Round Table: Chancen im Schatten der Hyperscaler

Bei IaaS stehen die Zeichen laut Experten weiter auf Marktkonsolidierung. Für kleine und mittlere Cloud-Anbieter muss das kein Grund zur Resignation sein. [...]

Treffsicher haben die Hyperscaler den Cloud-Markt besetzt: Zehn Anbieter bedienen 80 Prozent des Marktes (c) pixabay.com

Bei der Beurteilung der Erfolgschancen von Großprojekten greifen wir oft und gerne auf Vergleiche mit der Luftfahrt zurück, um die nötige Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Und so bekam auch Gaia-X schnell von Wirtschaftsminister Altmaier bei dessen Vorstellung im Jahr 2019 das Etikett des europäischen „KI-Airbus“ angeheftet. Das Projekt steht seitdem für die lange erwartete Trendumkehr auf dem Cloud-Markt, weg von der Abhängigkeit von (vor allem) US-Clouds hin zu mehr digitaler Souveränität und voller Vereinbarkeit mit dem europäischen Datenschutz. Doch je mehr Zeit seitdem vergangen ist, desto häufiger bedienen sich Beobachter einer weiteren Luftfahrt-Analogie: der des Berliner Flughafens.

Dabei sind die Analogien durchaus nachvollziehbar: Schließlich lag im Jahr 2000 der Grund für die Gründung der heutigen Airbus SE darin, die außergewöhnlich hohen Markteintrittsbarrieren für Großraumflugzeuge zu überwinden. Ohne diese Initiative wäre Europa abgehängt gewesen. Ähnlich sieht es heute wieder in Sachen Cloud aus. Der Übermacht der Hyperscaler ist mit rein markt- bzw. privatwirtschaftlichen Mitteln nicht mehr beizukommen.

Im IaaS-Bereich belief sich der Marktanteil von AWS im Jahr 2020 laut der Synergy Research Group auf mittlerweile 33 Prozent, gefolgt von Microsoft mit 18 Prozent. Insgesamt besetzen die größten zehn Anbieter rund 80 Prozent des Marktes.

Skepsis beim Erfolg von Gaia-X

Angesichts dieser weit fortgeschrittenen Konsolidierung stellen Marktbeobachter zurecht die Frage, ob Gaia-X wirklich das von der Politik beschworene disruptive Potenzial mitbringt. Die zum IDG-Round-Table „Cloud Migration“ geladenen Experten äußerten mitunter deutliche Skepsis, als das Thema zur Sprache kam.

„Bei Gaia-X sehe ich kaum langfristige Erfolgschancen“, sagt zum Beispiel Thomas Gutke vom Cloud-Serviceprovider Matrix AG. Der Grund sei für ihn ein systemischer: „Die europäischen Demokratien unterliegen in ihren Entscheidungsprozessen Dynamiken, die langfristig einen Wettbewerbsnachteil gegenüber der Privatwirtschaft bedeuten. Gaia-X wird am Ende eine kommerzielle Totgeburt sein.“

Zu starr, zu verkopft und überdies zu politisch sei das Projekt, stellt auch Achim Freyer von Rubrik fest, der als Schweizer einen externen Blick auf das Thema mitbringt und bei dem Projekt instinktiv an den Berliner Flughafen denkt: „Die öffentliche Hand hat leider in der jüngeren Vergangenheit zu oft gezeigt, wie defizitär die Organisationsfähigkeit so mancher Behörde ist. Ich sehe nicht, warum bei Gaia-X plötzlich alles besser werden soll.“

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Auf die Nischen kommt es an

Dass mit Gaia-X eine Infrastruktur entstünde, die langfristig ein Gegengewicht zu den Hyperscalern darstellen kann, wird selbst von den optimistischsten Befürwortern bezweifelt. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass das Projekt gleich zum Scheitern verurteilt ist. Vielmehr geht es darum, dass die Initiatoren den – nicht mehr einholbaren – Rückstand gegenüber den Hyperscalern im Infrastrukturbereich akzeptieren und stattdessen sinnvolle Nischen identifizieren – beispielsweise im Plattformbereich mit Services zur Speicherung sensibler Daten bei gleichzeitiger Anbindung an die Infrastrukturen der großen Anbieter. Wenn Gaia-X die Multi-Cloud-Szenarien der künftigen Data Economy unterstützt, dann hat das Projekt auch eine ernsthafte Daseinsberechtigung als Enabler für die digitale Souveränität europäischer Unternehmen.

