Während in Österreich unter offenem Hochschulzugang noch die Absenz von Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen verstanden wird, erreicht er anderswo schon eine ganz neue Dimension: Bei Massive Open Online Courses, kurz MOOCs, kann jeder Lernwillige weltweit ohne finanzielle oder formelle Hürden speziell konzipierte Internet-Lehrveranstaltungen bei den Besten ihre Fachs besuchen. [...]
Der Erfolg des Konzepts ist enorm, 20.000 und mehr virtuelle Hörer auf der ganzen Welt nehmen an den Kursen von Prestige-Unis wie Harvard oder Stanford teil. Im angelsächsischen Raum wurde 2012 bereits zum Jahr der MOOCs (gesprochen: Mukhs) ausgerufen. War zu Beginn jedoch die Demokratisierung des Wissens das Ziel, wird zunehmend versucht, mit den für die Unis teuren Angeboten Geld zu machen. Und auch in Europa nimmt die Uni 2.0 langsam Fahrt auf.
Mit einer klassischen Vorlesung, die abgefilmt wird, haben MOOCs dabei kaum etwas zu tun. Sie orientieren sich vielmehr an den Sehgewohnheiten einer Generation, die mit Computerspielen groß geworden ist: Da zischt der Vortragende im Vorspann als gezeichnete Superman-Variante über den Bildschirm oder lässt den Spaßfaktor der von ihm vorgetragenen Witze von seinen Studenten beurteilen, die Videos werden immer wieder von einem kurzen Quiz oder Testfragen unterbrochen. Und auch bei der Bewerbung der einzelnen Kurse auf den jeweiligen Plattformen richten sich professionell gemachte Videos in der Art von Werbespots an die angehenden Fernstudenten.
MOOCs gibt es in den klassischen Uni-Formaten Vorlesung und (Online-)Seminar, teils erweitert um Tutorien-ähnliche Gruppenarbeiten mit Mentoren. In begleitenden Online-Foren können sich die MOOC-Teilnehmer austauschen, Lehrmaterial und Wikis gehören fix dazu. Sind schriftliche Aufgaben vorgesehen, werden diese wegen der großen Teilnehmerzahl von den Kollegen korrigiert.
Begonnen hat alles 2011 mit einer Vorlesung des Deutschen Sebastian Thrun, Professor für Künstliche Intelligenz in Stanford, der mit seinem Onlinekurs 160.000 Hörer erreichte. Mittlerweile hat Thrun mit „Udacity“ eine Firma gegründet, die MOOCs vor allem in Mathematik und Computertechnik anbietet. Ebenfalls in Stanford wurde die Plattform „Coursera“ gegründet, die mittlerweile mit 62 Unis weltweit Gratis-Onlinelehrveranstaltungen anbietet. Beim gemeinnützigen Anbieter „edX“ haben sich renommierte Unis wie Harvard, das Massachusetts Institute of Technology (MIT) und die University of California in Berkeley zusammengetan, zuletzt kamen auch die ETH Lausanne oder die University of Toronto dazu.
TEUER, ABER ALTERNATIVLOS
Für die Unis selbst ist das Unterfangen nicht billig: Wer etwa einen Kurs von „Coursera“ kostenlos bereitstellen will, muss dafür 350.000 US-Dollar (269.800 Euro) hinlegen. Geht es nach der „New York Times“, haben die Unis allerdings gar keine Alternative dazu, sich auf einem sich im Netz neu ordnenden Bildungsmarkt als starke Marke zu etablieren. MOOC-Pionier Thrun geht sogar davon aus, dass in 50 Jahren die Hälfte des akademischen Markts von nur noch zehn Institutionen abgedeckt werden wird. Und so bieten Hochschulen, die in der Regel von den wenigen aufgenommenen Studenten horrende Studiengebühren für den Besuch verlangen, ihr Angebot vorerst weiter gratis im Netz an.
Gleichzeitig werden allerdings Möglichkeiten gesucht, wie durch das Modell Geld in die Kassen der Unis zurückgespült werden kann. „Coursera“ hat etwa Ende 2012 bekannt gegeben, Informationen über besonders erfolgreiche Kursteilnehmer gegen Bares an Unternehmen weiterzugeben, sofern die Hörer dem zustimmen. Auch „Udacity“ und „edX“ verdienen an Jobvermittlung. „Udacity“ bietet außerdem auch maßgeschneiderte Kurse für Firmen an: Zugänglich sind diese zwar wie klassische MOOCs für jeden, den ersten Zugriff auf die Daten der Kursteilnehmer hat aber das Unternehmen.
Andere Plattformen bieten ihre Kurse zwar kostenlos an, verlangen aber für ein – auch an nicht-virtuellen Unis anrechenbares – Leistungszertifikat moderate Beträge. Aber wie genau mit dem Modell Geld verdient werden soll, ist auch den Initiatoren selbst noch nicht klar. „Ich glaube, darauf gibt es noch keine gute Antwort“, meint etwa MOOC-Wegbereiter Thrun. Bei „Coursera“ wird allerdings betont, dass Studenten aus Entwicklungsländern die Gebühr ohne großes Nachfragen erlassen werde, wenn sie sich diese nicht leisten können. Immerhin gehe es dem Unternehmen um Bildung und nicht Profit. Deshalb soll ausgehend von Analysen der Nutzerzahlen das Angebot auch auf nicht-englischsprachige MOOCs ausgeweitet werden.
