Oculus Go im Test

Endlich: Günstiges Virtual Reality (VR) für jeden Anwender. Die kabellose VR-Brille im Härtetest. [...]

Die Oculus Go ist die erste Stand-alone-VR-Brille ohne PC und Kabel. (c) Oculus

Die Oculus Go der Facebook-Tochter ist im Prinzip nichts anderes als eine Samsung Gear VR – nur eben ohne ein Telefon. Stattdessen wurde der Chipsatz eines Smartphones gleich in die Brille gepackt. Mit dem neuen Stand-alone-Headset ab 240 Euro (32-GB-Version) kann nun jeder Anwender, ob unterwegs oder in der Badi, auf das mittlerweile grosse Angebot von über 1000 Gear-VR-Apps zugreifen. Der Touch-Controller, den Oculus mitliefert, erinnert von der Funktionsweise ebenfalls stark an den Gear-VR-Controller der letzten Samsung-Einschubbrille. Das Beste aber: Beide Gadgets, das VR-Headset und die Steuerung, sind technisch oder zumindest vom Bedienkomfort her noch eine Stufe besser als das Smartphone-Zubehör der Koreaner. Randnotiz: Weniger bekannt mag sein, dass sich Oculus als Hardware-Partner den Samsung-Gegenpol Xiaomi ins Boot geholt hat, da Oculus eine reine Software-Firma ist. Das überrascht nicht ganz, da der chinesische PC-Hersteller Lenovo mit der Mirage Solo soeben auch eine autonome Mobil-VR-Brille für Googles Daydream-Ökosystem auf den Markt losgelassen hat.

Google Daydream vs. Samsung Gear VR

Im Gegensatz zu Google Daydream, dessen vergleichweise karges App-Angebot doch mittlerweile auf einigen High-End-Smartphones wie dem Moto Z oder LG V30 zugänglich ist, beschränkte sich die Kompatibilitätsliste von Gear VR bzw. dem mobilen Oculus Store stets nur auf leistungsfähige Samsung-Galaxy-Geräte. Das sind im Wesentlichen das Galaxy S6 bis zum Galaxy S9(+), das Note 5 bis zum Note 8 und das Midrange-Telefon Galaxy A8 als Ausnahme. Wer beides aus den mobilen VR-Welten auf einem Smartphone ausprobieren wollte, konnte das bis jetzt nur auf dem Galaxy S8 und Galaxy S9. Allerdings ist dann der SamsungVR-Controller nicht kompatibel. Ganz schön kompliziert also für mobile Gelegenheits-VR-Ausflüge, wenn man nicht weiss, worauf man sich festlegen soll.

Alleinstellungsmerkmale

Eines ist sicher: Oculus hat bislang ganz klar die Nase vorn beim App-Angebot. Wer schon Inhalte aus dem Oculus Store gekauft hat, muss diese übrigens für die Oculus Go nicht neu erwerben. Grafische Höchstleistung für Videogames können aber Anwender auch hier nicht erwarten. Gedacht ist die VR-Brille vor allem für den Medienkonsum von 360-Grad-Videos oder Liveübertragungen von Konzerten. Und natürlich Social Media. Denn der Deal mit Oculus kostete Facebook mindestens 2 Milliarden US-Dollar. Das ist zwar ein Mini-Sümmchen im Vergleich zum 19-Milliarden-Dollar-Deal mit WhatsApp. Aber es wird klar: Mark Zuckerberg möchte auf alle Fälle auch soziale Apps mehr pushen, denn irgendwo muss sich das VR-Geschäftsmodel Geschäftsmodell bald einmal auszahlen. Interessant: Nur 40 Prozent der Gear-VR-User sollen sich laut aktuellen Zahlen des Unternehmens in virtuellen Spielwelten tummeln.

Lieferumfang

Oculus versteht es sehr gut, ein Produkt für den Konsumenten mit Stil zu präsentieren. Hat man den oberen Teil der Schachtel abgehoben, steht alles schön wie aus einem Verkaufsregal auf dem Tisch. Zum autonomen Headset gibt es den Bewegungs-Controller und eine AA-Batterie. Weiter, nebst eines Micro-USB-Ladekabels, enthalten sind eine Handschlaufe für die Steuerung und – ganz speziell: eine zusätzliche Kunststoff-Abstandshalterung für Brillenträger, damit man mit den Brillengläsern nicht die Linsen berührt und ein bisschen mehr Spiel hat. Diese Einlage wird zwischen Headset und Polsterung gesteckt.

