik, Marketing oder Vertrieb. Dabei ist wichtig, dass sich Sustainability Manager als Generalisten verstehen und nie „nur“ Ingenieure, „nur“ Sozialarbeiter oder „nur“ Vertriebsprofis sind. Da sie als eine Art Coach für Nachhaltigkeit im gesamten Unternehmen fungieren, gehört eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit zu den Grundvoraussetzungen. Nur so können sie die von ihnen ausgearbeiteten Nachhaltigkeitskonzepte auch passend umsetzen.
Insgesamt fußt Sustainability auf den drei Säulen der Ökologie, Ökonomie sowie dem sozialen Aspekt – Nachhaltigkeit darf deshalb nie nur mit klassischem betrieblichem Umweltschutz gleichgesetzt werden oder wie Nachhaltigkeitsmanager Ulf Wenzig von IKEA Deutschland es beschreibt: „Nachhaltigkeit […] bedeutet ja nicht nur, dass man Strom sparen und den Wasserhahn zudrehen sollte.“
Die Verbesserung der eigenen Nachhaltigkeit zu überwachen, ist meist kompliziert und zeitaufwendig, da Unternehmen angehalten werden, alle Daten zu dokumentieren – das reicht von betrieblichen Flügen bis hin zum verursachten Abwasser. Aus diesem Grund arbeiten zahlreiche IT-Lösungsanbieter an Tools, um Unternehmen dabei zu unterstützen, die notwendigen Daten zu sammeln, aufzubereiten und daraus die erforderlichen Nachhaltigkeitsberichte zusammenzustellen. Zu den Tools zählen zum Beispiel:
- Mit der GreenToken-Lösung von SAP lassen sich Verantwortlichkeit und Transparenz in globalen Lieferketten schaffen. Außerdem können so genaue Berichte über nachhaltige oder ethische Beschaffung erstellt werden, auch wenn Rohstoffe gemischt oder vermengt werden. So lassen sich fundierte Entscheidungen über die Beschaffung treffen und zuvor definierte Beschaffungsziele erreichen, verspricht der Anbieter.
- SAP Business Ecology Management setzt auf einen neuen Faktor der Nachhaltigkeit, die sogenannte „grüne Linie“. Diese Lösung soll Unternehmen Klarheit über ihren CO2–Fußabdruck verschaffen, mit dem Ziel, anstehende Vorschriften einzuhalten und ihren Fußabdruck im Laufe der Zeit zu reduzieren.
- Die Salesforce Sustainability Cloud hilft Unternehmen laut Anbieter, ihren CO2-Fußabdruck effizient zu quantifizieren, indem alle erforderlichen Daten mehr oder weniger automatisiert direkt in eine Plattform fließen und nicht erst aufwendig zusammengeführt werden müssen. Die Cloud erleichtert es außerdem mit einer Single Source of Truth, Klimapläne zu entwickeln, zu verwalten und zu überwachen. Das Tool dient zudem der Integration von datengestützten Erkenntnissen in Strategien und Betriebsmodellen. Unternehmen könnten so Kunden, Mitarbeiter und Investoren anhand von Datennachweisen von Ihrem Engagement für klimabewusste und nachhaltige Praktiken überzeugen.
- Mit Hilfe des Sustainability Snapshots von Spenoki lassen sich Momentaufnahmen des ökologischen, sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeitsstatus eines Unternehmens anfertigen und als Grundlage für Management-Entscheidungen verwenden. Das Tool führt alle wichtigen Nachhaltigkeitsdaten wie Materialverbrauch, Abfallverwertung oder Stromverbrauch an einen Ort zusammen. Das verringert den Aufwand, Daten mühsam zusammenzusuchen und dann in Excel-Tabellen zu packen. Auch Rechnungen können in dem webbasierten Tool hochgeladen und Belege digitalisiert werden. Diese Dokumente werden dann automatisch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten klassifiziert und die wichtigsten Datenpunkte extrahiert.
Nachhaltigkeit – höchste Zeit für Klimaschutz
Weltweit wird immer mehr CO2 ausgestoßen. Laut einer Statistik der EU-Kommission stiegen die Emissionen von 1990 bis 2019 weltweit von 22,7 auf 38 Milliarden Tonnen pro Jahr. Spitzenreiter war 2019 China mit 11,5 Milliarden Tonnen vor den USA mit 5,1 Milliarden Tonnen. Beide Länder zusammengenommen sind für fast 44 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich.
E-Mobilitäts-Pionier und Multimilliardär Elon Musk will gegensteuern. Aus diesem Grund rief er Anfang 2021 zum bisher größten Technologie-Wettbewerb aller Zeiten auf. Ziel der teilnehmenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Ingenieure im „XPRIZE“-Wettbewerb ist, im ersten Schritt ein umsetzbares Konzept zur Entfernung von 1000 Tonnen CO2 pro Jahr zu entwickeln und darzulegen, wie das Modell in der Folge auf Gigatonnen-Maßstab skaliert werden kann. Außerdem müssen sie einen Plan aufstellen, wie der Kohlenstoff für mindestens 100 Jahre gebunden werden kann.
Das von Elon Musk ausgelobte Preisgeld von 100 Millionen Dollar sollte findigen Köpfen genügen, um sich in naher Zukunft zumindest einige Konzepte zur Rettung des Klimas auf der Erde auszudenken.
*Bastian Seebacher ist freier Mitarbeiter der Redaktionen CIO und COMPUTERWOCHE.
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