Online-Medien müssen keine Klick-Sklaven sein

Suchmaschinen waren für viele Online-Medien lange Zeit die Hauptquelle für Traffic. Erste Medien wie das US-Magazin "The Atlantic" wollen ihr Hauptaugenmerk in Zukunft aber auf soziale Netzwerke als Kunden-Generator setzen. [...]

Suchmaschinen waren für viele Online-Medien lange Zeit die Hauptquelle für Traffic. Erste Medien wie das US-Magazin „The Atlantic“ wollen ihr Hauptaugenmerk in Zukunft aber auf soziale Netzwerke als Kunden-Generator setzen, wie mashable.com berichtet. Das bedeutet auch Änderungen bei Aufmachung und Art der Inhalte. War früher eine möglichst gute Reihung bei Google und Co ein Kriterium für Geschichten-Auswahl, ist bei der sozialen Strategie die Interaktion der User die wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen Artikel. Dieses Diktat der Echtzeit-Bewertungen gibt es nur im Online-Journalismus.
Egal ob Algorithmen oder User, die völlige Unterwerfung vor einer Kontrollinstanz führt langfristig nicht zum Erfolg, sagen Experten. „Weder Algorithmen noch User-Meinung können redaktionelle Arbeit ersetzen. Journalistische Relevanz erschöpft sich nicht darin, was Leser wollen, das wäre fatal. Auch den Lesern würde schnell langweilig, wenn die Medien sie nicht neugierig auf bisher Unbekanntes machten. Die alleinige Orientierung an sozialen Medien kann deshalb nicht die Lösung sein“, sagt Fritz Hausjell vom Institut für Publizistik der Universität Wien.
The Atlantic verstärkt momentan seine Online-Bemühungen. Da das Medium mittlerweile 40 Prozent aller Zugriffe über soziale Medien verzeichnet, soll der Auftritt zukünftig entsprechend optimiert werden. „Unsere Autoren denken jetzt nicht mehr an Search Engine Optimization. Jetzt geht es darum, eine Geschichte so zu präsentieren, dass sie sich viral verbreitet“, sagt Online-Vizepräsident Scott Havens. Auf diese Weise soll auch der Einfluss der Suchmaschinen auf die Inhalte zurückgedrängt werden.
„Früher sah es so aus, als ob Medien, die Geschichten nach den Suchergebnis-Wertungen gewichteten, das Internet beherrschen würden. Das war ein zynischer Journalismus-Ansatz. Wir schreiben jetzt nicht mehr, um die Aufmerksamkeit der Suchalgorithmen zu bekommen, sondern um euch dazu zu bringen, unsere Geschichten zu teilen“, sagt Journalist Bob Cohn. Diese Herangehensweise birgt allerdings ebenfalls ihre Gefahren, vor allem da Online-Medien im Gegensatz zu Zeitungen die Bewertung des Erfolgs einzelner Artikel ermöglichen.
„Nur weil ein Thema jetzt nicht bei den Lesern ankommt, heißt das nicht, dass es in einem halben Jahr noch immer so sein wird. Gesellschaftlicher Kontext ist hier ein wichtiges Kriterium. Redaktionen können sich nicht nur damit beschäftigen, was sich bisher gut verkaufen ließ. Wenn das alle machen, geht der USP eines Mediums verloren, es endet in der Beliebigkeit. Journalismus soll immer ein Stück weit Trial and Error sein“, so Hausjell. Qualitätsmedien und solche, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden, stellen sich öfter bewusst gegen die Erwartungen der Konsumenten.
„Für Onlinejournalismus gelten hier dieselben Regeln wie für die analoge Variante. Medien sollen zum gesellschaftlichen Wandel beitragen. Wenn sie nur wirtschaftliche Interessen verfolgern, hemmen sie die Entwicklung, statt sie zu befördern. Das ist auch aus ökonomischer Perspektive unsinnig: Wenn Menschen merken, dass Medien keine neuen Impulse mehr bieten, werden sie diese links liegen lassen“, erklärt der Experte. Nur durch ein gewisses Maß an Irritationen können gesellschaftliche Diskussionen angeregt werden.
„Nur wenn Medien ihre Kritik- und Kontrollfunktion wahrnehmen, können sie ihre gesellschaftliche Sonderstellung rechtfertigern. Wird ein Medium nur als Wahre gesehen, machen rechtliche und steuerliche Vorteile wenig Sinn“, sagt Hausjell.


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