Norwegen und seine skandinavischen Nachbarn treiben die Errichtung umweltfreundlicher Rechenzentren voran. [...]
In der Business-Welt ist der Satz „Daten sind das neue Öl“ längst ein alter Hut. In Norwegen, einst an der Spitze des Nordsee-Ölbooms des vergangenen Jahrhunderts, ersetzen Rechenzentren nun das „Schwarze Gold“ als Hauptwirtschaftsfaktor. Es stellt sich die Frage, warum Unternehmen das skandinavische Land künftig als Lokation für ihre Datacenter berücksichtigen sollten.
Obwohl Norwegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht zu den wohlhabendsten Ländern Europas zählte, konnte es um die Jahrtausendwende eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt vorweisen. Öl und Gas aus der Nordsee machten 51 Prozent des nationalen Exports aus. Die Einnahmen aus dem Exportgeschäft wurden sukzessive in ein hochwertiges Energie– und Verkehrssystem investiert, das durch den Fokus auf einen starken Bildungsethos flankiert wurde. Um die ökonomische Abhängigkeit des Landes von dem fossilen Rohstoff ab 2020 schrittweise zu verringern, rücken Rechenzentren nun in den Mittelpunkt einer neuen, ökologisch nachhaltigen Agenda. Laut PA Consulting wurden in Norwegen, Schweden und Dänemark bereits über zweihundert Rechenzentren eingerichtet. Auch digitale Weltmarktführer wie Facebook, Google und Microsoft setzen auf Skandinavien, wenn es um Datacenter geht.
„Der Wandel ist eingeläutet“
In der Post-COVID-Wirtschaftslandschaft wollen viele Verbraucher und Unternehmer nicht in alte Gewohnheiten zurückfallen, sondern den Klimawandel angehen. Rechenzentren und ihre Auswirkungen auf die Umwelt stehen dabei ganz oben auf der strategischen Tagesordnung. Laut der Studie „Multi-tenant Datacenters and Sustainability“ von Schneider Electric und 451 Research, steigen die Erwartung von Kunden und der breiten Öffentlichkeit sowie die Anforderungen der Aufsichtsbehörden künftig weiter, da die Folgen des Klimawandels greifbarer werden: „In dem Maße, in dem die globale Rechenzentrumsinfrastruktur als Reaktion auf die steigende Nachfrage nach digitalen Diensten wächst, steigt auch das Interesse an den beträchtlichen Umweltauswirkungen dieser Infrastruktur“, meint Senior Analyst Daniel Bizo. Der Bericht betont, dass Anbieter und Cloud-Service-Provider in der Lage sind, die Umweltbelastung durch ihre Dateninfrastruktur zu verringern.
TIPP: Am 29.3.2022 findet die größte virtuelle Konferenz zu Nachhaltigkeit in der IT unter sustain-it.at statt. Jetzt anmelden!
Norwegen, dessen Energie zu 98 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammt, ist ein geeigneter Standortkandidat für klimaschonende Datacenter. „Nachhaltigkeit wurde von den Kunden auf die Tagesordnung gesetzt; der Wandel ist eingeläutet“, konstatiert Harald Riise, CEO von Compute Nordic, einem norwegischen Rechenzentrum, das zu 100 Prozent mit Wasserkraft betrieben wird. Dem Manager zufolge zieht es Unternehmen nicht nur wegen der grünen Energie, sondern auch aufgrund der gut ausgebauten Netzwerkinfrastruktur ins Land. Zu den ersten, die das erkannt hätten, gehörten dem Datacenter-Spezialisten zufolge vor allem Finanzdienstleister und wissenschaftliche Organisationen.
Nick Ewing, Geschäftsführer von Rechenzentrumsbauer EfficiencyIT, ist der Ansicht, dass Norwegen auch weiterhin umweltbewusste Unternehmen und solche, die ihre Kerngeschäftsfelder dringend verändern müssen, anziehen wird: „Die Automobil- oder Ölwirtschaft zum Beispiel. Deren Kerngeschäft weist eine negative Umweltbilanz auf, die durch den Umstieg auf geothermisch betriebene Rechenzentren verbessert werden könnte.“ Zugleich ließen sich Betriebskosten senken.
