SAP-Migration: Nur eine Frage des Nutzens?

Sie kostet Zeit, viel Geld und ist am Ende eigentlich unumgänglich – die Migration auf S/4HANA. Doch welchen Nutzen hat der Umstieg auf SAPs neues ERP-System wirklich? [...]

(c) pixabay.com

Der Druck, auf S/4HANA zu wechseln, wächst. Denn die Uhr tickt und das Wartungsende für das Vorgängersystem rückt unerbittlich näher. Die Motivation für die Migration ist unterschiedlich. Die einen sehen nur die technologische Notwendigkeit ist, zu der sie die Produktstrategie ihres Softwarelieferanten zwingt. Andere sehen eine Chance für mehr Innovation in Prozessen und dem gesamten Business. Dazwischen gibt es viele Schattierungen. Eine pauschale Antwort nach dem Grund für einen Umstieg auf SAP S/4HANA gibt es nicht.

Zunächst bietet die Migration auf S/4HANA die Möglichkeit, viele Customizings aus den Vorgängersystemen zu eliminieren und zu einem Standard zurückzukehren. Inwiefern dies die klassischen ERP-Prozesse wie Buchhaltung, Materialwirtschaft oder Auftragsabwicklung betrifft, hängt davon ab, wie viel Innovation in ihnen steckt. In der Regel sind für diese stabilen Prozesse keine großen Änderungen zu erwarten. Was sich allerdings ändern wird, ist die Verarbeitung der durch diese Systeme fließenden Daten und die daraus resultierenden Chancen für ein Unternehmen. Durch den schnelleren Zugriff auf die ständig wachsenden Datenmengen und die Möglichkeit zur Anbindung von Data Analytics oder KI bildet S/4HANA die Basis für ein völlig anderes Ökosystem.

Stabilität im Kern, Bewegung im Business

Der technologische Ansatz ist eine von zwei Stoßrichtungen für die Migration auf S/4HANA. Die andere ist prozessgetrieben. Das heißt, viele Unternehmen wollen mit dem neuen SAP-System ihre Digitalisierung unterstützen. Dabei liegt der Fokus vor allem darauf, Prozesse zu optimieren, zu harmonisieren und zu standardisieren.

Daran führt meist kein Weg vorbei, vor allem weil sich derzeit das Business massiv verändert. Doch den Wandel von klassischen Geschäftsmodellen hin zu echtzeitfähigen, kundenorientierten Servicemodellen komplett mit einem ERP-Monolithen abzudecken, ist schier unmöglich. Deshalb zeichnet sich zunehmend der Trend ab, einen modernisierten ERP-Kern mit zusätzlichen flankierenden Lösungen zu ergänzen.

Workflow-getriebene Tools werden sich in Zukunft mehr und mehr vom Kern-ERP entfernen. Zahlreiche Tools – auch außerhalb von SAP – versprechen bereits, die Integration anderer Lösungen zu vereinfachen. So setzen zum Beispiel nicht wenige Unternehmen auf Salesforce für den Bereich CRM. Doch braucht es ein klassisches ERP dann überhaupt noch? Ja, denn die Stammdaten, die im alten Kern vorhanden sind, wird niemand einfach wegwerfen. Allerdings ist die Integration – gerade von SAP- und Non-SAP-Lösungen – kein Kinderspiel. Vor allem Lizenzierungsfragen können schnell komplex werden.

Die Modernisierung mit S/4HANA ist ein Projekt, bei dem man die Frage nach dem Mehrwert dem Aufwand gegenüberstellen sollte. Obwohl sie mit ihren bisherigen Prozessen sehr erfolgreich waren und in die Templates des alten SAP-Systems sehr viel Geld investiert haben, gibt es einen guten Grund, warum sich dennoch viele Unternehmen für die Migration entscheiden: mehr Agilität.

Aufräumen in der alten SAP-Welt

Das alte System vorher aufzuräumen, zu harmonisieren, zu konsolidieren und sich die Templates sowie das Customizing des alten ERPs genau anzusehen, fällt vielen Betrieben schwer. Nur so lässt sich aber feststellen, was auch noch in Zukunft wichtig sein wird, und es sich daher lohnt mitzunehmen. Die Abkehr von angepassten Prozessen hin zu einem Standard in S/4HANA bringt den Vorteil, dass diese nicht mehr beständig nachgepflegt werden müssen.

Was aber ist mit Prozessen, die sich nicht mit einem Standard abbilden lassen und für die das SAP-Regal auch noch keine Alternative bereithält? Ein ERP in der Cloud könnte hier eine Option sein. Das RISE-with-SAP-Pogramm bringt bereits in der Private Cloud Edition einen Blumenstrauß an Lizenzen mit, mit denen man viele Dinge ausprobieren und nutzen kann. Ein späterer Umzug in die Public Cloud bringt jedoch erneute Kosten mit sich. Wichtig ist jedoch, wie sich eine agile Integration zwischen den Systemen gestalten lässt.

Doch, wer noch grundlegend damit beschäftigt ist, den Mehrwert von S/4HANA zu eruieren, der ist mit seinen Gedanken sicher noch weit vom Thema Cloud-Interoperabilität entfernt. Deshalb raten Experten: Wenn Migration, dann sollte man sie richtig anfangen und bei der Evaluierung schon überlegen, wann und ob man in die Cloud gehen möchte. Denn selbst wenn die Scheu davor nach wie groß ist – Themen wie Cybersecurity oder Updates sind bei den Profis besser aufgehoben. Anstatt sich selbst damit zu beschäftigen, sollte man sich also lieber auf die Transformation der Prozesse konzentrieren, an deren Ende das Business im Zentrum steht.

Studie „S/4HANA 2022“: Sie können sich noch beteiligen!
Zum Thema S/4HANA führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, hilft Ihnen Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Härteprüfung Process Mining

Der entscheidende Punkt ist: Durch einen stärkeren Prozessfokus gewinnt S/4HANA einen Sinn – nicht andersherum. Doch viele Unternehmen haben sich in ihren Prozessen verrannt und scheuen sich davor, diese mittels Process Mining zu prüfen. Zudem fehlen ihnen oft auch die Mannschaft und die Methoden dazu oder gar die End-to-End-Sicht auf die Prozesse. Doch an mehr Transparenz führt kein Weg vorbei. Dabei gilt es, auch über den ERP-Tellerrand hinaus zu schauen, und auch Kunden- und Produktionsprozesse mit einzubeziehen. Diese außer Acht zu lassen, würde bedeuten, Mehrwert liegen zu lassen.

Allein die Gelegenheit, sich ausführlich mit seiner gesamten Prozesslandschaft auseinandersetzen zu müssen, sie zu hinterfragen und auf Zukunftsfähigkeit hin zu analysieren, ist bereits der größte Mehrwert, den S/4HANA einem Unternehmen bieten kann. Folglich ist eine SAP-Transformation definitiv kein IT-Projekt. Um sie erfolgreich zu gestalten, braucht es Hybrid Consultants, die das Business, die Prozesse, die Geschäftsmodelle und die Branche kennen, aber auch IT verstehen. Denn nur wenn das Unternehmen ganzheitlich abgeholt wird, dann kann es mit S/4HANA auch das Optimum für sich rausholen.

*Iris Lindner ist freiberufliche Journalistin für Elektronik und Automatisierung.


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