Wenn es um zeit- und kosteneffiziente Softwareentwicklung geht, verdrängen Low- bzw. No-Code-Plattformen zunehmend die klassische, codebasierte Methodik. Welche Vorteile der Ansatz bringt, für welche Bereiche er sich am besten eignet und wo die Grenzen liegen, erklärt Jürgen Kalcher, Senior Consultant bei DCCS. [...]
Generell ermöglichen Low- bzw. No-Code-Plattformen sowohl Entwicklern als auch Laien die schnelle und einfache Erstellung von Anwendungen. Die wesentlichen Unterschiede zur herkömmlichen Methodik liegen einerseits in der Entwicklungsbasis, denn Low-/No-Code nutzt visuelle, vorgefertigte Elemente, die sich meist per Drag & Drop zusammenfügen lassen. Damit entfallen die zeilen- und textbasierten Editoren der klassischen Entwicklungssprachen. Das Potenzial für Low-/No-Code ist enorm: Das Marktforschungsinstitut Gartner prognostiziert, dass bis 2024 rund 75 Prozent aller Großunternehmen mindestens vier unterschiedliche Low-Code-Entwicklungstools und mehr als 65 Prozent aller Unternehmen Low-Code als Alternative in der Softwareentwicklung einsetzen werden. Ähnliches sagt Forrester voraus, nämlich eine Verdreifachung des globalen Markts für Low-Code-Anwendungen, von 6,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 auf 21 Milliarden Dollar im Jahr 2022.
Aufwand und Kosten einsparen
Low-/No-Code ist zudem wesentlich schneller, effizienter und kostengünstiger als die herkömmliche Entwicklung, denn es wird nur bedingt Entwicklungs-Knowhow benötigt. In Zeiten des IT-Fachkräftemangels ist dieser Aspekt besonders bedeutend. Ein weiteres Argument ist die kurze Entwicklungszeit, denn die Anforderungen des Fachbereichs können sehr schnell in Form eines Proof-of-Concepts bzw. Prototyps mit geprüften Bausteinen und Funktionselementen in eine Applikation umgesetzt werden. Ein zusätzlicher Vorteil liegt im einheitlichen Zugang für die Applikationsentwicklung. Damit liegt eine Basis für ein Set von Anwendungen im jeweiligen Fachbereich vor, die identisch sind bei z.B. Erscheinungsbild, User Experience und der Darstellung von Workflows, sowie ein schnelles Einlernen der User fördern.
Aus IT-Sicht ist wesentlich, dass Low-/No-Code eine einheitliche Architektur und Autorisierung, hohe Verfügbarkeit und Skalierbarkeit sowie das Life-Cycle-Management unterstützt. Außerdem hilft der Ansatz, die problematische Schatten-IT aus den Fachabteilungen zu eliminieren. Die Praxis zeigt, dass viele Unternehmen große Probleme mit selbstgestrickten Insellösungen haben, weil diese weder sicher, nachvollziehbar und standardisiert, noch wiederverwendbar sind. Außerdem verursachen sie hohen Wartungsaufwand.
Prozesse und Workflows im Fokus
Je größer ein Unternehmen und komplexer seine Geschäftsprozesse, desto weniger werden die Abläufe in den einzelnen Fachabteilungen von Standardlösungen optimal unterstützt. Mit Low-/No-Code können befähigte Key-User unter Governance der IT-Abteilung selbst Applikationen entwickeln, die Auditierungen und der klaren Nachvollziehbarkeit von Prozessen entsprechen. Darüber hinaus ist Low-/No-Code in fast allen Branchen einsetzbar und bietet speziell für Unternehmen, die einen hohen Digitalisierungsbedarf haben, einen zeit- und kosteneffizienten Baukasten. Damit lassen sich sämtliche Prozesse, die z.B. ERP-Systeme nicht abdecken, digital abbilden.
Typische Anwendungen umfassen Kernprozesse wie Auftragsbearbeitung, Qualitätsmanagement, Einkauf und Fakturierung, aber auch Supportprozesse (Urlaubsplanung, Reisekostenabrechnung, Fuhrparkverwaltung, Mitarbeiter-Onboarding, etc.). Nicht zuletzt lassen sich mittels Low-/No-Code auch Applikationen für Managementprozesse erstellen, etwa in den Bereichen Strategie, Planung, Controlling und Risikomanagement.
