RPA - Robotic Process Automation - half während der Corona-Krise vielen Betrieben dabei, den Laden am Laufen zu halten. Doch das Potenzial der vermeintlich „dummen“ Bots reicht weit darüber hinaus. [...]
RPA-Technologien sind seit Langem ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Unternehmens-IT. Doch der externe Druck auf Unternehmen im Zuge der Corona-Krise hat die Attraktivität von RPA-Lösungen noch einmal bedeutend erhöht. Schließlich traten durch das Social Distancing bestimmte Geschäftsabläufe – zum Beispiel im Kontext von Support – plötzlich deutlich häufiger auf und konnten mit der bestehenden Personaldecke nicht mehr gestemmt werden. RPA ermöglichte hier eine unmittelbare Reaktion, indem sie Ad-hoc-Investitionen in Personal für stumpfe, manuelle Tätigkeiten obsolet machte. So wurden Bots in der Krise vom netten Werkzeug zum Garanten für die Erhaltung der Business Continuity.
Unternehmen, die Chatbots oder andere KI-gestützte Systeme einsetzten, hatten durch sie im Lockdown einen elementaren Vorteil. Und wer damals noch nicht „RPA ready“ war, wird in naher Zukunft dafür sorgen, dass sich dieser Fehler nicht wiederholt und jetzt die entsprechenden Weichen stellen. Die Voraussetzungen hierfür sind heute so gut wie noch nie: RPA sind durch ihren Low– bzw. No-Code-Aufbau leicht zu bedienen, weswegen ihr Einsatz immer einfacher zu realisieren ist und sich Erfolge schnell einstellen. Die Verfügbarkeit von KI-Frameworks, Chatbot-Services und anderen leicht adaptierbaren Angeboten auf dem Markt hat die Hemmschwelle für die RPA-Einführung noch einmal deutlich gesenkt.
Einfachheit von RPA ist Fluch und Segen
In ihrer Einfachheit liegt der größte Vorteil von RPA – gleichzeitig aber auch eine gewisse Bedrohung für eine langfristig erfolgreiche Automatisierung: Schließlich sorgen Bots in einzelnen isolierten Prozessen schnell für spürbare Verbesserungen, weswegen das „große Ganze“ seltener infrage gestellt wird. Dadurch droht im schlimmsten Fall eine Zementierung des Status quo, eine Beibehaltung überflüssiger Prozesse bis hin zu einem regelrechten „Bot-Moloch“, also eine Situation, in der ein robotergestützter Prozess an einen oder mehrere weitere andockt. Wer schon einmal 20 Pushnachrichten auf sein Smartphone bekommen hat, nur weil im Projektmanagement-Tool eine Karte verschoben wurde, kann sich diesen Fall ganz konkret vorstellen. Spätestens dann ist eine Grenze überschritten, ab der RPA gleichermaßen zu Chaos führen kann.
Der Zwiespalt zwischen kurzfristigem Erfolg und langfristig notwendigen fundamentalen Veränderungen ist auch den Teilnehmern des IDG-Roundtables zum Thema RPA bewusst. Die Lager der Diskutanten ließen sich zu keinem Zeitpunkt in pro oder contra RPA aufteilen. Der große Konsens lautete vielmehr, dass es immer auf drei bestimmte Faktoren ankomme: auf das Unternehmen, auf das Einsatzszenario und auf die langfristigen Ziele.
„Bots sind heute ein inhärenter Bestandteil der Prozess- und IT-Landschaften in Unternehmen. Probleme entstehen allerdings, wenn RPA dort angewendet wird, wo eigentlich die Entwicklung einer Individualsoftware nötig gewesen wäre“, betonte beispielsweise Julian Beckers von der Weissenberg Group. RPA dürfe demnach keinesfalls zum Hinderungsgrund für womöglich sinnvollere Transformationsprojekte werden. Darum sei es wichtig, immer von Prozess zu Prozess zu denken und die Sinnhaftigkeit von Bots regelmäßig im Rahmen eines Evaluationsprozesses zu hinterfragen. Aber gibt es überhaupt eine pauschale Antwort auf die Frage, welches Maß bei RPA das richtige ist?
„Viele Unternehmen sind schon weiter, als wir oft denken: Sie setzen RPA im Alltag ganz pragmatisch um, meistens in einer Größenordnung zwischen zehn und fünfzehn Prozessen. Dabei geht es vor allem um die Automatisierung von Büro- und Administrationsaufgaben. Dadurch können sich Mittelständler noch besser auf ihr Kerngeschäft konzentrieren“, stellt Matthias Noch von Atos fest.
Jeder Bot sollte ein Enddatum haben
Für Kerim Cekel von CGI gibt es jedenfalls keine pauschale Antwort auf die Frage, wo und wann RPA sinnvoll ist: „Bots können wunderbar dabei helfen, Legacy-Systeme zu stützen. Allerdings entsteht dann die Gefahr, dass echte Transformation verhindert wird.“
Es sei allein deswegen geboten, für jeden Roboter ein Enddatum zu schreiben und Prozesse immer wieder zu evaluieren. Das bedeute aber nicht, dass automatisch jeder Bot nach seiner Implementation gleich wieder vom Aussterben bedroht ist: „Es gibt durchaus auch langlebige Lösungen, aber es kommt eben immer auf den Einzelfall an. Wichtig ist, sich vor der Entwicklung vor Augen zu führen, in welchem Kontext der Roboter eingesetzt werden soll. Die notwendige Codequalität kann sich je nach Anwendungsfall unterscheiden“, so Cekel.
