Aktuell wagen nur wenige Mittelständler den Schritt, IT-Services in entfernte Teile der Welt auszulagern. Dabei ließen sich Kosten sparen – vorausgesetzt, die IT-Verantwortlichen beachten einige Regeln. [...]
Offshoring ist schon seit Jahren ein ambivalentes Thema der Outsourcing-Debatte. Europäische Unternehmen sind besonders vorsichtig: Nur 14 Prozent der IT-Verantwortlichen schauen laut Deloitte in die Ferne, wenn sie Infrastruktur oder Dienstleistungen auslagern. Generell gilt: Je weiter von zu Hause weg, desto weniger attraktiv. Gleichzeitig attestieren die meisten dem Thema eine steigende Bedeutung. Das liegt vor allem an der Digitalisierung und dem damit verbundenen Wandel der Arbeitswelt.
Mithilfe Cloud-basierter Collaboration- und Produktivitätstools lässt sich die Nähe zwischen Dienstleister und Auftraggeber heute in global vernetzten Teamstrukturen abbilden. Zugleich locken Vorteile auf der Ebene der digitalisierten Prozesse, wenn es gelingt, Fachkräfte aus Indien, China und Malaysia einzubinden. Diese drei Nationen führen das Offshoring-Ranking bei der Auslagerung von Geschäftsprozessen und Softwareentwicklung laut A.T. Kearney an.
In der Vergangenheit waren viele Projekte aufgrund falscher Erwartungshaltungen zum Scheitern verurteilt. Die alten Probleme sind allerdings noch immer nicht ausgeräumt. Wer also ernsthaft über Offshoring nachdenkt, sollte umfassende Vorbereitungen treffen. Acht Stolpersteine im Überblick:
1. Rechtliche Rahmenbedingungen können tückisch sein
Ist der Entschluss gefasst, beispielsweise aus Indien IT-Dienstleistungen zu beziehen, müssen sich Unternehmen zunächst mit den rechtlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Dabei gilt es, Vorsicht beim Abschließen von Verträgen nach außereuropäischem Recht walten zu lassen. Häufig haben die Partnerfirmen aus Übersee Sitze im europäischen Ausland. Aus vertraglicher Sicht sollte europäisches Recht immer den Vorzug haben.
Die Vertragswerke, die die Partner abschließen, sind hochkomplex. Auf rechtlicher Seite fehlt den Unternehmen teilweise die Erfahrung. Die Folge: Unter Umständen kauft das Unternehmen nicht die Dienstleistung ein, die es eigentlich wollte, da der Partner ein anderes Verständnis davon hat. Auch die unterschiedlichen Auffassungen darüber, was als feste Verpflichtung und was als verhandelbare Leitlinie zu betrachten ist, liegen kulturell bedingt oft weit auseinander. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Datenschutz. Länder wie Indien oder China sind nicht an das europäische Datenschutzgesetz gebunden, weshalb Unternehmen bei der Übermittlung von Daten einen genauen Blick auf die gesetzlichen Vorgaben werfen sollten.
2. Die Kommunikation versagt schnell
Große Bedeutung kommt der Kommunikation zwischen den beiden Partnern zu. Schon die Sprachbarriere kann zu unterschiedlichen Interpretationen eines Auftrags führen. In den meisten Fällen ist Englisch die Geschäftssprache, doch die unterschiedlichen Ausprägungen sorgen für Verständnisprobleme. Außerdem sollten Outsourcing-willige Unternehmen auch die kulturellen Unterschiede berücksichtigen. Große Offshore-Anbieter, die in ihrer Heimat einen Namen haben, erwarten unter Umständen auch in Europa ein Entgegenkommen, das nicht ihrer hiesigen Marktstellung entspricht.
Fallstricke lauern auch im täglichen Umgang miteinander. Gut gemeinte Kritik kann beim Gegenüber schnell Befindlichkeiten verletzen. Kritik wird oft nicht konstruktiv aufgenommen. Hier können Workshops helfen, sich die verschiedenen Mentalitäten näher zu bringen. Die besten Ergebnisse erzielt die Arbeit mit sogenannten Zwillingen: Mitarbeiter aus beiden Ländern arbeiten über einen bestimmten Zeitraum gemeinsam am gleichen Ort. Das etabliert ein besseres Verständnis der Anforderungen und Aufträge.