Riise geht davon aus, dass die Zahl der norwegischen Rechenzentren weiter steigt. Das führt er auf die Förderung durch die Politik und das Interesse der Anlegergemeinschaft zurück: „Norwegen hat billigen Strom und billiges Bauland, sodass ein Kapitalzustrom bereitsteht und einige große Infrastruktur-Akteure sich einbringen.“ Da die Finanzmärkte nach zehn Jahren Sparmaßnahmen und der anschließenden Pandemie unter Druck geraten sind, seien Anleger verzweifelt auf der Suche nach einem angemessenen Return on Investment, so der CEO.
Business Case Norwegen
Norwegen ist durch seine Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) regulatorisch an die EU angepasst, zugleich aber kein politischer Teil der Institution. Das bringt neben der erwähnten den Vorteil der Datensicherheit mit sich: CIOs können auf eine Datenverwaltung nach der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zählen. „Norwegen ist in einer glücklichen Lage: Unsere Kostenbasis ist niedrig und das Land vertrauenswürdig“, meint Riise. Dank angrenzender Nearshoring-Standorte wie Estland, Lettland und Litauen dürfte der norwegische Rechenzentrumssektor einen Aufschwung erleben. Zudem machen sich immer mehr CIOs die Fachkräfte der ehemaligen Sowjetstaaten zunutze.
Norwegens Investitionen in Datacenter sind Teil einer Welle umweltfreundlicher, digitaler Innovationen, die auch auf andere Länder übergreifen. Schweden und Dänemark haben ebenfalls Anstrengungen in Bezug auf den Datacenter-Sektor unternommen. EfficiencyIT nennt als Beispiele das „EcoDataCenter“ in Schweden, das die Wärme des Rechenzentrums zur Stromversorgung nahegelegener Gemeinden nutzt. „Das norwegische Energienetz ist für seine Widerstandsfähigkeit bekannt. Der Campus von BulkInfrastructure befindet sich direkt neben Europas größtem Umspannwerk für erneuerbare Energien mit zwölf unabhängigen Einspeisungen“, so Ewing.
In Europa, dem Nahen Osten und Afrika stieg die Datacenter-Nachfrage laut dem Immobilienunternehmen Knight Frank im Jahr 2020 um 11 Prozent. Auch Südkorea bleibt von diesem Trend nicht ausgeschlossen. „Es ist besonders spannend zu sehen, wie neue kleinere Rechenzentren als Antwort auf die steigende Nachfrage der Kunden nach neuen Technologien und Dienstleistungen entstehen, während geschickte Investoren nach Akquisitions- und Entwicklungsmöglichkeiten sowohl in den traditionellen als auch in den neuen Märkten suchen“, sagt Ben Stirk, Partner und Co-Head of Global Data Centres bei Knight Frank.
Laut 451 Research müssen die Betreiber die negativen Konsequenzen des Klimawandels für ihren eigenen Betrieb einkalkulieren: „Traditionell haben sich die Konstrukteure von Rechenzentren bei der Festlegung von Strom- und Kühlanlagen an historischen Wetterdaten für Temperatur und Feuchtigkeit orientiert. Jetzt müssen sie mögliche, neue Extremwerte berücksichtigen,“ fasst Analyst Bizo zusammen. Das betreffe nicht nur die Temperatur, sondern auch höhere Risiken von Netzausfällen und Dürreperioden bei Hitzewellen. Für bestehende Standorte stünden ebenfalls extreme Wetterereignisse und erhöhte Überschwemmungsrisiken ganz oben auf der Liste und Schutzmaßnahmen könnten teuer werden.
Die EU wird bei der Umstellung auf nachhaltige Rechenzentren eine wichtige Rolle spielen. Da die Nachfrage nach Rechenzentren in Europa voraussichtlich steigen wird, hat die Europäische Union im Rahmen ihres Konjunkturprogramms für die Zeit nach der Pandemie ein Paket nachhaltiger Maßnahmen geschnürt. Zudem zielt die europäische Green-Deal-Initiative von 2019 darauf ab, den größten Handelsblock der Welt bis 2050 klimaneutral zu machen, wobei Rechenzentren bis 2030 einen klimaneutralen Status erreichen sollen. Riise von Compute Nordic glaubt, dass sowohl die Nachfrage auf den globalen Märkten als auch die europäische Politik Innovationen vorantreiben werden. Außerdem sieht er die norwegischen Rechenzentren als Teil eines größeren Ökosystems aus vernetzten, nachhaltigen Unternehmen, die alle Bereiche abdecken: von der nachhaltigen Heizung über die Wasserstoffproduktion bis hin zu Indoor-Lachsfarmen.
