Mit über fünf Millionen registrierten Adressen gehört .ru, das Kürzel für "Russia", zu den zehn meistregistrierten Top-Level-Domains der Welt. Die Ukraine fordert jetzt, dass .ru im Domain Name System gesperrt werden soll. Und United Internet handelt. [...]
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine setzt die ukrainische Regierung jetzt alles daran, den Aggressor zu isolieren – auf allen Ebenen. So trat vor wenigen Tagen Andrii Nabok mit einem ungewöhnlichen Antrag an die Internet-Organisation ICANN heran: Die ICANN solle die Top-Level-Domain .ru komplett sperren. Nabok ist Vertreter der Ukraine beim GAC (Governmental Advisory Committee) der ICANN – und die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers ist die oberste Wächterin über das Domain Name System (DNS). ICANN regelt weltweit die Vergabe von Domain-Adressen.
Ein Ausschluss von .ru aus dem Domain Name System hätte weit reichende Folgen: Alle Websites mit URLs unter dieser Top Level Domain (TLD) könnten nicht mehr aufgerufen werden, auch würden zum Beispiel russische Mail-Accounts nicht mehr funktionieren. Eine Sperrung von .ru im DNS ließe sich zwar mit technischen Mitteln umgehen, aber diese technischen Mittel müsste jeder Nutzer in seinem eigenen Browser installieren.
ICANN will keinen Präzedenzfall
ICANN lehnte den ukrainischen Antrag jedoch umgehend ab – und verwies auf seine Rolle als technischer Koordinator. In einem Antwortschreiben an Nabok heißt es, dass die Aufgabe der Koordinierungsstelle darin bestehe, den technischen Betrieb des Domain Name Systems aufrecht zu erhalten, ein Mandat für Sanktionsmaßnahmen in internationalen Konfliktfällen habe ICANN nicht.
Für Experten kommt diese Entscheidung nicht überraschend. ICANN scheut offenbar davor zurück, einen Präzedenzfall zu schaffen. Schließlich führt das 1996 in Kalifornien auf Initiative des US-Wirtschaftsministeriums gegründete Unternehmen den Erfolg des World Wide Web vor allem auf seine Neutralität zurück.
Europäische Registrys suspendieren .ru-Mitgliedschaft
Damit sind jedoch noch nicht alle Schwierigkeiten für .ru beseitigt. Bereits am 1. März hatte CENTR (Council of European National Top-Level-Domain Registries) die Mitgliedschaft der RU Registry Center suspendiert. Der Verband der Domain-Registrys für nationale TLDs stellte sich damit auf die Seite der Ukraine. Zwar betonte CENTR in einem Statement, diese Maßnahme richte sich nicht gegen die russischen Kollegen, man wolle aber Solidarität mit der angegriffenen Ukraine zeigen.
Eine Registry ist eine Stelle, die per Vertrag mit ICANN die Verwaltung einer TLD übernommen hat. Sie kann entscheiden, nach welchen Regeln und Grundsätzen Domains unterhalb der von ihr verwalteten TLD registriert werden dürfen. Für jede TLD gibt es jeweils eine Registry, für .de ist das beispielsweise DeNIC in Frankfurt am Main. Für den Vertrieb von Domain-Adressen sind wiederum Registrare zuständig, die ihrerseits Verträge mit Registrys haben. Der Rauswurf des RU Registry Centers aus dem Dachverband CENTR hat keine unmittelbaren Folgen für die Funktion von URLs unter der TLD .ru. Dennoch leidet die Zusammenarbeit der Registrys untereinander erheblich.
SEDO setzt Handel aus
Jetzt reagieren erste Registrare auf den Ukraine-Konflikt – und beziehen eindeutig Stellung. So hat die Domainhandelsplattform SEDO den Handel mit .ru-Domains – und mit denen des Nachbarlandes Belarus bis auf weiteres ausgesetzt. In einem Statement heißt es dazu: „Aufgrund der bestehenden Situation müssen wir darüber informieren, dass Sedo den Handel und das Parking von Domains unter .ru und .by aussetzt. Zudem können wir zum jetzigen Zeitpunkt Kunden mit Wohnsitz in Russland oder Belarus sowie entsprechenden Bankverbindungen nicht bedienen. Die betroffenen Accounts werden temporär deaktiviert.“ Die Entscheidung, auch Domains aus Belarus vom Handel auszunehmen, könnte unerwartete Auswirkungen haben: Die Top Level Domain .by hat eine gewisse Beliebtheit für Website-Betreiber, die in ihrer URL einen Bezug zu Bayern herstellen wollen. Auch der Starnberger Domain-Händler United-Domains hat .ru und .by offenbar derzeit nicht mehr im Angebot.
IONOS positioniert sich eindeutig
Beide Unternehmen gehören zum United-Internet-Konzern. Auch die Server- und Hostingsparte IONOS von United Internet hat sich eindeutig positioniert. In einem Statement, unterzeichnet vom gesamten IONOS-Vorstand, heißt es: „Um einen Beitrag zu den weltweit beschlossenen Sanktionen zu leisten, akzeptieren wir keine neuen Kundenverträge aus Russland und beenden entsprechend auch bestehende russische Kundenbeziehungen. Dies gilt ebenso für Geschäftsbeziehungen zu russischen Dienstleistern und Lieferanten. Derzeit prüfen wir sämtliche bestehende Lieferantenverträge.“
* Frank Kemper schreibt für com!Professional.
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