Online-Marketer erklärt: „Social-Bots verzerren die Demokratie“

Robert Klipp, Geschäftsführer der My Best Concept GmbH, über den erheblichen Einfluss von Bots auf sozialen Plattformen und darüber, welche Auswirkungen sie auf Politik und Gesellschaft haben. [...]

(Quelle: My Best Concept / Inka Englisch)

„Wie bilden wir uns heutzutage eine Meinung? Mithilfe der Tagesschau im linearen Fernsehen? Durch die Tageszeitung beim Frühstückskaffee? Oder bei hitzigen Diskussionen am Stammtisch in der Lieblingskneipe? Wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns eingestehen, dass diese Informations- und Diskursquellen vor allem für die jüngere Hälfte der Bevölkerung bloß noch Relikte der Vergangenheit darstellen. Meinungsbildung findet im Internet statt – genauer gesagt auf sozialen Plattformen.

Facebook, Reddit, Instagram, TikTok, X und Co. vereinen für ihre Nutzer Nachrichtenapp, Debattenschauplatz und Unterhaltungsmedium an einem Ort. Eine solche Aufmerksamkeitszentrierung birgt aber auch Gefahren. Likes werden zu Relevanz, Follower zu Ansehen und große Accounts damit zu echten Machtinstrumenten.

Doch was, wenn die Zahlen hinter den Profilen gar nicht die Wahrheit widerspiegeln und sich eine Mehrheitsmeinung einfach erkaufen statt wirklich erarbeiten lässt? Sogenannte Social Bots bieten Likes, Favs und Engagement für Geld und führen damit den eigentlichen Gedanken der Plattformen ad absurdum. Viel mehr noch: In Zeiten, in denen auch Politiker vermehrt online aktiv sind, verzerren Social Bots die Demokratie.         

Definitionsfrage

Anders als der Name vielleicht vermuten lässt, handelt es sich bei einem Bot nicht um ein recht simples Computerprogramm, das selbstständig sich wiederholende Aufgaben abarbeitet, und auch nicht um einen Roboter, wie wir ihn uns vorstellen.

So nutzen zum Beispiel Suchmaschinen wie Google Webcrawler, die automatisiert Inhalte aus dem Internet analysieren und so eine Schlagwortsuche erst ermöglichen. Es existieren Spambots, die vor unerwünschten Mails schützen und Chatbots, mit denen menschlich wirkende Unterhaltungen beispielsweise im Kundenservice möglich sind. Sie können also einem guten Zweck oder der Unterhaltung dienen, oder praktischerweise stumpfsinnige Arbeit abnehmen.

Bei Social Bots verhält sich dies jedoch anders: Oft tarnen sich diese Programme auf sozialen Medien als menschliche Nutzer – mit einem meist realistisch wirkenden Account inklusive Profilbild, Posts und Followern. Social Bots lassen sich darauf programmieren, automatisch Beiträge zu verfassen.

Je nach Ausgereiftheit simulieren sie menschliches Verhalten in sozialen Netzwerken mehr oder weniger gut. Doch erst die große Masse an automatisierten Accounts und deren gemeinsame Aktivitäten können überhaupt etwas bewegen, die politische Diskussion in den sozialen Netzwerken entscheidend beeinflussen oder sogar eine gesellschaftliche Gefahr darstellen.

Prominente Beispiele

Im US-Wahlkampf haben sich Social Bots längst etabliert. Bereits im Wahljahr 2016 stellte sich bei Analysen eine große Anzahl der Twitter-Follower beider Präsidentschaftskandidaten als Bots heraus – vermehrt noch aufseiten Donald Trumps.

Nach dem ersten TV-Duell trendete beispielsweise der Hashtag #TrumpWon auf Twitter, obwohl nach Einschätzung vieler realer Zuschauer und Medienexperten Clinton deutlich vorne gelegen hatte. Hier liegt der Verdacht nahe, dass im US-Wahlkampf gezielt versucht wurde, mit Social Bots die politische Meinungsbildung zum Vorteil Trumps zu manipulieren.

Auch bei der Brexit-Debatte mischten Bots in den sozialen Medien mit. Es ließ sich feststellen, dass bei den Kampagnen beider Lager – „EU-Verbleib“ oder „EU-Austritt“ – die Social Bots wohl eine große strategische Rolle gespielt haben. Zudem sprangen Trittbrettfahrer auf diesen Zug auf: So haben meist große Unternehmen die prominenten Hashtags beider Lager dazu benutzt, die eigene Sichtbarkeit im Internet zu erhöhen.

Auch bei aktuelleren Krisen wie dem Ukraine-Konflikt oder der Corona-Pandemie finden Bots Einsatz in der Stimmungsmache. Ganze Troll-Fabriken verbreiten pausenlos pro-russische Propaganda, was natürlich eine vergleichbare Gegenreaktion der Ukraine erfordert, und von Fake-Profilen geschürte Verschwörungstheorien zu Covid-19 halten sich weiterhin hartnäckig.

Bewusstsein entwickeln

Auch im heutigen politischen Diskurs finden Bots regelmäßig Anwendung. Unter den Likes, Kommentaren und Followern der X-Accounts von Politikern wie Annalena Baerbock, Robert Habeck, Hubert Aiwanger, Ricarda Lang oder Christian Lindner lassen sich automatisierte Fake-User finden, die bestimmte politische Agenden pushen – was sich besonders im Wahlkampf als sehr hilfreich herausstellen kann.

Das Problem: Tatsächlich lassen sich Social Bots auch heute noch gar nicht so leicht erkennen. Zwar arbeiten soziale Netzwerke selbst laufend daran, ihre Algorithmen in der Erkennung von Bots zu verbessern, scheitern aber immer wieder.

Um Fake-Profile selbst zu entlarven, können User prüfen, ob der Account über Profilbild, realistische Angaben zur Person und seriöse weitere Hintergrundinformationen verfügt. Bots haben zudem in der Regel nur wenige oder aber hauptsächlich andere Bots als Follower.

Ansonsten lassen sich Social Bots daran erkennen, dass sie sehr viele, stets ähnliche Beiträge posten oder Inhalte teilen, die immer von denselben Quellen stammen. Einzelne dieser automatisierten Profile zu erkennen, erweist sich jedoch natürlich oft nur als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein.

Nutzer von sozialen Netzwerken müssen ein Bewusstsein für diese Manipulation entwickeln und realisieren, dass sich online nicht immer alles so darstellt, wie es scheint. Nur so lässt sich ein zu großer Einfluss von Social Bots auf die Demokratie verhindern.“ 

*Als CEO und geschäftsführender Gesellschafter von My Best Concept, befindet sich Robert Klipp direkt am Herzen der Branche. Durch seinen technischen Background aus dem Maschinenbau-Studium, den Start bei Dirk Kreuter als Praktikant und seinen Weg an die Spitze einer Agentur erwarb Klipp ein Füllhorn an Wissen und konnte inzwischen Erfahrungen aus unzähligen Online-Marketing-Projekten sammeln. In seinem 2022 erschienenen Buch „Milliardengrab Agenturdienstleistung“ gibt er wertvolle Insidertipps für Unternehmer und etabliert sich dadurch weiter als einer der gefragtesten Experten in der Marketing-Branche.


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