Digitale Transformation, kooperatives Arbeiten in Projekten, Design Thinking und Interdisziplinarität erfordern "echte" Kommunikation zwischen den Beteiligten. Eine große Rolle spielt dabei aktives Zuhören. [...]
„Die da aus der Zentrale haben doch keine Ahnung was hier in der Produktion läuft …“ Silodenken und Verständnisgräben sind Showstopper für das Arbeiten in der digitalen Welt. Mehr denn je kommt es auf eine Schlüsselqualifikation an: die Kommunikation. Insbesondere aktives, empathisches Zuhören gilt hier als Königsdisziplin.
Denn Technik ist nur die eine Seite der Medaille von Digitalisierung und Digitaler Transformation. Insbesondere Arbeitsformen von New Work, die verstärkt auf Selbstorganisation jenseits der klassischen Hierarchiemodelle setzen, sind auf den kommunikativen Brückenschlag angewiesen. Darüber werden Entscheidungen ausgehandelt, Konflikte bearbeitet und Einigungen erzielt.
Denk- und Sprachwelten verbinden besonders dann, wenn vollkommen unterschiedliche Denkwelten aufeinandertreffen. Dann ist Kommunikationskompetenz und aktives, empathisches Zuhören gefragt.
Aktives Zuhören – Definition
Aktives Zuhören bedeutet zum Beispiel, sich in die Erfahrung und das Erleben eines Kunden, Geschäftspartners oder Mitarbeiters hineinversetzen zu können. Menschen handeln und entscheiden nur bedingt rational. Die Fähigkeit, nicht nur sachliche, faktische Positionen wahrzunehmen sondern auch die Motivationen und Befindlichkeiten „dahinter“ macht aktives Zuhören aus. Es geht darum, zwischen „den Zeilen zu lesen“, den „Film“ im Hintergrund verstehen, die Hidden Agenda und die Beweggründe für Positionen zu erfahren – und sich darauf emotional einzulassen. Aktives Zuhören ist letztlich eine Form von Empathie und damit emotionaler Intelligenz.
Dazu zwei Beispiele: Beim Thema Industrial Security in der Produktion treffen zwei Welten aufeinander: IT-Denke und IT- Sprache auf Produktions- und Ingenieursverständnis. Ähnliche Erfahrungen macht der IT- orientierte Vertrieb im Umfeld von Industrie 4.0-Lösungen, wenn er zunehmend auf Ansprechpartner aus dem ingenieurwissenschaftlichen Bereich trifft.
Grundvoraussetzungen für aktives, empathisches Zuhören sind nach dem amerikanischen Psychologen und Begründer der klientenzentrierten Gesprächsführung, Carl Rogers:
• eine empathische und offene Grundhaltung;
• authentisches und kongruentes Auftreten und
• Akzeptanz und positive Beachtung der anderen Person.
Grundlage: Die vier Stufen des Zuhörens
Aktives bzw. empathisches Zuhören gilt generell als Grundvoraussetzung für professionelle Aktivitäten. Einen ersten Überblick zu einem Gesprächsverlauf gibt die folgende von Otto Scharmer verfasste Einteilung in vier Stufen:
1. Selbstbestätigung: Ich höre im Gespräch das, was ich eh schon weiß. Die Wahrnehmung ist konzentriert auf das Bekannte. Es geht mehr oder weniger um die Bestätigung des eigenen Wissens und der eigenen Meinung.
2. Faktisches Zuhören: Ich beginne auf Unterschiede zu achten und wahrzunehmen, was neu für mich ist. Im Mittelpunkt steht die Wahrnehmung von Fakten.
3. Aktives, empathisches Zuhören: Das heißt, in das Erleben eines Gesprächspartners hineinzuspüren und nicht nur mit dem Kopf und dem Verstand faktenorientiert zuzuhören, sondern auch neue Perspektiven zu gewinnen. Es geht darum, durch die Augen eines anderen zu sehen, sich in „die Schuhes des anderen zu stellen“ und aus dessen Perspektive wahrzunehmen und zu erleben. Zum Gesprächspartner wird eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut. Das bedeutet auch, auf nonverbale Kommunikation zu achten, also beispielsweise ein bestätigendes Nicken, Augenkontakt, Hinwendung des Oberkörpers und des Kopfes, Mimik und dies auch entsprechend zurückzuspiegeln.
4. Schöpferische Zuhören: Wahrnehmen, was noch nicht „da“ ist, gemeinsam neue Perspektiven entwickeln und wahrnehmen, das schöpferische Potential, z.B. im Design Thinking oder Coaching Prozess, erschließen. Etwas Kreatives , Neues gemeinsam im Gesprächsmoment entstehen lassen.
Aktive Zuhören bedeutet Vorbereitung
Um in einem Gespräch aktiv zuzuhören bedarf es neben einer inneren Vorbereitung auch der Fähigkeit, den Gesprächsbeteiligten diese Haltung nach außen zu signalisieren. Das heißt:
- mit einer positiven Grundhaltung in die Begegnung zu gehen und eine angenehme vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre zu schaffen.
- im Gespräch Blickkontakt zu halten.
- sich auf den Gesprächspartner einzulassen, sich zu konzentrieren und dies durch die eigene Körperhaltung, Mimik und Gestik auszudrücken.
- die eigene Meinung oder Position nicht aufzudrängen und bei Unklarheiten nachzufragen.
- Gesprächspausen auszuhalten und nicht um jeden Preis mit „Inhalten“ füllen zu wollen.
- den Sprecher nicht zu unterbrechen und unvollendete Sätze nicht zu vervollständigen.
- auf die eigenen Gefühle und die des Gegenübers zu achten und die Körpersprache des Gegenübers aktiv wahrzunehmen. Der Körper lügt nicht.
- bestätigende kurze Äußerungen als Feedback zu geben.
- sich durch Vorwürfe und Kritik nicht aus der Ruhe bringen zu lassen lassen.
Grundfähigkeit für Führungspositionen
Aktives Zuhören ist auch eine Grundfähigkeit für Führungspositionen. Es ist die Basis, um in komplexen unsicheren Situationen stabile Beziehungen aufbauen und halten zu können. Führungskräfte werden nur erfolgreich sein, wenn sie sich in das Verhalten anderer Akteure, Stakeholder und Partner einfühlen können, es „verstehen“ und damit auch adäquat umgehen können. Das gilt insbesondere dann, wenn Gesprächspartner nicht in eine hierarchische Ordnung eingebunden sind und es keine hierarchieorientierte Steuerungsmöglichkeiten gibt.
*Harald Kesberg ist Kommunikations- und Unternehmensberater in Bonn. Seine Schwerpunkte sind die Gestaltung und Begleitung des Innovations- und Wissenstransfers mit inhaltlicher Ausrichtung auf Digitale Transformation, IT-Sicherheit und Industrial Security. Seine Themen sind unter anderem Sensibilisierung und Awareness, Qualifizierung, Change- und Führungskommunikation sowie Entwicklung neuer Rollenbilder und Work 4.0.
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