Bei der Frage, ob Endkunden oder die Provider darüber entscheiden sollten, welches Endgerät sie an ihrem Breitbandanschluss nutzen können, stellt sich die RTR klar auf eine Seite. Laut RTR existiert bereits Wahlfreiheit. Dennoch will die Regulierungsbehörde aktiv werden, wenn sich noch mehr Kunden über das Fehlen der Wahlfreiheit bei ihr beschweren. Logik geht anders. [...]
Die gute Nachricht zuerst: In Österreich herrscht endlich Endgerätefreiheit. Jeder Internet-Nutzer kann also genau den Router an seinem Breitbandanschluss nutzen, der perfekt zu seinen eigenen Bedürfnissen passt. Wie beim Handy kann einen nichts und niemand davon abhalten, selbst zu entscheiden, welches Produkt man am eigenen Internetanschluss nutzt – und welches nicht.
Die schlechte Nachricht ist: Das sieht leider nur die RTR so. Nach „umfangreichen Gesprächen mit Telekom-Betreibern und Vertretern der Routerfreiheit“ sowie einem Blick in andere EU-Länder ist die Regulierungsbehörde zu dem Schluss gekommen, dass der Status Quo bereits das Beste ist, was man sich wünschen kann. Die Begründung: Schließlich böten österreichische Anbieter heute bereits vielfach eine größere Auswahl an Routern bzw. Modems an. Außerdem könnten die Geräte der Provider in den Bridge-Modus versetzt werden, sodass man dahinter einen eigenen Router verwenden könne. „Damit besteht bei Festnetzinternetanschlüssen eine Wahlfreiheit bei Endgeräten und die Routerfreiheit ist in Österreich sichergestellt“, so Klaus Steinmaurer, Geschäftsführer der RTR für den Fachbereich Telekommunikation und Post.
Diese recht eigenwillige Interpretation von Routerfreiheit wird noch bemerkenswerter, wenn man den aktuellen Netzneutralitätsbericht 2024 der RTR aufmerksam liest. So heißt es dort prominent direkt auf der ersten Seite: „Wir haben uns als RTR im Berichtszeitraum speziell dem Thema Endgerätefreiheit und Netzabschlusspunkt gewidmet und konnten die aufgeworfenen Problempunkte weitestgehend für zumindest die Mehrzahl der beteiligten Marktteilnehmer zufriedenstellend lösen.“ Wie diese zufriedenstellende Lösung aussieht, verrät die RTR einige Seiten später ebenfalls: Man belässt alles beim Alten.
So neutral wie ein Fußballfan
Bei der Lektüre des Netzneutralitätsberichts der RTR bekommt man immer wieder den Eindruck, dass der Report in etwa so neutral ist wie ein Fußballfan, der beim Spiel seiner eigenen Mannschaft als Schiedsrichter eingesetzt wird. Nachdem die RTR zunächst selbst betont, dass Endnutzer das Recht haben, Endgeräte ihrer Wahl zu verwenden und dass dies ein wesentlicher Aspekt der Netzneutralität ist, geht sie auf den Netzabschlusspunkt (NAP) ein. Dabei erklärt die RTR richtigerweise, dass die Frage nach einer Routerfreiheit bzw. einem Routerzwang eng mit der Frage verbunden ist, wo genau der sogenannte Netzabschlusspunkt liegt. Schließlich legt dieser Punkt letztlich die Grenze zwischen dem öffentlichen Kommunikationsnetz und der (privaten) Sphäre der Nutzer fest.
