Seat-CIO André Radon: „Man arbeitet agil oder man ist agil“

Der CIO von Seat und Cupra, André Radon, und Claudia Aryus, Chefin des konzerneigenen Agile Centers, plädieren für einen werteorientierten agilen Wandel. [...]

"Im Grunde geht es darum, den agilen Wandel zu seinem eigenen Anliegen zu machen", sagt André Radon, CIO von SEAT und der Marke Cupra. Foto: SEAT

Wenn André Radon einem BMW Z3 begegnet, guckt er gern unter die Motorhaube. Denn dort befindet sich eine Dose, ein bestimmter Teil der zentralen Elektronik, den Radon mitentwickelt hat. Man spürt seine Begeisterung für die Produktentwicklung noch heute. „Eine ordentliche Produktvision bringt einen Wert. Mit ihr mache ich mein Leben und das anderer Menschen einfacher und verändere die Welt“, sagt Radon im Herbst 2021 auf dem automotiveIT Kongress in Berlin. Doch Technologie ist nicht alles. Der Vortrag, den er zusammen mit seiner Kollegin Claudia Aryus hält, trägt den Titel „(Why) culture drives digitalization.“

Als Radon im März 2021 CIO von Seat und Cupra wurde, wollte er nicht gleich alles auf den Kopf stellen. „Die Strategie ist top“, berichtet er. Ihm sei es darum gegangen, Strukturen zu schaffen, die Organisation nachhaltiger zu machen und das Thema Werteorientierung zu betonen. Die Corona-Krise habe die Seat-IT mit Bravour gemeistert. „Ich lasse mich nicht daran messen, welche IT-Kosten wir haben, sondern am Wertbeitrag der IT“, stellt er klar.

Die Einführung digitaler Unterschriften anstelle von Briefen sei für ihn noch keine Digitalisierung. Da gebe es ganz viele Themen, die in die Köpfe müssten. Er erzählt beispielsweise von der Einführung einer Sharing-Plattform, auf der vom Roller bis zum Auto vieles angeboten werde: „Da gab es Widerstand von Abteilungsleitern, die ihre Abteilungsautos nicht abgeben wollten.“ Besonders wichtig ist ihm, Silos im Unternehmen aufzubrechen. Dazu soll unter anderem das Agile Center of Excellence beitragen, das 2019 eingerichtet wurde.

Agile Methoden und Kultur

Claudia Aryus ist verantwortlich für das Agile Center und betont: „Kultur dreht sich um Menschen. Auch hinter der Digitalisierung stecken immer Menschen. Mit dem Agile Center of Excellence wollten wir ein Team aufbauen, das Menschen, die Produkte entwickeln, methodisch begleitet.“ Ein Selbstläufer sind solche Initiativen nicht. Laut der Unternehmensberatung McKinsey scheitern 70 Prozent der Versuche, digitale Innovationen umzusetzen, an den Faktoren Kultur und Mindset.

In Seats Agile Center ging 2019 ein spanisches Team unter der Leitung von Aryus an den Start. Zusammen mit ihr waren sie sechs Mitarbeiter, die teilweise schon seit 19 Jahren für den Autobauer tätig waren. Einen agilen Hintergrund als Scrum Master oder Product Owner brachte keiner mit. Doch sie waren hochmotiviert und wertegetrieben, berichtet Aryus. Ihr Ziel sei es gewesen, Menschen in ihrer agilen und kulturellen Transformation zu unterstützen. Dazu formulierten sie eine gemeinsame Mission: Das Team sollte sich auf Werte und Menschen konzentrieren und letztlich Spaß an der täglichen Arbeit haben.

Agilität – ein steiniger Weg in vielen Unternehmen

So startete das Team voller Elan. Doch schon bald breitete sich das Gefühl aus, etwas zu verkaufen oder sogar kostenlos anzubieten, dass niemand im Unternehmen haben wollte. „Wir wollten den Entwicklungs-Teams methodisch helfen, auch deren Workshops moderieren“, erinnert sich Aryus „Da wurden wir mit großen Augen angeguckt und die Kollegen haben gesagt: Ok, aber das brauchen wir gar nicht“. Vor der Corona-Pandemie wurde das Team des Agile Centers von anderen Bereichen schon mal als „Post-It guys“ belächelt: Die Mitglieder kamen mit einem kleinen Köfferchen in die Abteilungen, in dem sich unter anderem die gelben Klebezettel befanden. Doch mit der Corona-Pandemie änderte sich die Lage.

