Der jüngste Bericht des Rechnungshofes zur Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) in der Bundesverwaltung vom Juni 2025 offenbart eine ernüchternde Realität: Während auf EU-Ebene längst konkrete Vorgaben im Rahmen des AI Acts ausgearbeitet werden, verharrt Österreich in einer Phase der Unklarheit und des Abwartens. [...]
Zwar finden sich im Regierungsprogramm einzelne Hinweise auf KI, doch die praktische Umsetzung bleibt fragmentiert, vorsichtig und weit hinter internationalen Entwicklungen zurück. Anstatt eine Vorreiterrolle einzunehmen, verhält sich Österreich wie ein Zaungast in einem dynamischen Feld, das die öffentliche Verwaltung in den kommenden Jahren aber tiefgreifend verändern wird.
Fehlendes Fundament: Definitionen ohne Klarheit
Eine zentrale Feststellung des Rechnungshofes betrifft das Fehlen einer klaren und einheitlichen Definition von „KI-Systemen“ innerhalb der Bundesverwaltung (vgl. Schlussempfehlung Nr. 1 des RH). Ohne ein gemeinsames Begriffsverständnis bleibt die Umsetzung der EU-Vorgaben des AI Acts vage und inkonsistent. Ressorts und Behörden operieren auf Basis unterschiedlicher Interpretationen, was nicht nur Ineffizienz fördert, sondern vor allem Rechtsunsicherheit erzeugt. Der Rechnungshof fordert daher zu Recht die Entwicklung eines abgestimmten Klassifikationsschemas für KI-Anwendungen – ein Instrument, das regelmäßig aktualisiert und mit den Entwicklungen auf EU-Ebene harmonisiert werden müsste. Doch bislang bleibt dies ein theoretischer Anspruch, der in der Praxis nicht eingelöst wird.
Österreich auf der Bremse – ein internationaler Vergleich
Besonders deutlich wird Österreichs Zögern im internationalen Vergleich. Während andere europäische Länder (wie etwa Estland oder Dänemark) längst ganze Verwaltungsprozesse digitalisiert und KI-gestützt automatisiert haben, herrscht hierzulande speziell eines: Handlungsbedarf. Besonders spannend ist zudem der Blick in das Ausland nach Albanien, wo gegenwärtig der Vorschlag von Ministerpräsident Rama, eine „KI-Ministerin“ namens „Diella“ für öffentliche Anträge zu etablieren, kontrovers diskutiert wird. Der KI-Avatar hielt sogar schon die erste Rede – und zwar am 18. September 2025 im albanischen Parlament. Was man als PR-Coup abtun könnte, hat doch eine klare Signalwirkung – es zeigt, dass selbst kleinere Staaten mit begrenzten Ressourcen bereit sind, neue Wege zu beschreiten und das Potenzial von KI sichtbar zu machen. Österreich hingegen verharrt aktuell in einer Phase der Skepsis und Regulierung, noch bevor überhaupt praktische Erfahrungen gesammelt werden.
Verpasste Chancen durch übermäßige Vorsicht
Die Zurückhaltung hat ihren Preis. KI bietet enormes Potenzial, um Verwaltungsprozesse effizienter, transparenter und bürgerfreundlicher zu gestalten. Automatisierte Datenanalyse könnte Entscheidungen im Sozialwesen beschleunigen, KI-gestützte Sprachmodelle könnten mehrsprachige Bürgerkommunikation erleichtern und intelligente Prognosesysteme könnten Planungsprozesse in der Infrastruktur verbessern – natürlich unter Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen (Datenschutzrecht, etc.), der Vorgaben des AI Acts und ethischer Grundsätze. Doch anstatt solche Chancen zu ergreifen, blockieren unklare Zuständigkeiten, fehlende Ressourcen und eine restriktive Haltung die Entwicklung. Wenngleich es nie schadet, neuen Entwicklungen mit einer gewissen Vorsicht zu begegnen, so sollen wertvolle Innovationsmöglichkeiten ebenso nicht verspielt werden.
Regulierung als Chance – nicht als Ausrede
Der Rechnungshof hat den Finger in die Wunde gelegt: Österreich fehlt es an Klarheit, Mut und Tempo im Umgang mit KI in der Verwaltung. Es ist unbestritten, dass der Einsatz von KI in der Verwaltung sorgfältig reguliert werden muss. Datenschutz, Transparenz und Rechenschaftspflicht sind unverzichtbare Voraussetzungen, um das Vertrauen der Bevölkerung zu sichern. Doch Regulierung darf nicht mit Stillstand verwechselt werden. Der AI Act gibt den Mitgliedstaaten einen klaren Rahmen vor, der Gestaltungsspielräume eröffnet – und sie nicht verschließt. Während andere Länder bereits Erfahrungen sammeln und konkrete KI-Anwendungen etablieren, diskutiert man hierzulande noch über Definitionen. Das ist definitiv zu wenig. KI darf kein abstraktes Zukunftsthema bleiben, sondern muss zu einem ernsthaften und praktischen Werkzeug der Verwaltung werden – klar reguliert, mutig erprobt und transparent kontrolliert. Nur so kann Österreich verhindern, in einem der zentralen Felder staatlicher Modernisierung ins Hintertreffen zu geraten. Jetzt ist es an der Zeit, vom passiven Beobachter zum aktiven Gestalter zu werden.
* Marlon Possard lehrt und forscht an der Hochschule Campus Wien und an der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien und Berlin, wo er das Department für KI und Ethik leitet. Zudem ist er Gastforscher an der Harvard University (USA).

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