Diese Grenze kann prinzipiell entweder an der Anschlussdose an der Wand des Endkunden oder aber an der endkundenseitigen Schnittstelle des vom Provider gestellten Endgeräts (Modem bzw. Router) gesehen werden. Im ersten Fall kann also jedes Endgerät direkt am Internetanschluss eingesetzt werden. Im zweiten Fall ist dies nur hinter dem Provider-Gerät möglich, sodass zwei Geräte notwendig und zudem im Dauereinsatz sind. „In Österreich ist es üblich, dass Internetanbieter den Standort des Netzabschlusspunkts in ihren Geschäftsbedingungen festlegen“, gibt die RTR selbst zu – und kommt dennoch zu dem Schluss: „Eine rechtlich verbindliche Festlegung dieses Punktes besteht gegenwärtig nicht, wäre aber durch die RTR im Rahmen einer Verordnungskompetenz möglich.“
RTR könnte handeln, will aber nicht
Die RTR könnte also handeln, will aber nicht. Warum, erklärt sie an anderer Stelle ebenfalls. „Derzeit hat nur ein sehr geringer Teil österreichischer Endkund:innen wirklich Interesse daran, eigene Endgeräte zu kaufen und ans Netz anzuschließen“, behauptet die RTR. „Der überaus größte Teil vertraut hier auf seinen Provider.“
Wieso all jene, die bereits heute gerne ihr eigenes Endgerät ohne ein weiteres Zwangsgerät des Providers nutzen möchte, dies weiterhin nicht dürfen, verrät die RTR nicht. Schließlich würde auch nach der Einführung einer echten Routerfreiheit weiterhin jeder die Möglichkeit haben, wie gewohnt das Gerät des Providers zu nutzen. Niemand möchte, dass sämtliche Endkunden gezwungen werden, ihren eigenen Router im freien Handel zu erstehen und selbst anzuschließen. Wer das tun möchte, sollte allerdings die Möglichkeit haben. Es geht um die Abschaffung von Zwängen, nicht um die Schaffung neuer.
RTR stellt Freiheit in Aussicht – die es laut RTR bereits gibt
Immerhin stellt die RTR in Aussicht, dass Freiheit eine Option werden könnte. Denn die RTR will „monitoren“, ob das Interesse der Endnutzer, ihren eignen Router zu verwenden, steigt. „Sollten sich die Rahmenbedingungen ändern, kann eine Neubewertung der rechtlichen Schlussfolgerungen erforderlich sein“, so die RTR. In anderen Worten: Wenn noch mehr Menschen sich Freiheit wünschen als gegenwärtig ohnehin schon, gibt es eines Tages womöglich tatsächlich eine Endgerätefreiheit. Wobei sich nun die Frage stellt, wieso die RTR davon spricht, dass in Österreich bereits heute eine Endgerätefreiheit herrscht?
Zudem stellt sich die Frage, wieso es nicht ausreicht, dass sich eine deutliche Mehrheit aller Internetnutzer in Österreich bereits heute eine freie Wahl des Endgerätes wünscht. Schließlich gab es in den letzten Jahren gleich mehrere landesweite Umfragen die zeigen, dass mehr als 70 Prozent aller Österreicher für die Einführung der Endgerätewahlfreiheit sind. Wie die RTR dennoch zu dem Schluss kommt, es bestünde nur wenig Interesse, bleibt unbeantwortet. Womöglich beschweren sich zu wenige verärgerte Verbraucher direkt bei der RTR. Das dürfte jedoch vor allem daran liegen, dass es keine Möglichkeit gibt, dies zu tun. Zwar gibt es ein Beschwerdeportal auf der Webseite der RTR. Doch hier stehen nur vier Gründe für eine Beschwerde zur Auswahl. Mit der Endgerätefreiheit haben diese allesamt nichts zu tun.
Dass womöglich nur wenige Beschwerden bei der RTR eingehen, verwundert also nicht. Wo es keine Möglichkeit gibt, sich zu beschweren, gibt es in der Konsequenz auch keine Beschwerden. Dass man dies dann allerdings als Gradmesser nimmt – und nicht die repräsentativen Umfragewerte – ist in etwa so, als würden bei der Nationalratswahl nur die Stimmen gezählt, die über die private Telefonnummer des Bundeskanzlers eingegangen sind.
Andere Länder trotzen den Providern, in Österreich sind die Provider die Könige
In Deutschland, wo der Netzabschlusspunkt bereits seit 2016 so definiert ist, dass niemand gezwungen wird, sein Wunschgerät als Zweitgerät hinter dem Providermodem anzuschließen, hat die Bundesnetzagentur übrigens gerade verkündet, dass sie einen Antrag von gleich fünf Branchenverbänden abweisen wird. Diese hatten versucht, eine Ausnahme der Endgerätefreiheit für Glasfaseranschlüsse zu bewirken. Nachdem keiner der Antragsteller und Interessenvertreter eine Begründung für eine Ausnahme liefern konnte, wird an der seit langem etablierten Wahlfreiheit beim Endgerät in Deutschland nicht gerüttelt.
Während in Deutschland und anderen EU-Ländern wie Italien, Belgien, Finnland oder den Niederlanden also der Kunde König ist, sind es in Österreich die Provider – und das auch dank einer Regulierungsbehörde, die statt zu regulieren lieber den Status Quo und damit den Bridge-Mode als Routerfreiheit verkauft.
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