Stichwort Brillenträger: Ist die Sehhilfe über 142 mm lang oder 50 mm hoch, rät die VR-Schmiede aus dem Menlo Park zu Korrekturlinsen, die man mit dem Rezept des Optikers sogar aus dem Zubehör im Oculus Store bestellen kann. Die Facebook-Tochter hat sich diesbezüglich wirklich etwas überlegt. Hat man keine Lust auf Kontaktlinsen oder ein teures Paar Korrekturlinsen (für ca. 80 Franken), muss man beim Umrüsten in den «Brillenmodus» gut darauf achten, die Linsenadapter zur Arretierung des Schaumstoffs sehr behutsam von den Gläsern zu entfernen. Geraten wird hier, diese mit zwei Fingern von den äusseren Rändern herauszuziehen. Das hat ein wenig Fingerspitzengefühl und Kraft gebraucht, denn die Halterungen sitzen ziemlich fest.

Die softwareseitige Einrichtung ist ultrasimpel. Eine kleine Installations-App für iOS und Android baut bei erstmaliger Einrichtung über Bluetooth die Verbindung zur Oculus Go auf. Die App dient nicht nur dem initialen Setup, sondern gewährt auch Einblick in die installierten Oculus-Go-Apps und die Akkurestkapazität des Headsets. Was leider fehlt, ist eine Speicherfüllstandanzeige. Nach der Installation von etwa 20 Nachrichtensendern- sowie Doku-Apps und zwei bis drei Spielen war der 32-GB-Speicher schon etwa zur Hälfte voll. Also nichts für Vielspieler. Das Gerät lässt dem Anwender nach der Ersteinrichtung etwa 25 GB frei für App-Installationen.

Tragekomfort und Displays

In unserem Test erwies sich das 471 Gramm leichte Headset mit dem gut gepolsterten Schaumstoff als sehr brillenverträglich. Die Konstruktion mit den drei Bändern ist ausbalancierter als bei der Gear VR. Zwar drückt das Headset minim auf die Nase, aber auch nach einer halben Stunde fühlt sich alles noch bequem an. Praktisch: Ein Sensor in der Mitte der Displaygläser erkennt wie bei der PSVR, ob man sich das Headset gerade aufsetzt. Heisst auch: Die Brille schaltet sich nach einem VR-Ausflug auch wieder von selbst ab. Facebook verwendet ein WQHD-OLED mit 2560 × 1440 Pixeln und einer RGB-Matrix bei einem Sichtfeld von angenehmen 100 Grad. Im Direktvergleich mit der letzten Gear VR und einem Galaxy S9+ ist die Schärfe deutlich besser bei den Menüs und Schriften. Auch der Fliegengittereffekt ist weniger ausgeprägt. Der Augenabstand lässt sich allerdings wegen eines fehlenden physischen Reglers (IPD) nicht einstellen.

Fixed Foveated Rendering

Trotzdem haben wir den Eindruck, dass, sobald man einen guten Sweetspot gefunden hat, wozu man am besten das Headset ein wenig nach oben und unten bewegt, in der Mitte alles deutlich schärfer zu sehen ist. Das liegt am sogenannten Fixed Foveated Rendering, bei dem nur der Bereich in der Mitte des Sichtfeldes in voller Auflösung berechnet wird. Die Inhalte werden dadurch in der Mitte des Sichtbereichs konstant mit 1280 × 1280 Pixeln gerendert. Zukunftsmusik wäre da natürlich eine Technik mit Pupillenverfolgung, die aber im Moment noch nicht marktreif ist und wohl auch zu teuer wäre. Der Nachteil der zentrierten Renderingtechnik ist jedoch die niedrigere Auflösung an Rändern und Ecken des Bildes. Doch insgesamt ist das Resultat deutlich besser als bei der Gear VR. Der Nachteil der Fresnellinsen mit dem typischen Ringmuster ist allerdings nun, dass es von unten bei der Nasenöffnung etwas mehr reinschimmern kann.

Mehr Hardware-Leistung und Lautsprecher

Angeblich erlaubt der Snapdragon-821-Chipsatz im Innern des Headsets, der mit Android 7.12 Nougat läuft, auch ein Quäntchen an Extra-Leistung. Entwickler können beispielsweise einige Spiele mit höherer Bildfrequenz von 72 statt 60 Hz laufen lassen, was dann in speziell optimierten Anwendungen etwas flüssiger zur Geltung kommt. Auch sehr positiv: Die integrierten Lautsprecher klingen erstaunlich gut, sodass man nicht zwingend auf einen Kopfhörer angewiesen ist. Einen Klinkenanschluss hat aber Oculus ebenfalls noch nicht wegrationalisiert. Den findet man an der linken Seite des Headsets beim Micro-USB-Ladeanschluss.

Lange Ladezeit

Das Aufladen der autarken VR-Brille dauerte auch mit einem Samsung-Fast-Charging-Smartphone-Netzteil gut zwei Stunden. Nicht viel anders verhält es sich bei der eigentlichen Betriebsdauer, die einen VR-Konsum von etwa zweieinhalb Stunden ermöglicht. Der Store der Oculus-Go-Umgebung ist übrigens genau gleich wie bei Gear VR. Man findet dort auch die dieselbe Aufteilung der Kategorien und zum Start einige Bundles mit Oculus-Go-Empfehlungen. Als News- und Doku-Junkie freuen kann man sich auf Apps wie Netflix in der Grossleinwandausführung und einige Nachrichtensender wie BBC, CNN und Arte mit eigenen VR-Dokus. Daneben werden mittlerweile viele gute Gratis-Spiele gelistet.

