Meldungen über Klagen der SAP gegen verschiedene Unternehmen haben viele Anwender aufgeschreckt. Immer geht es um indirekte Nutzung von SAP-Software und zugleich um viel Geld. Doch was ist eigentlich indirekte Nutzung, wie kann sie festgestellt und korrekt lizenziert werden? [...]
Über viele Jahre hinweg war das Verhältnis zwischen SAP und ihren Anwendern von einem hohen Maß an Vertrauen geprägt. Die Unternehmen, die auf SAP-Software setzten, waren sich bewusst, dass die tiefe Integration von SAP in die Unternehmensprozesse mit Abhängigkeiten zu dem Softwarehersteller verbunden war, nahmen dies aber billigend in Kauf – zumal damit auch andere Optionen zur Verfügung standen, beispielsweise die Möglichkeit, SAP-Lösungen individuell an konkrete Anforderungen im Unternehmen anpassen zu können.
Auf der anderen Seite unterstützte SAP die Unternehmen, indem der Softwarehersteller ihnen bei der Integration und Anpassung der Software zur Seite stand, ihnen preislich entgegenkam oder Lizenzbestimmungen anbot beziehungsweise akzeptierte, die vom üblichen Standardangebot abwichen, dafür aber besser auf die Bedürfnisse der Unternehmen zugeschnitten waren. Mit dieser Strategie hat sich SAP über die Jahre zum Marktführer für ERP-Software entwickelt.
Doch in Zeiten, in denen auch eine SAP gezwungen ist, gegenüber Aktionären regelmäßig Erfolge nachweisen zu müssen, sucht der größte deutsche Softwarehersteller intensiv nach neuen Einnahmequellen. Neben Umsätzen aus dem Verkauf weiterentwickelter Software oder neuer Produkte, zum Beispiel S/4 Hana, könnte SAP durch der Erhöhung der Softwarepflegegebühren oder der Kosten für Supportverträge zusätzliche Einnahmen realisieren.
Steigen die Wartungsgebühren, sehen Anwender rot Zumindest die letzte Option ist immer wieder in Diskussion, würde aber große Teile der SAP-Kundschaft schmerzhaft treffen und erheblichen Druck in Richtung SAP aufbauen. Man erinnere sich nur an die Ankündigung der Erhöhung der Wartungsgebühren im Jahr 2008. Damals entstand quasi über Nacht eine Protestbewegung, die das SAP-Management zwang, die Erhöhung der Wartungsgebühren auszusetzen. Die Wartungsgebühren wurden später zwar erhöht, allerdings in kleineren Schritten.
Da aber mit dem Verkauf von Software, und sei sie noch so innovativ, nicht das gewünschte Umsatzwachstum realisiert werden kann – hier hat SAP ihre Kunden auf Grund der starken Integration in Unternehmensprozesse regelrecht konditioniert, die Software nur dann anzupassen oder neue Komponenten einzuführen, wenn es durch Prozessanpassungen notwendig wird – und Wartungsgebühren nur moderat erhöht werden können, bleibt SAP scheinbar keine andere Option, als nach alternativen Einnahmequellen zu suchen.
So wie andere Softwarehersteller – wenn auch mit einiger Verspätung – hat SAP damit begonnen, Kunden zu auditieren. Und damit ist nicht die regelmäßig stattfindende Systemvermessung (License Administration Workbench: LAW) gemeint. Auch das ist sicherlich ein Mechanismus, mit dem SAP sicherstellt, dass Unternehmen für den Einsatz von SAP-Software die entsprechenden Lizenzgebühren abführen. Allerdings ist der Vermessungsprozess limitiert.
Wenn schon Audit, dann richtig Mit der Durchführung von Audits signalisiert SAP, dass es offenbar stärkerer Kontrollen bedarf, um insbesondere die Nutzung individuell vereinbarter Lizenztypen oder die indirekte Nutzung von SAP-Software festzustellen und die betroffenen Kunden hierfür bezahlen zu lassen. Begleitet werden die Audit-Aktivitäten von SAP von einzelnen Eskalationen, im Rahmen derer SAP Kunden bei Feststellung eines Lizenzverstoßes und erfolgloser Einigung zur Nachlizenzierung auf Schadensersatz verklagt. Da dies in der Vergangenheit nie der Fall war oder zumindest nicht an die Öffentlichkeit geraten ist, schlagen die aktuell durch die Presse gehenden Streitfälle umso größere Wellen in der SAP-Anwenderlandschaft.