Agile Methoden und SAFe im Digital Business

Heute unterstützt das Seat Agile Center of Excellence verschiedene Unternehmensbereiche bei der Produktenwicklung. Aryus nennt ein Beispiel: Im Herbst 2020 Jahr führten die Agile-Experten im Bereich Digital Business das agile Framework SAFe ein. Dieses kommt häufig in großen und komplexen Projekten zum Einsatz, wo sich andere agile Methoden weniger gut eignen.

„Wir haben nicht das komplette Framework eingeführt“, berichtet Aryus. Begonnen habe das Team mit dem sogenannten PI Planning („Program Increment Planning“). Gemeint sind damit regelmäßig abgehaltene Events, zu denen sich mehrere Teams treffen, um eine gemeinsame Vision zu finden, Features zu besprechen, die Roadmap zu planen und teamübergreifende Abhängigkeiten zu identifizieren. Mittlerweile hat bereits das dritte PI Planning im Digital Business stattgefunden.

Die wichtigsten „Learnings“ des Seat Agile Centers of Excellence lauten:

  • Die Mitarbeiter des Agile Centers of Excellence sollten nicht mit dem Vorsatz in die Teams gehen, agilisieren zu wollen.

„Wir müssen nicht agilisieren, das wollen die Teams vielleicht gar nicht“, stellt Aryus klar. Ihrem agilen Team sei es wichtig, Probleme zu lösen. Sehr oft hätten sie in ihrem Methodenkoffer eine Lösung, die den Kollegen hilft. Das kann etwa die Empfehlung sein, ein Kanban-Board einzusetzen.

  • Das Agile Center arbeitet nicht nur für die IT.

„Wir sind für das ganze Unternehmen da. Wir sind Dienstleister und arbeiten Schulter an Schulter mit unseren Unternehmensbereichen“, beschreibt Aryus den Mehrwert des agilen Teams.

  • Verantwortung lässt sich nicht delegieren.

„Manager, fangt bei euch an!“, appelliert Aryus. Führungskräfte stünden in der Verantwortung, Probleme zu lösen: „Achtet darauf, welche Herausforderungen es gibt und bietet Lösungen an.“ Solche Lösungsangebote würden in der Regel dankbar aufgenommen.

Keine vorgefertigten agilen Frameworks

Mittlerweile bietet das Agile Center auch agile Trainings für Kolleginnen und Kollegen an. „Man kann unglaublich viel lesen über Agilität und Kultur, am Ende muss man es einfach machen“, sagt Aryus. Dass es im Unternehmen immer mehr Menschen gibt, die sich mit agilen Themen beschäftigen, habe den Vorteil, dass keine externen Trainings eingekauft werden müssten. Seat könne seinen eigenen agilen Weg passend zur Unternehmenskultur gehen, ohne auf vorgefertigte Frameworks zurückgreifen zu müssen.

Eine Stärke des Agile Centers sieht die Managerin darin, dass ihr Team in der Regel nicht Teil des Problems sei: „Wir gehen rein, berichten aber nicht an den Manager in diesem Team. Gleichzeitig verstehen wir uns mit den Personen und sprechen die gleiche Sprache, weil wir interne Mitarbeiter sind.“ Wie viele Teams bei Seat bereits agil arbeiten beziehungsweise agile Tools nutzen, kontrolliert das Agile Center nicht. Man sehe im Unternehmen aber eine steile Lernkurve, gemeinsam kollaborative Tools zu nutzen, sagt Aryus.

CIO Radon hat seine eigene Sicht auf die Entwicklung: „Man arbeitet agil oder man ist agil.“ Im Grunde gehe es darum, den agilen Wandel zu seinem eigenen Anliegen zu machen. „Man muss es im Kopf verstehen, aber hier fühlen“, sagt er und legt eine Hand auf sein Herz. Deshalb halte er den Begriff „Mindset“ auch nicht für passend, sondern spreche lieber von „Heartset“. Radon: „Man muss die Technologie verstehen und herausfinden, wie man sie anwendet. Und dann muss man versuchen, es wirklich zu fühlen. Wenn man es fühlt, dann folgt auch der Kopf.“

*Andrea König schreibt seit 2008 für CIO.de. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit für die CIO-Redaktion sind Themen rund um Karriere, soziale Netzwerke, die Zukunft der Arbeit und Buchtipps für Manager. Die Arbeit als freie Autorin für verschiedene Redaktionen ist mittlerweile kein Vollzeitjob mehr – hauptberuflich arbeitet sie als PR-Beraterin bei einer Hamburger Kommunikationsagentur.


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