Wie kann man Schülern beibringen, sich selbst zu organisieren und Verantwortung zu übernehmen? Die Wiener HTL TGM versucht es mit dem Konzept der "Lernbüros". [...]
Schluss mit dem starren Stundenplan: Das TGM, Wiens größte HTL, startet im Herbst mit zwei Klassen ein Experiment. Die Schüler sitzen nicht mehr in der Mathematik-Stunde, sondern gehen ins „Lernbüro“ und entscheiden selbst, wann und wie lange sie Mathematik lernen. Das Modell greift Ideen aus dem Technologenverband und aus Deutschland auf. Margret Rasfeld, eine Berliner Schuldirektorin, gibt ihre Erfahrungen an die Wiener Lehrer weiter, die Technologen helfen bei der Organisation.
„Gerade eine technische Schule soll innovativ sein, auch in der Art und Weise, wie sie Wissen vermittelt“, erklärt Hartmut Müller, Geschäftsführer von Raiffeisen Software und Präsident des Technologenverbands, des seit 1937 bestehenden Alumni-Clubs des TGM. „Die Lehrer müssen junge Menschen ja auf zukünftige Berufe vorbereiten, die es heute noch gar nicht gibt. Deshalb sollen die Schüler nicht einfach Stoff lernen, sondern vor allem lernen, wie sie Wissen selbstständig erwerben.“
Hier setzt die Idee des Lernbüros an. Es gibt keinen Frontalunterricht und keinen festen Stundenplan mehr. Stattdessen stehen den Schülern täglich zu bestimmten Stunden mehrere Arbeitsräume zur Verfügung: einer für Mathematik, einer für Deutsch, einer für Englisch, ebenso für die technischen Fächer. Wer etwa in Mathematik weiterkommen möchte, besucht das Mathematik-Lernbüro. Dort stehen den Schülern Arbeitsplätze mit PC zur Verfügung und ein Mathematik-Lehrer erklärt jedem einzeln, was er wissen möchte. Der Lehrer trägt nicht mehr Stoff vor, sondern wird zu einem Coach, der Fragen beantwortet. Die Schüler arbeiten individuell und in Eigenverantwortung.
KEIN FRONTALUNTERRICHT
Vorgegeben sind Wissenspakete, die sich die Schüler bis zur nächsten Schularbeit aneignen müssen. Wie und wann, bleibt ihnen selbst überlassen. Damit ändern sich die Rollen entscheidend. Die Schüler sind nicht mehr ein Publikum, das sich vom Lehrer berieseln lässt, sondern gestalten ihren Arbeitsablauf selbst.
„Im herkömmlichen Frontalunterricht gewöhnen sich die jungen Leute daran, dass man ihnen sagt, was sie tun sollen“, meint Rasfeld. „Das passt aber nicht mehr zu einer Arbeitswelt, die sich stark verändert. Das Lernbüro bringt den Schülerinnen und Schülern bei, sich selbst zu organisieren und Verantwortung zu übernehmen.“ Rasfeld gehört zu den Gründern der Initiative „Schule im Aufbruch“, die den gewohnten Schulbetrieb durch frische Konzepte und innovative Methoden ganz neu gestalten will.
Die Lehrer üben eine begleitende Kontrolle durch. Statt frontal zu unterrichten, überprüfen und unterstützen sie den Lernfortschritt der einzelnen Schüler beziehungsweise ob jeder mit seinen Wissenspaketen planmäßig vorankommt.
Wie gut sich die Lernbüros bewähren, werden schließlich die Schularbeiten zeigen. Sie laufen ab wie gewohnt. Mehr als das: Das TGM wird sie in den Lernbüro-Klassen und in den herkömmlichen Klassen gleichzeitig und mit den gleichen Aufgaben durchführen. Das soll einen unmittelbaren Vergleich der Methoden ermöglichen.
Das TGM ist die erste technische Schule, die ein richtiges Lernbüro einführt. Bisher haben einige allgemein bildende Schulen das Konzept erprobt – Volksschulen, Mittelschulen, Gymnasien, auch Musikschulen. Das TGM beginnt im September mit zwei Klassen der Richtung IT. Karl Reischer, Direktor des TGM: „Wir fühlen uns als Pioniere, die Begeisterung ist groß.“
Interessenten können sich selbst ein Bild von den Lernbüros machen, und zwar an den Tagen der offenen Tür des TGM am 11. und 12. November 2016. (pi/rnf)
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