Ergonomischer Controller

Ergonomisch sehr gut in der Hand liegt der berührungssensitive Oculus-Go-Controller. Das Touchpad und die Home- und Zurücktaste, die man früher über die rechte Seite des Headsets bedienen musste, stehen dadurch in der Hand zur Verfügung und damit auch viele neue Anwendungen, in denen man auf etwas zeigen kann oder Spiele, in denen man eine virtuelle Waffe in der Hand hält. Der Oculus-Controller ist am Griff etwas dicker und fühlt sich wesentlich griffiger und bequemer an, was auch daran liegt, dass im Innern eine gewöhnliche AA-Batterie zum Einsatz kommt. Beim Gear-VR-Controller sind es zwei kleine AAA-Batterien, die wie bei der Oculus Go für einige Tage ausreichen.

Die Lenovo Mirage, die kommende Daydream-Stand-alone-Brille, hat aber der letzten Gear VR und der Oculus Go eine Sache voraus: Beim Gegenstück zur Google-VR-Welt kommt ein zusätzliches Positionstracking durch frontseitige Kameralinsen zur Anwendung. Die Oculus Go unterstützt dagegen nur drei Freiheitsgrade (3DoF). Die Mirage Solo verfügt über ein 6DoF-System. Gesten wie Ducken mit dem Kopf und ein grösseres Erfassungsspektrum des Controllers sind beispielsweise bei der Facebook-Brille nicht möglich. So hält man den Controller meist im unteren Sichtbereich. Auch plötzliche Trackingverluste des VR-Zeigegeräts können bei diesem System nach wie vor öfter eintreten.

Neue Datenschutzrichtlinien

Was den Datenschutz und die Verzahnung mit Facebook anbelangt, so hat das soziale Netzwerk noch kurz vor Einführung der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bei Oculus einen neuen Datenschutzbereich eingerichtet, der verspricht, dass Nutzer umfassender informiert werden. Das neue Privacy Center taucht auch bei der Oculus Go auf. Oculus speichere demnach «einige Angaben» nur auf dem VR-Gerät, dazu gehören sensible Daten wie Körpergrösse oder Kreditkartennummern. Dazu heisst es etwa: «Einige Daten, wie etwa Positions- und Bewegungsverfolgung, sind notwendig, damit die Oculus-Hardware richtig funktioniert. Nachdem die Daten für diesen Zweck verarbeitet wurden, werden sie anonymisiert, da wir sie nicht mehr an das Nutzerkonto binden müssen.»

Wie Oculus mitteilt, befindet man sich im regen Austausch mit Entwicklern und habe klare Bedingungen gestellt, wie gesammelte Kundendaten verwendet werden dürfen. Regelmässige Überprüfungen sollen Verstösse feststellen und entsprechende Strafen folgen lassen. Heisst wohl mit anderen Worten: Man muss selber wissen, ob man sich überhaupt auf Oculus-exklusive Erlebnisse «Oculus Rooms» mit dem virtuellen Spielzimmer und Wandfotos aus der Chronik einlässt, wenn einem die Politik des sozialen Netzwerks nicht ganz geheuer ist.

Preis und Verfügbarkeit

Ab rund 219 Euro bekommt man das Stand-alone-VR-Headset über den Oculus Store. Etwas teurer ist das Modell mit 64 GB Onboard-Speicher für ca. 269 Euro. Ob und wann Händler in Österreich die Brille aufnehmen können, ist noch nicht bekannt. Aber Oculus liefert je nach Verfügbarkeit in wenigen Tagen über eine Niederlassung aus den Niederlanden. Unser Testgerät, das wir gleich nach der Ankündigung bestellt haben, traf schon nach drei Tagen ein.

Fazit

Trotz des eingeschränkten Trackings des Controllers ist die Oculus Go ein sehr preiswerter VR-Guckkasten für 360-Grad-Unterhaltungsangebote. Der Preis von 240 Euro ist eigentlich sehr günstig, wenn man bedenkt, dass man für eine neue Gear VR mit Controller einen Hunderter zahlt, dann aber für gute Bildqualität auch mindestens ein Galaxy S7 (360 Euro) benötigt. Ein Smartphone in der VR-Brille kann zudem manchmal sehr heiss werden und in Kürze viel Akkulaufzeit verschlingen. Besonders praktisch an der Oculus Go ist die gute Verarbeitung und die Tatsache, dass man das Facebook-Headset überall in Betrieb nehmen kann.


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