Erst gingen im Februar 2017 Meldungen durch die Presse, wonach Diageo, ein weltweit tätiger Hersteller alkoholischer Getränke, von SAP auf die Zahlung von über 50 Millionen Euro verklagt wird. Im April 2017 wurde dann bekannt, dass ebenfalls im Februar 2017 SAP gegenüber der AB Inbev, der größten Brauereigruppe der Welt, eine Forderung in Höhe von mehr als 500 Millionen Euro erhoben hat. Im ersten Fall ist der Grund der Forderung bekannt. Es geht um unlizenzierte indirekte Nutzung von SAP. Im zweiten Fall ist die getroffene Formulierung der AB Inbev unspezifischer, aber auch hier wird auf indirekte Nutzung verwiesen (Seite 154):
„SAP Arbitration On 21 February 2017, SAP America, Inc. („SAP“) commenced an arbitration in New York against Anheuser-Busch Companies, LLC pursuant to the Commercial Arbitration Rules of the American Arbitration Association. The statement of claim asserts multiple breaches of a 30 September 2010 Software License Agreement (together with related amendments and ancillary documents, the „SLA“) based on allegations that company employees used SAP systems and data-directly and indirectly-without appropriate licenses, and that the company underpaid fees due under the SLA. The statement of claim seeks both reformation of the SLA in certain respects and also damages potentially in excess of USD 600 million. We intend to defend against SAP’s asserted claims vigorously.“
Alles eine Frage der Nutzung Der eine oder andere SAP-Kunde wird sich angesichts dieser Streitfälle fragen, was als indirekte Nutzung von SAP-Software anzusehen ist, und warum SAP auf eine Lizenzierung indirekter Nutzung besteht. Im Verständnis von SAP bezeichnet Nutzung „… die Ausführung der Prozessfunktionen der Software, das Laden, das Ausführen, der Zugriff auf, die Verwendung der Software oder das Anzeigen von Daten, die aus diesen Funktionen hervorgehen. Die Nutzung kann über eine Schnittstelle, die mit der Software oder als Teil der Software ausgeliefert wurde, über eine Schnittstelle des Auftraggebers oder eines Drittanbieters oder über ein anderes zwischengeschaltetes System erfolgen.“
Die Nutzung von SAP-Software wird in der Regel über sogenannte Packages und „SAP Named User“ lizenziert. Abhängig von der Lizenzierungsmetrik des Packages müssen entsprechende Nutzungsrechte im Umfang der Package-Nutzung sowie entsprechende SAP-Named-User-Nutzungsrechte erworben werden. In der SAP Preis- und Konditionenliste werden unterschiedliche Typen von Named Usern definiert. Der einem Nutzungsszenario entsprechende Nutzertyp ist insbesondere abhängig von der Art der Nutzung durch den Endanwender. Entsprechend der Nutzung können auch Dritte, zum Beispiel Geschäftspartner, Kunden und Lieferanten, einer Named-User-Lizenzierungspflicht unterliegen.
Was ist indirekte Nutzung? Bei indirekter Nutzung erfolgt die Nutzung – wie die Bezeichnung bereits nahelegt – nicht durch direkten Zugriff auf SAP-Funktionen, über die SAP-Standardbenutzeroberfläche oder durch Verwendung der Login-Daten des zugreifenden Endanwenders. Vielmehr erfolgt der Zugriff über eine Schnittstelle oder durch eine Non-SAP-Applikation. Diese Non-SAP-Applikation kann dabei ohne eine Verbindung zur SAP-Software nicht den vollen Nutzen entfalten beziehungsweise ist in ihren Funktionen eingeschränkt. Häufig genutzte Technologien zur Verbindung von SAP-Funktionalität mit Non-SAP-Applikationen sind RFCs (Remote Function Calls), BAPIs (Business Application Programming Interfaces) oder SAP WebServices.
Eine andere Variante indirekter Nutzung stellt der Datenaustausch zwischen Non-SAP-Applikationen beziehungsweise Non-SAP-Funktionalität mit SAP-Systemen dar. Dabei kann es dazu kommen, dass Endanwender ausschließlich die Funktionalität der Non-SAP-Applikation nutzen, diese Non-SAP-Applikation jedoch im Hintergrund lesend beziehungsweise schreibend auf ein SAP-System zugreift. In diesen Fällen sind SAP Named User Lizenzen zu erwerben, da SAP Datenverarbeitungsfunktionalitäten genutzt werden, die zum Beispiel die technische oder betriebswirtschaftliche Konsistenz von Daten im Unternehmen ermöglichen beziehungsweise absichern. Insbesondere wenn die Non-SAP-Applikation zumindest teilweise von in SAP (vor-)verarbeiteten oder in SAP gehaltenen Daten abhängt, und eine Schnittstelle zwischen diesen Systemen besteht, ist von einer kostenpflichtigen Nutzung im Sinne der Notwendigkeit von Named-User-Lizenzen auszugehen.
