SAP: Weltweit Streit um Fiori-Kosten

Die Protestwelle rollt: Für ihre Fiori-Apps verlangt SAP zusätzliche Lizenzgebühren. Anwendergruppen in der Schweiz, Deutschland, UK und den USA wollen sich das nicht bieten lassen. Wie lange bleibt SAP noch hart? [...]

Im letzten Jahr führte SAP seine benutzerfreundlichen Fiori-Apps ein. Ein guter und längst fälliger Schritt: Mit Fiori können SAP-Benutzer produktiver und schneller ihre Arbeit erledigen. Der Pferdefuß an der Sache ist nur: Für Fiori verlangt der ERP-Weltmarktführer zusätzliche Lizenzgebühren. Die Proteste über diese Abzocker-Politik reißen  nicht ab, und nehmen jetzt globale Dimensionen an. SAP gerät weltweit unter Druck.

Als erste Anwendergruppe ging die DSAG, in der sich 49.000 Mitgliedern in der Schweiz, Deutschland und Österreich organisiert haben, mit den Walldorfern hart ins Gericht. Die Kosten für Fiori seien bereits mit den Standard-Wartungsgebühren abgedeckt, das stehe so in den Verträgen, sagt Andreas Oczko, Vorstandsvorsitzender der DSAG. Die von den Kunden bereits entrichteten Wartungskosten beinhalten die Anpassung an bestehende Technologien, und dazu zählen auch die Benutzeroberflächen, auf diesen Standpunkt stellt sich die DSAG. Große Unternehmen würden an SAP bereits mehrere Millionen Euro pro Jahr an Wartungsgebühren überweisen, und machen das seit 30 Jahren (PSLE Product Support for Large Enterprises). „Jetzt sollen sie schon wieder berappen?“, entrüstet sich Oczko.

Die Amerikaner stimmen jetzt ganz ähnliche Töne an. SAP bekommt auch dort die Leviten gelesen. „Als ehemaliger CIO habe ich mit Abstand am häufigsten Klagen über die zu komplexen und schwierigen SAP-Benutzeroberflächen zu hören bekommen“, erinnert sich Geoff Scott, CEO der Americas‘ SAP Users Group (ASUG). Eine sehr gute Bedienoberfläche sei nicht mehr nur ein „Nice to have“, sondern ein essentielles „Must“. Der normale SAP-Anwender sei kein IT-Experte, betont Scott. „Ich flehe SAP an: Helft euren Kunden, ihre SAP-Software jeden Tag schnell und produktiv einzusetzen“.

Amerikanische SAP-Kunden zahlen für eine Fiori-Lizenz pro User 150 Dollar. In der Schweiz dürfte es noch ein wenig mehr sein. ASUGs Scott will sich jedoch nicht als Hardliner verstanden wissen, der SAP kompromisslos niederknüppelt. Dabei würden beide Seiten nur verlieren. Vielmehr setzt er auf einen moderaten Kurs. Die ASUG will sich mit anderen SAP-Anwendergruppen koordinieren, um so den Druck auf den Anbieter zu erhöhen. „Wir müssen weltweit mit einer Stimme sprechen, das ist erfolgsentscheidend“, so Scott.

Die Chancen dafür stehen gut, denn auch in Großbritannien und Irland wächst der Unmut über SAPs Lizenzpolitik. „Wir sehen, dass eine beträchtliche Anzahl unserer Mitglieder besorgt darüber sind, für Fiori zusätzliche Investitionen tätigen zu müssen“, sagt Philip Adams, Vorsitzender der SAP-Anwendergruppe UK und Irland. „Wir werden in Kürze unter unseren Mitgliedern eine Umfrage durchführen, um diese Bedenken besser zu verstehen“, verspricht Adams.

Lässt SAP keine Möglichkeit aus, um ihren Kunden noch mehr Geld abzuknöpfen? Adi Kavaler, Global VP und SAP Fiori Solution Owner, sieht die Sache ein klein wenig anders. Die Leute sähen Fiori nur als neue Bedienoberfläche (deren Kosten dann bereits von den Standard-Wartungsverträgen abgedeckt wären), aber das sei nicht wahr. betont Kavaler. Es handele sich nicht nur um neu angestrichene Screens. „Fiori ist ein brandneues Produkt und eine zukunftsweisende Architektur“, erklärt er. „Wir haben den gesamten Sourcecode reorganisiert, um die Business-Logik vom Client-Code (Benutzeroberfläche) sauber zu trennen, um ein zukunftssicheres Interface zu schaffen“, betont der SAP-Mann.

Zudem seien mit der Fiori-Lizenzgebühr sämtliche Kosten abgedeckt, der Kunde erhalte Nutzungsrechte an allen SAP-Fiori-Apps. Zurzeit sind das 220. In den nächsten Quartalen würden weitere 60 Apps hinzukommen, meint Kavaler. Außerdem sei es schlicht zu kurzfristig, nur auf die zusätzlichen Gebühren zu starren. Fiori erhöhe die Produktivität der SAP-Anwender, die damit ihre Arbeit schneller erledigen könnten. Über die Zeitersparnis, so Kavalers Argumentation, spiele Fiori die anfängliche Mehrkosten rasch wieder ein.

Ob sich SAP von dem weltweiten Protestgeschrei beeindrucken lassen und ihre Lizenzpolitik punkto Fiori-Apps ändern könnte, darüber schwieg sich Kavaler im Interview mit unsere IDG-Kollegen in den USA aus. Die Chancen auf eine Richtungsänderung in Walldorf stehen aber nicht gar so schlecht. Schon einmal hat sich SAP durch anhaltende, energische Proteste seiner Kunden beeindruckt gezeigt – und hat letztendlich nachgegeben. Damals ging es um den sehr unpopulären und teuren Enterprise Support, der für alle SAP-Kunden obligatorisch sein sollte, obwohl viele KMU solche umfangreichen Supportleistungen gar nicht benötigen. Der damalige SAP-Chef Leo Apotheker musste in Folge der Enterprise-Support-Affäre seinen Hut nehmen. Schließlich ruderte der ERP-Riese zurück und man einigte sich auf einen für beide Seiten bekömmlichen Kompromiss.

* Michael Kurzidim ist Redakteur der Schweizer Computerworld.


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