Prozessorchestrierung als Lösung für echte End-to-End-Automatisierung

Moderne Geschäftsprozesse zu automatisieren ist alles andere als einfach – die Herausforderung sind komplexen Abläufe und zahlreichen unterschiedliche Akteuren. Wie sich dies meistern lässt, und welche Rolle die Orchestrierung der Prozesse spielt, erklärt Bernd Rücker, Chief Technologist bei Camunda. [...]

Foto: GerdAltmann/Pixabay

Digitalisierung ermöglicht nicht nur neue Geschäftsmodelle, sie erlaubt auch Effizienzgewinne, die heutzutage unabdingbar sind. Ein Kernaspekt der Digitalisierung ist die Automatisierung von Prozessen, jedoch stellt deren Automatisierung “End-to-End” weiterhin eine große Schwierigkeit für viele Unternehmen dar.

Diese Herausforderung wird nicht gerade dadurch erleichtert, dass Geschäftsprozesse immer komplexer und ihre Endpunkte immer zahlreicher werden.

Automatisierung einzelner Prozessaufgaben

Präzisieren wir aber zunächst einmal, worum es überhaupt geht. Die Automatisierung einzelner Schritte in Geschäftsprozessen ist oft gar kein so großes Problem.

Nehmen wir ein Beispiel aus dem Onlinehandel: Ein Mailserver verschickt Bestätigungsmails, ein Chatroboter beantwortet Kundenanfragen, ein Warewirtschaftssystem druckt Packlisten und so weiter.

Manche dieser Anwendungsfälle können zum Beispiel mit Robotic Process Automation (RPA) ganz gut abgedeckt werden.

Auch eine einfache Kommunikation zwischen diesen lokalen Automatisierungslösungen ist in den meisten Fällen möglich. Man könnte also meinen, dass wir über alles verfügen, was wir brauchen, um Geschäftsprozesse zu automatisieren – oder?

Herausforderungen bei der Automatisierung des Gesamtprozesses

In der Praxis ist es leider nicht ganz so leicht. Die zwei Hürden, auf die Unternehmen bei der Automatisierung ihrer Geschäftsprozesse am häufigsten stoßen, sind die Prozesskomplexität und die Vielfalt an Endpunkten. Diese Faktoren stellen viele IT-Landschaften auf die Probe.

Schauen wir uns zunächst die erste Hürde an: Die Prozesskomplexität. Eine einfache Abfolge von Schritten zu automatisieren ist kein Hexenwerk, doch die wenigsten Geschäftsprozesse sind derart einfach gestrickt.

Ende-zu-Ende-Prozesse sind komplex, sie verlaufen selten nach einem linearen Schema, sondern beinhalten zahlreiche parallel laufende Prozesse, müssen auf Ereignisse oder Zeitbedingungen warten oder Aktivitäten bei Bedarf unterbrechen können. Dabei müssen die unterschiedlichsten Systeme, Endgeräte oder Personen koordiniert werden.

Je komplexer ein Geschäftsprozess, desto essenzieller ist es, diesen übersichtlich modellieren und koordinieren zu können – und zwar so, dass auch Fachabteilungen und andere Stakeholder sie nachvollziehen und bearbeiten können.

Modelliersprachen wie der Standard BPMN können hier helfen – sie stellen Prozessabläufe und -abhängigkeiten visuell in Form eines Flussdiagramms dar. Und eine Workflow-Engine kann diese BPMN-Modelle direkt ausführen. Das visuelle Diagramm ist also gleichzeitig auch ein Stück Programmcode.

Das zweite Hindernis in der Prozessautomatisierung ist die Vielfalt an Endpunkten. Zu den Endpunkten gehören die Komponenten, die die Aufgaben innerhalb eines Prozesses ausführen, also verschiedenen Softwaresysteme, Endgeräte oder menschliche Akteure. Wir können ihnen die Erledigung ihrer jeweiligen Aufgaben guten Gewissens zutrauen, doch wer koordiniert den ganzheitlichen Prozess?

Und können überhaupt alle Endpunkte miteinander kommunizieren? In der Praxis stoßen Legacy-Systeme nicht selten an ihre Grenzen, wenn es um die Einbindung in komplexe Prozesse und die Integration über APIs geht.

In einer idealen Welt könnte man vielleicht die IT-Landschaft tabula rasa aufbauen und von Anfang an auf Microservices setzen. Doch das ist für die meisten Unternehmen keine Option. Es muss also ein Weg gefunden werden, auch existierende Legacy-Systeme in einen Prozess zu integrieren.

Prozessorchestrierung: Der digitale Dirigent gibt den Takt an

Mit steigender Prozesskomplexität und einer Vielfalt an Endpunkten brauchen wir also eine Lösung, die einen Prozess ganzheitlich koordiniert. Sie sollte in der Lage sein, auch dynamisch parallel ablaufende Aufgaben, Nachrichtenkorrelation und Timeouts zu handhaben und zudem die Kommunikation zwischen einer Vielzahl von unterschiedlichen Endpunkten zu managen. Diese Form der Koordination nennen wir Prozessorchestrierung.

Die Prozessorchestrierung erlaubt es uns, Geschäftsprozesse übersichtlich in einer Standardsprache wie BPMN zu modellieren, die Abläufe und das Zusammenspiel der Komponenten darin zu automatisieren und über Simulationen und Heatmaps zu optimieren.