Grenzen für Low-/No-Code
Die Gartner-Studie sagt auch, dass bis 2024 alle Wissensanwendungen in Richtung Low-Code wandern werden. Naturgemäß gibt es aber auch Grenzen für diese Technologie: Bei zu großer Komplexität, etwa technischen oder wissenschaftlichen Berechnungen, stößt der Ansatz an seine Limits. Eine Anforderung wie beispielsweise die Planung eines komplexen technischen Projekts fällt nicht in ein standardisiertes Schema und verlangt Individualentwicklung. Auch Aufgaben mit hoher Systemintegration, etwa mit vielen Schnittstellen zu anderen Umgebungen, benötigen die Pro-Code-Methodik. Die Entscheidung, welcher Entwicklungsansatz der jeweils passende ist, ist mit der Erfahrung und Beratung eines spezialisierten IT-Dienstleisters am besten zu treffen.
Das Beste aus beiden Welten
Je nach Anwendungsbereich und Branche eignen sich entweder der klassische Ansatz, Low-/No-Code oder ein Mix aus beiden Methoden. Dabei gilt: Je standardisierter die Anwendung, desto stärker kommt Low-/No-Code zum Einsatz. Umgekehrt verlangen spezifische Applikationen, wie etwa im Bankenwesen üblich, eine Individualentwicklung. Trotzdem lassen sich in solchen Fällen beispielsweise per Low-Code individuelle Lösungen für die Anbindung von Schnittstellen entwickeln. DCCS setzt nur auf solche Low-Code-Plattformen, die es erlauben, auch mit Pro-Code zu ergänzen und andere Systeme anzubinden.
Ähnlich verhält es sich bei der Frage, ob die Cloud für Entwicklungen genutzt oder ein On-Premises-Ansatz gewählt wird. Die Anbieter von Low-/No-Code-Plattformen halten für beide Varianten (und hybride Modelle) Lösungen bereit. Der Trend geht jedenfalls zu Entwicklungs-Engines in der Cloud, mit möglichen Schnittstellen zu On-Premises-Systemen. Beide Varianten haben naturgemäß Vor- und Nachteile, vor allem bei Skalierbarkeit und Kosten. Die Wahl des passenden Hostings hängt in erster Linie von den Bedürfnissen des Kunden ab.
Digitalisierung als Motor
Software-Modernisierung und Prozess-Digitalisierung sind Treiber für den Einsatz von Low-Code-Plattformen. Ziel ist eine Standardisierung der Unternehmens-IT, weg von Insellösungen und hin zu Standardplattformen, um die Steuerung und Kontrolle sicherstellen zu können. Mit einer einheitlichen Entwicklungsplattform für die Prozess-Digitalisierung lassen sich auch Kosten sparen. Wenn es darum geht, alte Applikationen abzulösen und Software zu modernisieren, bietet Low-/No-Code ein ideales Instrument, um rasch und kosteneffizient ans Ziel zu kommen. Aber auch in Krisenzeiten steht der Ansatz hoch im Kurs, etwa um digital gestützte Workflows einzurichten, die gemeinsam (aus dem Homeoffice) genutzt werden können. Damit lassen sich beispielsweise Dokumentenfreigaben rasch und einfach erstellen.
Zudem ist Low-/No-Code ideal geeignet, um mobile Applikationen zu entwickeln. Vertriebsmitarbeiter können somit ihre Auftragsformulare auf Papier durch eine digitalisierte Variante ersetzen und Zeit sowie Kosten einsparen. Die Corona-Krise hat aufgezeigt, wie gut Unternehmen digital aufgestellt sind. Wer es versäumt hat, effektive Homeoffice-Lösungen, digitale Workflows und mobile Applikationen in seinen Betrieb zu integrieren, hat nun großen Aufholbedarf.
*Jürgen Kalcher ist Senior Consultant bei DCCS.
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