Als weitere Varianten indirekter Nutzung gelten zum einen die Verwendung interaktiver (dynamischer) Formulare, die Endanwendern die Möglichkeit zur Anzeige von in SAP gehaltenen und verarbeiteten Daten beziehungsweise zur Eingabe von Daten in SAP geben, und zum anderen der Zugriff einer Non-SAP-Applikation auf SAP Funktionalität. Wird zum Beispiel im Rahmen eines Non-SAP-basierten Bestellprozesses eine SAP basierte Verfügbarkeitsprüfung eines Artikels oder eine Kreditprüfung durchgeführt, wird SAP indirekt genutzt.
Zu guter Letzt gilt für Geräte, die ihrerseits eine Verarbeitung von Daten in SAP auslösen, eine Lizenzpflicht. Beispiele hierfür sind Barcode Scanner, die Warenein- oder -ausgänge in SAP-basierten Bestandverwaltungssystemen auslösen. Die SAP Preis- und Konditionenliste deckt einige Szenarien durch das Angebot entsprechender transaktionsbasierter Nutzungsrechte ab. Aufgrund der Vielfalt möglicher Szenarien und deren fortlaufende technische Weiterentwicklung, man denke in diesem Zusammenhang an Entwicklungen rund um IoT, ist es allerdings auch nicht überraschend, dass SAP in der Preis- und Konditionenliste nicht alles abschließend festschreibt.
Transparenz ist das Gebot der Stunde Die Bewertung der unterschiedlichen Szenarien indirekter Nutzung wird für jedes Unternehmen ein anderes Ergebnis zu Tage liefern. Allerdings ist es nicht unwahrscheinlich, dass bei tiefergehender Analyse indirekte Nutzung festgestellt wird. Wie viele Unternehmen tauschen beispielsweise über SAP NetWeaver Process Integration (PI) Daten mit anderen Applikationen aus? Wer betreibt nicht ein Webportal, welches auch von SAP gehaltene Daten anzeigt, zum Beispiel Produktnummern und Preise?
Die vollständige und fast nahtlose Integration in die Unternehmensprozesse und damit selbstverständlich auch in die IT-Systeme eines Unternehmens war und ist einer der wesentlichen Vorteile von SAP-Software. Sollten Fälle von indirekter Nutzung festgestellt werden, führt dies nicht zwangsweise zu zusätzlichen Lizenzbedarfen. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Anwender, die indirekt auf SAP zugreifen, bei der Bestimmung des Lizenzbedarfs entweder vergessen wurden oder die bereits erworbenen Lizenzen die indirekte Nutzung nicht abdecken. Letzteres gilt zum Beispiel für Mitarbeiter, denen für die Erfassung von Arbeitszeiten in SAP eine Employee-Self-Service User Lizenz zugewiesen wurde, die allerdings über eine Applikation auch Transaktionen außerhalb des Self Service auslösen.
Indirekte Nutzung feststellen Der Bewertung indirekter Nutzung und Ableitung des jeweils passenden Lizenztyps geht eine weitaus aufwendigere Aktivität voraus – die Feststellung indirekter Nutzung. Die wenigsten Unternehmen haben für Applikationen, die über Schnittstellen mit SAP verbunden sind, eine belastbare Dokumentation der Schnittstelle(n), das heißt:
Auslöser des Zugriffs (Anwender, Geräte),
der für den Zugriff auf SAP verwendete User Account,
die Richtung des Datenflusses (lesend, schreibend),
die Taktung des Datentransfers (synchron, asynchron),
das Format der ausgetauschten Daten etc.
Diese Informationen lassen sich in der Regel nur über Befragung der jeweiligen Applikations- oder Schnittstellenverantwortlichen erheben. Indikatoren für eine indirekte Nutzung liefern hingegen auch Systemvermessungsergebnisse, wobei der Einsatz von SAP-Vermessungstools zusätzliche Indikatoren liefern kann, zum Beispiel auffällige User Accounts mit einer besonders hohen Anzahl an verbrauchten CPU Sekunden oder erzeugten Änderungsbelegen.