EUROPA HINTERHER
In Europa kommen die MOOCs erst langsam auf den Radar der Unis, wie eine aktuelle Studie der European University Association (EUA) unter 175 Hochschulen aus 38 Ländern zeigt. Demnach geben 42 Prozent an, noch nie von MOOCs gehört zu haben. Nur an jeder dritten europäischen Hochschule wurde bereits über diese neue Lehr- und Lernform diskutiert. Die prinzipielle Offenheit MOOCs gegenüber ist aber da: 88 Prozent wollen mehr über sie lernen und 44 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass sie in Europa vorangetrieben werden sollten.
Auch an den österreichischen Unis nähert man sich erst an MOOCs an. Fernlehre und E-Learning seien in der Universitätenkonferenz (uniko) ständig Thema, betont Generalsekretärin Elisabeth Fiorioli und auch MOOCs stünden bereits auf der Agenda der uniko. Eine gemeinsame Strategie gebe es aber noch nicht. Der Vorsitzende des Forums Lehre in der uniko, Martin Polaschek, betont ebenfalls die prinzipielle Bereitschaft der Unis, MOOCs zu nutzen. Im Wintersemester werde die uniko „im kleineren Rahmen in diese Richtung gehen“, sagte er gegenüber der APA. Gleichzeitig schränkt er aber ein: „Das ist sehr zeit- und kostenaufwendig.“ Noch nicht geklärt ist die Frage, ob MOOC-Lehrveranstaltungen auch für klassische Studien anrechenbar sein sollen, wie das in den USA teils schon praktiziert wird. Das sei ein juristischer Graubereich, so Polaschek. Zumindest einzelne Initiativen gibt es aber auch in Österreich bereits. So haben Martin Ebner und von der Technischen Uni (TU) Graz und Sandra Schön von Salzburg Research gemeinsam ein Konzept für ein MOOC entwickelt. Thema der sieben Kurseinheiten ist eine Einführung in das Lernen und Lehren mit Technologien – also ein MOOC darüber, wie gute MOOCs gestaltet werden sollen.
In Deutschland ist die Entwicklung hingegen schon weiter: Die Leuphana-Universität in Lüneburg hat dort eine „Digital School“ gegründet, die Studieninhalte und Lernmaterialien speziell für Netz-Studenten aufbereitet und wo alles – von der Vorlesung über Tests und Teamarbeit bis zum Kontakt mit dem Professor – online abläuft. An der Uni denkt man darüber nach, künftig nicht nur einzelne Kurse online anzubieten, die (bei kostenpflichtiger Ausstellung eines Zertifikats) auch als Studienleistung an der Leuphana und anderen Unis angerechnet werden können, sondern gleich ganze Studiengänge. Schon im vergangenen Herbst hat das Hasso-Plattmer-Institut der Uni Potsdam erste offene Gratis-Online-Kurse angeboten, mit jeweils mehr als 10.000 Teilnehmern. Mit www.opencourseworld.de gibt es mittlerweile auch schon eine hochschulübergreifende Plattform für MOOCs in Deutschland.
Während Europa erst auf den MOOC-Zug aufspringt, wird an US-Hochschulen unterdessen bereits gegen das Online-Modell Stimmung gemacht: So wehrte sich die Philosophie-Fakultät der San Jose State University gegen die Order der Uni, MOOCs mit Promi-Professoren von Elite-Unis einzusetzen. Werde an Hochschulen im ganzen Land ein einheitlicher Kurs – in diesem Fall zum Thema Gerechtigkeit – angeboten, gefährde das die Qualität der Lehre, unterdrücke unterschiedliche Sichtweisen und führe zu einer Demontage der öffentlichen Hochschulen.
PERSÖNLICHER KONTAKT
Das ist nur ein Beispiel für den Widerstand, der sich an den Präsenz-Unis breitmacht: Zuvor hatte sich der Senat des renommierten Amherst College (Massachusetts) gegen einen Beitritt zu „edX“ ausgesprochen, jener der Duke University (North Carolina) gegen die Teilnahme am „Semester Online“, bei dem ein Konsortium von Unis kostenpflichtige Online-Bachelorstudien anbietet. Tenor der Kritiker: Bei MOOCs gehe der persönliche Kontakt zwischen Lehrenden und Studenten verloren und sowohl die Kluft zwischen dem Angebot von Elite- und anderen Einrichtungen als auch der Druck zur Privatisierung der Unis werde größer.
Sogar an Unis wie dem MIT, die zu den MOOC-Vorreitern gehören, wird gewarnt: Die Online-Kurse könnten dazu führen, dass es am Ende „wenige große, wohlhabende Überlebende“ gebe und abseits nur Ödnis, so MIT-Management-Professor Michael Cusumano. Und auch die Ratingagentur Moody’s warnt, dass jene Hochschulen, die nicht mit den Großen mithalten oder eine Nische besetzen können, durch sinkendes Interesse von Studenten Finanzierungsprobleme bekommen könnten. (apa)
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