3. Hoher Organisationsaufwand vereitelt Quick Wins
In der Regel liegen zwischen den Kollegen tausende von Kilometern. Die informelle Kommunikation entfällt also, was nicht zu unterschätzen ist. Sie spielt nämlich eine wichtige Rolle in Bezug auf reibungslose Abläufe und korrekte Arbeitsergebnisse. Diese Tatsache ist den Outsourcing-Verantwortlichen im Vorfeld oft nicht bewusst. Die räumliche Trennung hat zur Folge, dass die Ansprüche an die Ablauforganisation deutlich steigen. Routinen und Abläufe müssen klar definiert sein. Ein hoher Grad an Schriftlichkeit und große Disziplin der Beteiligten sind erforderlich, um die vereinbarten Abläufe zu leben.
Es ist also nicht verwunderlich, dass Unternehmen, die international agieren und entsprechend aufgestellt sind, den Einstieg ins Offshoring etwas leichter bewältigen. Sie haben bereits Erfahrungen mit mehrsprachiger Kommunikation und anderen Kulturen, was sicherlich als Vorteil zu sehen ist. Hilfreich sind auch Erfahrungen mit Werkverträgen und Outsourcing, da dies ein gewisses Verständnis für die Prinzipien der Steuerung einer im Ausland erbrachten Leistung mit sich bringt.
4. Der Offshore-Partner macht alles anders als gedacht
Grundsätzlich dürfen Unternehmen nicht der Illusion erliegen, dass die Zusammenarbeit mit einem Offshore-Partner genauso abläuft wie mit einem Partner vor Ort, nur in anderer Geschäftssprache. Diese Erwartungshaltung trägt zum Scheitern von Offshore-Projekten bei. Denn die Unternehmen müssen sich ihrerseits auch auf die Strukturen und Prozesse des Partners einstellen. Wieder das Beispiel Indien: Hier gilt in der Regel kulturell bedingt, was der Auftraggeber festgeschrieben hat – ganz egal wie sinnvoll das im Kontext des Projektes ist. In einem entsprechenden Annäherungsprozess kommt auf die Mitarbeiter zunächst Mehrarbeit zu. Weil sich die Prozesse ändern, regt sich Widerstand. Lastenhefte müssen beispielsweise deutlich präziser sein, als dies für deutsche Programmierer nötig ist. Auch kann die erbrachte Leistung nicht dem entsprechen, was sich das Unternehmen vorgestellt hat.
Anfangs kommunizieren die Unternehmen meist nur mit dem Vertrieb des Partnerunternehmens, der unter Umständen sogar in Europa sitzt. Verläuft dieser Austausch noch reibungslos, so muss das nicht für die Kommunikation mit den leistungserbringenden Einheiten des ausländischen Partners zutreffen. Verlässt sich das auftraggebende Unternehmen darauf, dass es ausreicht, immer wieder auf den Vertrag zu verweisen, ist Enttäuschung vorprogrammiert. Schnell herrscht Verwirrung, die in Unzufriedenheit mündet und schließlich zu Konflikten führt. Nehmen diese Überhand, ist die Qualität des Projekts gefährdet.
5. Leistungen besser klug auswählen
Große Bedeutung kommt deshalb der Wahl der Leistungen zu, die das Unternehmen outsourcen möchte. Am besten eignen sich Tätigkeiten, die ein großes Volumen und häufige Wiederholung erfordern. Sie müssen gut beschrieben und kommuniziert werden können. Asiatische IT-Dienstleister haben in der Regel hochstandardisierte, effiziente Softwarefabriken aufgebaut. Allgemein anerkannte Standards bearbeiten die Partner im Ausland meist einfacher und schneller als Eigenentwicklungen. Ebenfalls von Vorteil sind Leistungen, für die kein Eingreifen aus dem Land des Auftraggebers erforderlich ist. Gut geeignet sind dementsprechend Entwicklungs- und Betriebsthemen, also beispielsweise das Server-Management. Weniger gut eignet sich der Service Desk, da dieser sprachintensiv ist. Ebenfalls ungeeignet ist der Onsite Support, da er einer intensiven Betreuung vor Ort bedarf.
Auch durch geschickte Verteilung der Kompetenzen und richtiges Routing der Aufgaben, lassen sich Probleme vermeiden. Treten Offshore-Probleme bei einer Aufgabenstellung auf, sollten sich Unternehmen überlegen, diese zurück zu holen und eventuell durch eine besser geeignete Aufgabenstellung zu ersetzen. Flexibilität beim Auftraggeber zahlt sich hier nicht selten aus. Große Bedeutung kommt der Regelkommunikation zwischen den beiden Partnern und dem Reporting zu.