Organisationale Einbettung entscheidend für Erfolg
RPA ist also immer individuell und im jeweiligen Kontext zu betrachten. Dennoch hat sich in der Branche die Unterscheidung zwischen Attended RPA und Unattended RPA durchgesetzt: Erstere meint Prozesse im Frontoffice, die sich auf dem Desktop eines Mitarbeiters abspielen und dort nach Bedarf als „Werkzeug“ aktiviert werden können, während Unattended RPA einer Vollautomatisierung entspricht, die ausschließlich im Hintergrund abläuft und die der User gar nicht mehr bemerkt.
Damit aus RPA keine bequeme Ausrede für das Aufschieben notwendiger Transformationsschritte wird, ist es wichtig, immer auch das langfristige Ziel Vollautomatisierung im Blick zu haben. Mit diesem Bewusstsein kann und soll die Technologie allerdings gerne genutzt werden – auch als Attended RPA auf dem Desktop. Bots entlasten schließlich nicht nur spürbar den Betrieb und sorgen dafür, dass Mitarbeitern vermeintlich „dumme“ Tätigkeiten erspart bleiben, sondern senken auch die Hemmschwelle und die Skepsis gegenüber voll automatisierten Prozessen: „Natürlich sollte Automatisierung im Sinne von Unattended RPA ein Ziel sein“, bemerkt Roman Schäfer von Reply. „Doch auf dem Weg dorthin gehen wir sehr ‚deutsch‘ vor: Unsere Lösungen sind oft unpragmatisch, recht ingenieurlastig und schwierig. Wir sollten zunächst daran denken, bestehende Prozesse schneller, schlanker und einheitlicher zu machen.“
Ricardo Ullbrich von Blue Prism ergänzt, dass es durchaus einen Unterschied ist, ob es gilt, einen Bus zu erreichen oder eine ganze Reise zu planen. „Es ist wichtig, auch RPA schrittweise einzuführen: Von der Vision über die Organisation, die Governance, den Aufbau der Pipeline bis hin zum Personal.“
Der organisatorische Part ist auch für die anwesenden Diskutanten der bedeutendste: RPA, die isoliert in einzelnen Abteilungen entsteht und nicht sinnvoll prozessual im gesamten Unternehmen Fuß fassen kann, wird irgendwann wieder verschwinden, ohne etwas zur Automatisierung des Gesamtunternehmens beizutragen. Governance wird dadurch zum zentralen Thema. Doch die Frage, wo genau RPA organisatorisch im Unternehmen angesiedelt sein sollte, wird auch von der Diskussionsrunde unterschiedlich beantwortet.
Studie „RPA 2021“: Sie können sich noch beteiligen! |
Zum Thema RPA führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384), René Krießan (rkriessan@idg.de, Telefon: 089 36086 322) und Bastian Wehner (bwehner@idg.de, Telefon: 089 36086 169) gerne weiter. Informationen zur der Studie RPA finden Sie auch hier zum Download (PDF). |
Center of Excellence: Aber wo und wie?
Für Johannes Weis von Celonis ist es besonders wichtig, das RPA-Wissen im Unternehmen möglichst zu bündeln: „Wir empfehlen immer den Aufbau eines Center of Excellence, das nicht zwangsläufig in der IT-Abteilung angesiedelt sein muss. Technologische und organisatorische Synergien sollten dabei von Anfang an in den Blick rücken. Auf diese Weise beugen Unternehmen der Entstehung von Silos sinnvoll vor.“
Jan Wunschik von Lufthansa Industry Solutions beobachtet allerdings immer wieder organisatorische Konstellationen, in denen ein Center of Excellence nicht funktionieren würde. Es droht die Gefahr, dieses zu eng auf das Thema RPA auszurichten: „Wenn Sie selbst ein Hammer sind, dann wird jedes Problem zum Nagel. Sinnvoller wäre es, ein COE für das gesamte Thema Automatisierung aufzubauen statt für das ‚Nischenthema‚ RPA.“
So oder so gehe der Ansatz des COE zwar in die richtige Richtung, dabei aber noch nicht weit genug, wie Stephan Leininger von Microsoft hervorhebt: „Ein Center of Excellence ist ein wichtiges Element, um die User zu enablen. Es stellt aber auch kein Allheilmittel dar: Eine übergeordnete Governance, die alle wichtigen Fragen auch aus Security- und Datenschutzperspektive beantwortet, ist im Alltag unverzichtbar, um im gesamten Betrieb ein agileres Mindset zu verankern.“
„Einfach mal machen“ reicht nicht
Während bei den meisten IT-Trends – oftmals zurecht – die Empfehlung lautet, nicht zu viel zu planen, sondern einfach mal loszulegen und früh eigene Erfahrungen aufzubauen, muss man bei RPA das „Einfach mal machen“ um den Halbsatz „Aber nicht übertreiben“ ergänzen. Wer aber die Einbettung in die Gesamtstrategie berücksichtigt und seine Bot-Nutzung regelmäßig evaluiert oder weiterentwickelt, schafft langfristig die Voraussetzung für eine Vollautomatisierung, die den Namen verdient.
*Florian Stocker widmet sich als freier Autor regelmäßig IT-Zukunftsthemen und deren konkreter Überführung in den Unternehmensalltag. Er ist gleichzeitig Inhaber der Kommunikationsagentur „Medienstürmer“.
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