Aus diesem Blickwinkel ist Gaia-X eben auch „nur“ ein weiterer Cloud-Provider, der dann überleben wird, wenn er die richtige Nische für sich identifiziert. Denn auch kommerzielle Anbieter stehen letztlich vor der Frage, wie sie langfristig in diesem Wettbewerb bestehen können.

„Wenn wir darüber sprechen, dass mittelgroße Anbieter ihre Nische finden werden, dann muss ich schon die Frage stellen, wie diese Nische denn aussieht“, stellt Torsten Böttjer von Oracle fest. „Im Bereich Infrastruktur wird die Marktkonsolidierung eher noch weitergehen, da sehen wir bereits heute gewaltige Marktanteile bei den Hyperscalern. Nischen ergeben sich dann vor allem beim Applikationsmanagement – auch bei den großen Hyperscalern steht das Angebot an SaaS-Diensten in keinem Verhältnis zu der Vielfalt an Anwendungen, die eigentlich in den Unternehmen benötigt werden. Ich glaube auch nicht, dass diese Nische mittelfristig von den Großen bedient werden kann, das bedeutet aber, dass reine Softwareanbieter ihr Geschäftsmodell anpassen und Betriebsleistungen anbieten müssen.“

Szenarien und Beispiele für solche Nischen gebe es genug, betont Böttjer. So müssten beim Edge Computing zum Beispiel immer auch vor Ort enorme Kapazitäten vorgehalten werden. Diesen Bedarf könne man mit dem aktuell auf dem Markt bestehenden Cloud-Angebot gar nicht adressieren. „An dieser Schnittstelle zwischen Infrastruktur und dem eingesetzten Stack entstehen zusätzliche Märkte, die es mit den richtigen Angeboten und Geschäftsmodellen zu erschließen gilt“, so der Manager weiter.

Neben der Entwicklung des richtigen Angebotes ist allerdings auch die Implementierung beim Kunden essenziell. Auch hier hätten mittelgroße Anbieter einen Vorteil gegenüber den Hyperscalern, weil sie bei der Implementierung komplexer Lösungen wie KI und Machine Learning per Definition „näher dran“ seien, wie Thomas Gutke betont: „Es ist wichtig, von Anfang an die Sprache des Kunden zu sprechen, um die hohe Komplexität des Cloud-Themas möglichst zu reduzieren. Methoden und Narrative sollten in Verbindung mit KI ständig verfeinert werden, um die Kollateralschäden zu minimieren, die vor allem am Anfang eines Projektes entstehen. So lassen sich Einstiegshürden systematisch senken.“

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Wie gelingt der Innovationssprung

Doch wo es auf der einen Seite die Anbieter sind, die mit den richtigen Angeboten die Akzeptanz von Cloud-Lösungen steigern müssen, sind auf der anderen Seite auch die Unternehmen gefragt, endlich infrastrukturelle Grundentscheidungen zu treffen. Wo es vor ein paar Jahren noch häufiger um die Frage „Public oder Private“ ging, lässt sich diese heute mit einem schlichten „ja“ beantworten. Für die Experten des IDG-Round-Table geht es heute nur noch darum, zu entscheiden, welche Aufgabe welcher Provider in einer verteilten Umgebung erfüllt und wie sich damit eine leistungs-, sicherheits- und datenschutzkonforme Architektur schaffen lässt, bei der ein Hyperscaler genauso dazugehört wie spezialisierte PaaS-Lösungen, eigene Server und zahlreiche weitere Bestandteile. Die Voraussetzung dafür ist allerdings eine gewisse Entscheidungsbereitschaft bei den Unternehmen, interne Hürden abzubauen und ihre Legacy zumindest an den Stellen zu modernisieren, an denen Innovationshemmer bestehen.

„Auch heute hört man in den Chefetagen noch immer das Wort „Mainframe“. Manche Unternehmen müssen auch nach Jahrzehnten noch an eigentlich antiquierten Technologien festhalten und produzieren eine Landschaft von Add-ons, die immer schwieriger zu verwalten ist“, erklärt Thomas Gutke, „vor diesem Hintergrund stelle ich mir ernsthaft die Frage: Wird in gewachsenen Infrastrukturen alles immer nur noch komplexer oder kommt doch mal der nötige Innovationssprung von der alten in die neue Welt?“

*Florian Stocker ist Mitarbeiter der Kommunikationsagentur Medienstürmer.


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