Was CIOs und CTOs wissen müssen
Beispiele wie de Vorgänge in der Vorstandsetage von Exxon zeigen, dass CIOs und CTOs das Thema Nachhaltigkeit ernst nehmen sollten. Wenn nicht bereits geschehen, werden sie wahrscheinlich bald von ihren CEOs beauftragt werden, die negativen Umweltfolgen ihrer Technologie sowie des gesamten Unternehmens abzumildern.
Laut Ewing von EfficiencyIT können CIOs mit nordeuropäischen Rechenzentren die sogenannten Scope-3-Emissionen ihres Unternehmens senken. Das sind Emissionen, die weder selbst erzeugt (Scope 1), noch durch eingekauften Strom, Dampf, Wärme oder Kühlung entstehen (Scope 2). Alle weiteren indirekten Emissionen, die in der Wertschöpfungskette eines Unternehmens entstehen, fallen unter die Kategorie Scope 3.
Ewing weiter: „Es geht nicht nur um die Auswahl eines Anbieters, sondern um die Gewissheit, dass ich meine kritischen Systeme in die richtigen Hände gebe. Wie kann ich sicher sein, dass meine wichtigsten Ressourcen geschützt sind und welche Maßnahmen muss ich ergreifen, um ihre Verfügbarkeit zu gewährleisten?“ Er ergänzt, dass viele CIOs und CTOs je nach Hauptstandort, Größe und globaler Reichweite ihres Unternehmens eventuell zwei Standorte benötigen, wobei Skandinavien als Zweitstandort oder Teil eines größeren internationalen Netzwerks dienen könnte.
Abschließend weist Ewing darauf hin, dass ein Rechenzentrum in Norwegen zwar weniger CO2-Emissionen verursache, regelmäßige Standortbesuche von Mitarbeitern via Flugzeug aber kontraproduktiv seien. Das gelte vor allem, wenn in erster Linie Emissionen reduziert werden sollen. Automatisierung werde hier wahrscheinlich Abhilfe schaffen. Allerdings entwickle sich die Technologie nicht im selben Tempo wie die Nachfrage nach Rechenzentren. Trotz vollautomatisierter Prozesse könnte das Data Center weiterhin einen physischen Zugang brauchen.
TIPP: Am 29.3.2022 findet die größte virtuelle Konferenz zu Nachhaltigkeit in der IT unter sustain-it.at statt. Jetzt anmelden!
Transnationale Kooperationen
Alle drei nordischen Länder haben in den Rechenzentrumssektor investiert, doch statt Konfliktpotenzial sieht Riise vor allem einen kooperativen Charakter, von dem CIOs und CTOs profitieren werden: „Der Nordische Rat ist unsere eigene EU und wir haben Freizügigkeit sowie gute Handelsmöglichkeiten“. Außerdem würde der Erfolg eines skandinavischen Landes auch auf andere Mitglieder des Nordischen Rates übergreifen.
„Norwegen und das Vereinigte Königreich haben eine nahtlose Beziehung“, kommentiert Riise ein Handelsabkommen, das im Juni 2021 zwischen den beiden Ländern sowie Island und Liechtenstein unterzeichnet wurde. Das Abkommen sieht unter anderem vor, Digitalunternehmen zu fördern. Riise ergänzt, dass die beiden Länder seit langem enge Handelsbeziehungen unterhalten und das Vereinigte Königreich seit jeher einer der größten Handelspartner Norwegens ist.
Norwegens industrielles Erbe bedeutet, dass eine Fülle von technischen Kompetenzen vorhanden ist. Der Fokus auf Bildung hat dem Land ein starkes Fundament an Know-How für künstliche Intelligenz und maschinellem Lernen verschafft. Mit marginalen Ausfallzeiten und nachhaltiger Energie sind die Nordics auch gut aufgestellt, um die ethische Wahl für die energiehungrige Blockchain zu werden.
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer Schwesterpublikation IDG Connect.
*Mark Chillingworth schreibt für unsere Schwesterpublikation IDG Connect.
**Daniel Fejzo ist freier Mitarbeiter der Redaktion COMPUTERWOCHE.
Be the first to comment