Dass ein BPMN-Flussdiagramm leicht zu lesen ist, freut nicht nur Entwickler:innen: Auch Stakeholder aus den Fachabteilungen, die die komplexen Prozesse am besten kennen, können so noch besser in die digitale Transformation eingebunden werden.

Wir können uns Software zur Prozessorchestrierung wie einen digitalen Dirigenten vorstellen, der den Komponenten den Takt für parallele Abläufe, Abbrüche, Timeouts und mehr angibt. Die Integration der Komponenten erfolgt über Konnektoren: Schnittstellen, die den Datenaustausch zwischen dem Gesamtprozess und den Endpunkten vereinheitlichen.

Konnektoren für die Prozessorchestrierung können für nahezu jede Software – egal ob “out-of-the-box” vom Hersteller oder selbst programmiert – entwickelt werden und erlauben die Integration von Legacy-Systemen, Microservices und mehr.

Wenn es um die Skalierung von Geschäftsprozessen geht, ist es unerlässlich, sie zu optimieren. Denn selbst wenn die eine oder andere Ineffizienz auf der kleinen Skala noch nicht ins Auge fällt, kann sie in einer höheren Größenordnung einen nennenswerten Unterschied machen.

Welcher Pfad wird am häufigsten von Prozessinstanzen aufgerufen? Wo liegen die größten Verzögerungen? Bottlenecks und andere Schwachstellen eines Prozesses lassen sich im Rahmen der Prozessorchestrierung besonders gut über Heatmaps ermitteln.

Bild 1: Beispiel eines Bestellprozesses, der in BPMN modelliert wurde. (Quelle: Camunda)

In dieser Grafik sehen wir einen Bestellprozess im Onlinehandel als BPMN-Diagramm modelliert. Er mag noch vergleichsweise einfach aussehen, aber orchestriert schon viele Endpunkte und enthält einige Beispiele für so genannte erweiterte Workflow-Muster.

So wird der Task zwischen der Bestellaufgabe und dem Rechnungsversand für jede einzelne Bestellposition parallel ausgeführt, und jeder dieser parallelen Prozesse kann den Gesamtprozess vorzeitig terminieren, wenn zum Beispiel ein Artikel nicht verfügbar ist oder die Bestellung vom Kunden storniert wird.

Auch die zeitbasierte Eskalation nach dem Rechnungsversand, die nach zehn Tagen eine Erinnerung verschickt, ist ein gutes Beispiel für eine Aufgabe, die durch die Orchestrierung des Prozesses automatisiert ausgeführt werden kann.

Diese Abläufe ohne Prozessorchestrierung zu koordinieren ist natürlich auch mit viel Programmierung möglich, aber eben nicht empfehlenswert. Nachträgliche Änderungen und Erweiterungen der Prozesslogik müssten an mehreren unterschiedlichen Stellen manuell am Code durchgeführt werden, das Konstrukt wäre insgesamt fehleranfälliger.

Zudem bietet Software zur Prozessorchestrierung die Möglichkeit, Prozesse kontinuierlich zu überwachen, sodass Engpässe und andere Leistungsprobleme erkannt werden können. In Prozess-Heatmaps (siehe Abbildung) wird beispielsweise schnell deutlich, an welchen Stellen im Prozess unter Umständen Probleme auftreten.

Diese Sichtbarkeit ist Voraussetzung, um entsprechende Optimierungen vorzunehmen. Die Vorteile, die die Prozessorchestrierung bietet, ermöglichen es, das Beste aus der Automatisierung herauszuholen und die Effizienz zu maximieren.

Bild 2: Beispiel einer Prozess-Heatmap (Quelle: Camunda)

Fazit

Viele IT-gestützte Geschäftsprozesse basieren auf der Zusammenarbeit mehrerer unterschiedlicher Endpunkte und sind in ihrer Prozesslogik komplex und dynamisch. Die bloße Automatisierung einzelner Aufgaben ist ein Schritt in die richtige Richtung, dadurch wird aber noch nicht das volle Automatisierungspotential ausgeschöpft.

Hier kommt Prozessorchestrierung ins Spiel: Wie ein Dirigent koordiniert sie die Komponenten in der Ausführung ihrer Aufgaben, gibt den Takt an und ermöglicht ein harmonisches Zusammenspiel vom Anfang eines Prozesses bis zum Ende.

*Bernd Rücker ist Mitgründer und Chief Technologist von Camunda, einem Anbieter von Software zur Prozessorchestrierung. Als passionierter Softwareentwickler hat er die Prozessautomatisierung von Unternehmen wie Allianz, Deutsche Bahn oder Deutsche Telekom unterstützt.

powered by www.it-daily.net


Mehr Artikel

Studierende der Business Communications (c) FH St. Pölten / Peter Rauchecker
News

Studie: Künstliche Intelligenz in Investor Relations

Ist KI in den Investor Relations Game Changer oder Challenger in der Finanzkommunikation? Dieser Frage ging eine Studie des Studiengangs Digital Business Communications der FH St. Pölten in Kooperation mit junicorn consulting nach. Studierende befragten 253 börsennotierte Unternehmen und ihre IR-Abteilungen im DACH-Raum zum Thema. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*