Lizenzbedarf ermitteln Sobald festgestellt wurde, welche Applikationen welche SAP-User-Accounts für den Zugriff auf SAP-Funktionen oder den Austausch von Daten verwenden, kann nach der Bestimmung des Lizenzbedarfs in einem ersten Schritt aus dem bestehenden SAP Lizenzvertrag ein „geeigneter“ Lizenztyp ausgewählt und der Mehrbedarf an SAP kommuniziert werden. Eignung ist in diesem Zusammenhang wie folgt zu verstehen:
Der Lizenztyp deckt indirekte Nutzung von SAP entsprechend der Rechte zum Zugriff auf bestimmte SAP Funktionalitäten oder der Verwendung oder Speicherung von Daten ab.
Die Verwendung des Lizenztyps ist nicht durch andere Regelungen im Lizenzvertrag eingeschränkt oder ausgeschlossen.
Der Lizenztyp reflektiert den Wert der Transaktion über den Preis pro Lizenz.
Insofern sind zum Beispiel indirekte lesende oder schreibende Zugriffe von Mitarbeitern in der Produktion kostengünstiger über eine „SAP Worker User Lizenz“ zu lizenzieren, als mit einem „SAP Professional User“.
Sollten die im Lizenzvertrag enthaltenen Lizenztypen aus Sicht des Unternehmens für die festgestellte indirekte Nutzung nicht geeignet sein, kann in enger Abstimmung mit SAP ein Lizenztyp aus dem klassischen SAP Lizenzsortiment – siehe Preis- und Konditionenliste – ausgewählt oder gegebenenfalls ein für die indirekte Nutzung passender Sonderlizenztyp definiert und über einen separaten Lizenzvertrag beschafft werden.
Unternehmen sollten sich in jedem Fall darüber im Klaren sein, dass die Nichtverfügbarkeit eines für sie „geeigneten“ Lizenztyps nicht bedeutet, dass man die indirekte Nutzung von SAP nicht lizenzieren muss; ganz im Gegenteil. Die Notwendigkeit zur Lizenzierung und einer gegebenenfalls vorausgehenden Abstimmung und Einigung über das „Wie“ mit SAP geht aus dem Gerichtsurteil zum Diageo Fall klar hervor. Und im Worst Case lässt sich mit einem SAP Professional User fast jedes Szenario indirekter Nutzung ablizenzieren – nur eben nicht wirklich zu einem vernünftigen Preis.
Nachhaltigkeit hat Vorrang Der Aufwand zur Feststellung indirekter Nutzung ist erheblich, insbesondere wenn es um die Aufnahme und Analyse der Detailinformationen zu den relevanten Applikationen und Schnittstellen geht, und davon gibt es bisweilen mehrere hundert in einem Unternehmen. Hier gilt es so detailliert wie möglich zu sein, um jeden Fall richtig einzuordnen und den Lizenzbedarf korrekt zu bewerten – aber auch, um mögliche Rückfragen seitens der SAP beantworten zu können. Die Klärung mit SAP ist vor allem dann notwendig, wenn es keine geeigneten Lizenztypen im SAP Lizenzvertrag oder der Preis- und Konditionenliste gibt.
Hat man einmal alle Fälle indirekter Nutzung aufgenommen, hört die Arbeit allerdings nicht auf. Denn eins ist gewiss: Anforderungen im Unternehmen ändern sich und in Folge werden Unternehmensprozesse angepasst. Damit einher geht die Weiterentwicklung, Ablösung oder Neueinführung von IT Systemen. Jede Änderung an IT Systemen, die mit SAP Daten austauschen, muss dokumentiert und hinsichtlich indirekter Nutzung bewertet werden. Ebenso bedarf es eines kontinuierlichen Monitorings aller Änderungen zu berechtigten Benutzern, das heißt neue Benutzer, Änderungen in der Berechtigung der Benutzer (Daten lesen vs. Daten schreiben etc.) sowie die Deaktivierung oder Löschung eines Benutzerkontos. Die Vollständigkeit und Richtigkeit der so verwalteten Daten zu …
den Geschäftsprozessen,
den IT Systemen oder spezifischer den eingesetzten Applikationen,
den Benutzern der Applikationen und ihren Aktivitäten,
den Schnittstellen zwischen den Applikationen und SAP und
den über die Schnittstellen ausgetauschten Daten
… sind regelmäßig zu kontrollieren. Bei festgestellten Abweichungen müssen Korrekturmaßnahmen ergriffen werden. Die Koordination dieser Aktivitäten sollte über ein SAP-Lizenzmanagement sichergestellt werden.
* Jan Hachenberger ist Geschäftsführer der ConSalt Unternehmensberatung.
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