6. Das richtige Maß zählt: Standard versus Flexibilität
Allgemein ist es ratsam, das Organisationsmodell individuell an die Aufgabenstellung anzupassen. Als Ausgangsbasis sollten in jedem Fall Standard-Liefermodelle dienen, die sowohl die Kunden als auch die Anbieter in den meisten Fällen für Standardthemen vorliegen haben. Zu klären wäre dann, inwiefern sich der Anbieter an den Kundenprozess anpasst oder der Kunde bereit ist, seinen Prozess an den des Anbieters anzupassen.
Vor allem mittelständische Unternehmen sind damit oft überfordert. Es fehlt an Personal und Steuerungskapazitäten. Deshalb bieten diese Dienstleistung inzwischen auch europäische Unternehmen an, die als Hub zwischen den beiden Partnern fungieren. Diese Unternehmen standardisieren und integrieren, bündeln und leiten weiter. Sie sorgen dafür, dass die Partner aus dem Ausland die Anforderungen ihres Kunden erfüllen.
7. Klassisch oder agil?
Die Entwicklung der Software schließlich kann klassisch oder mit agilen Methoden erfolgen. Wird klassisch entwickelt, ist es besonders wichtig, die Aufgabenstellung präzise zu beschreiben. Hier kommen wieder die Sprachbarriere und die kulturellen Unterschiede ins Spiel, die eine genaue Definition unerlässlich machen. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, frühzeitig im Projekt eine Qualitätssicherung vorzunehmen, und zwar nicht nur für das finale Software-Testing, sondern bereits für Zwischenergebnisse. Auch die Spezifikationen des Projekts selbst sollten eine Qualitätsprüfung durchlaufe
Wird agil entwickelt, was in den meisten Projekten der Fall ist, kann sich das iterative Vorgehen schnell auszahlen. Zwar bringt Scrum als Standard für Offshoring-IT-Projekte gewisse Komplexitäten mit sich, etwa bei der Abbildung eines Festpreises. Eventuell notwendige Kurskorrekturen lassen sich jedoch schnell und zu einem frühen Zeitpunkt vornehmen. Auch hier kann die Arbeit mit sogenannten Zwillingen ein echter Gewinn sein.
8. Der richtige Zugang zu Expertenwissen
Beachten Unternehmen diese Regeln, können sich für sie durch Offshoring neben der Kostenersparnis noch weitere Vorteile ergeben. Sie erlangen Zugang zu Experten-Knowhow, um komplexe Probleme zu beheben. Experten in aktuellen Themenfeldern sind sehr gefragt. Wer die Möglichkeit hat, auch auf Experten aus dem Ausland zurückgreifen zu können, hat einen klaren Wettbewerbsvorteil. Darüber hinaus können Offshoring-Dienstleister auf große Teams zurückgreifen, mit denen sich in einem Factory-Ansatz beispielsweise aufwändige Migrationen deutlich schneller umsetzen lassen, als mit einem konventionellen Ansatz.
Fazit
Wer Offshore-IT-Projekte umsetzen möchte, darf keine unrealistischen Erwartungen haben. Wichtig ist es, die richtigen Problemstellungen auszulagern und Willens zu sein, auch die eigenen Prozesse für eine gute Zusammenarbeit zu verändern. Es lohnt sich, immer wieder zu hinterfragen, ob Kunde und Partner wirklich das gleiche unter einer Anforderung verstehen. Dienstleister können vor allem mittelständischen Unternehmen als Schnittstelle zum Partner aus dem Ausland eine Unterstützung sein.
Wer sich von Offshoring-Projekten schnelle Kosteneinsparungen erhofft, wird in der Regel enttäuscht. Zunächst bedeutet ein entsprechendes Projekt doppeltes Personal in vielen Bereichen. Erst wenn alle Prozesse gut eingespielt sind, verläuft der schrittweise Übergang von Aufgaben und Verantwortlichkeiten gefahrlos. Allerdings wird es in den wenigsten Fällen zu einer kompletten Auslagerung kommen. Gerade im Bereich Software Development hat sich gezeigt, dass eine Art Gewaltenteilung zwischen heimischen und Offshoring-Ressourcen den Erfolg sichert: Während Konzeption und Architektur auch geografisch nah am Kunden bleibt, lassen sich konkret zugeschnittene Entwicklungsaufgaben gut in entfernte Softwarefabriken vergeben.
* Hans-Jürgen Thieme ist Geschäftsführer der H&D International Group.
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