Seefracht schippert rechtssicher ohne Papier

Mit HAPTIK haben die DB Schenker AG und das ZRI eine Blockchain-Lösung entwickelt, die die Abwicklung von Seefrachtverkehr vollständig digitalisiert. [...]

(c) pixabay.com

Frachtpapiere, Zolldokumente, Ein- und Ausfuhrgenehmigungen – im internationalen Seefrachtverkehr gilt im Grunde noch immer eine Jahrhunderte alte Dokumentationspflicht für den Warenverkehr. Das macht den Handel nicht unbedingt einfacher. Zumal sich die Regeln von Land zu Land unterscheiden und viele Unterlagen nach wie vor in Papierform von Hand zu Hand gehen. An der Abwicklung eines Warentransports von Afrika nach Europa sind bis zu 30 Personen, Behörden und Organisationen beteiligt. Mehr als 200 Interaktions- und Kommunikationsschritte sind notwendig, um das Handelsgut regelkonform von A nach B zu bringen.

„Das wichtigste Dokument des Güterverkehrs ist nach wie vor das so genannte Konnossement“, erläutert Dieter Sellner, zuständig für den Bereich Global IT Land and Digital Solutions (GILDS) bei Schenker. Dieses Papier – auf Englisch „Bill of Lading“ – erfüllt mehrere Funktionen: Es beweist, dass ein Gut durch den Verfrachter übernommen wurde und verbrieft die Verpflichtung, es an einem bestimmten Ort an den Empfänger abzuliefern.

Das wichtigste Dokument im Seefrachtverkehr ist das Konnossement, sagt Dieter Sellner, zuständig für den Bereich Global IT Land and Digital Solutions (GILDS) bei der DB Schenker AG.
Foto: DB Schenker AG

„Bislang wird das Konnossement in Papierform durch die Hände der Beteiligten gereicht, damit sie die Dokumente prüfen können“, sagt Dr. David Saive, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Recht der Informationsgesellschaft (ZRI) an der Universität Oldenburg. Der damit verbundene Zeit- und Kostenaufwand ist immens. Zudem ist das System fehleranfällig. Medienbrüche bieten viel Spielraum, Daten falsch ein- und weiterzugeben. Eine Digitalisierung dieser Prozesse scheiterte bislang an den vielen unterschiedlichen rechtlichen Regularien sowie der fehlenden Standardisierung. Die einzige Innovation der zurückliegenden Jahrzehnte sei die Einführung von Farbdruckern gewesen.

Digitale Token lösen alle Dokumente ab

Das soll sich nun ändern. Der Logistiker DB Schenker AG hat gemeinsam mit dem (ZRI) ein Projekt gestartet, das Konnossement vollständig digital abzubilden. Das Vorhaben „Handelbarkeit physikalischer Güter durch digitale Token in Konsortialnetzwerken“ (HAPTIK) startete im Januar 2019 und wurde Ende März 2022 abgeschlossen. Beteiligt waren ferner die Abteilung VLBA (Very Large Business Applications) der Fakultät Wirtschaftsinformatik sowie das OFFIS, das Institut für Informatik, beide angesiedelt an der Universität in Oldenburg.

Gefördert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit insgesamt 1,4 Millionen Euro. Aufgrund der großen Resonanz in Wissenschaft und Praxis hat sich das BMWK dazu entschlossen, das Projekt HAPTIK mit dem EXIST-Forschungstransfer und zirka einer Million Euro weiterer Förderung, zu unterstützen. Ziel ist der baldige Markteintritt.

David Saive, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Recht der Informationsgesellschaft (ZRI) an der Universität Oldenburg, bezeichnete HAPTIK als einzigartig, weil die Lösung als erste überhaupt Frachtpapiere elektronisch rechtssicher abbilden kann.
Foto: ZRI

Die HAPTIK-Lösung basiert technisch auf einer Blockchain. „Sachlich ist sie weltweit einzigartig, weil sie als einzige überhaupt Frachtpapiere elektronisch rechtssicher abbilden kann“, erläutern die Projektbeteiligten. Bisher sei es nur gelungen, die Beleg- und Beweisfunktion des Konnossements elektronisch abzubilden. Juristische Unsicherheiten blieben weiter bestehen. Eine der Papierversion gleichwertige, rechtlich abgesicherte Digitalversion sei bis heute nicht auf den Markt gebracht worden.

Mit HAPTIK haben die beteiligten Projektpartner den Digitalisierungsgedanken konsequent zu Ende gedacht. Traditionelle Methoden zur Digitalisierung würden oft nicht alle Vorteile ausschöpfen. Vielfach folgten digitale Dokumente nach wie vor analogen Workflows. Damit blieben aber auch die Nachteile der analogen Welt erhalten.

Ganz sicher rechtssicher – Juristen entwickeln die Blockchain

Das Projekt HAPTIK verfolgte von Anfang an den Ansatz, eine Blockchain-Lösung von Juristen entwickeln zu lassen. Damit konnte juristisch abgesichert das Konnossement zu 100 Prozent digitalisiert werden. Papier und elektronische Dokumente in PDF-Form werden überflüssig – es gibt nur noch einen Blockchain-Token mit den entsprechenden Daten. Alle an einem Warentransport Beteiligten – Versender und Empfänger, Logistiker und Finanzdienstleister, Zoll- und Hafenbehörden – können ihre Information in die entsprechende Blockchain eintragen.

HAPTIK bietet dafür eine unabhängige Plattform, beschreiben die Projektverantwortlichen ihren Ansatz. Das Prinzip beruhe darauf, dass HAPTIK keinerlei Zugriff und Kontrolle über die in der Blockchain abgelegten Daten ausüben könne. Es werde lediglich der Service, Daten im System abzulegen, angeboten.

Dort werden die Daten rechtssicher und unveränderlich aufbewahrt. Sämtliche Vorgänge bleiben transparent und nachvollziehbar. Dokumente zu fälschen, ist in einer Blockchain praktisch nicht mehr möglich. Der gespeicherte Inhalt lässt sich nicht manipulieren, auch wenn unterschiedliche Nutzer darauf zugreifen. „Digitale Konnossemente lassen sich per Mausklick innerhalb von Sekunden erstellen, übertragen und auf ihre Richtigkeit hin überprüfen“, sagt Saive, ZRI-Experte für Rechtsfragen der Blockchain-Technologie.

Zollabwicklung in Stunden statt Tagen

Die Vorteile eines solchen Systems liegen auf der Hand. Während Zollerklärungen im oben genannten Beispiel eines Warentransports von Afrika nach Europa schon einmal vier bis fünf Tage in Anspruch nehmen können, lässt sich ein Blockchain-basierter Zoll-Prozess theoretisch innerhalb weniger Stunden abwickeln.

Der Einsatz elektronischer Konnossemente ist in Deutschland seit 2013 gemäß § 516 Abs. 2 HGB zulässig. Voraussetzung dafür ist, dass die verwendete elektronische Aufzeichnung alle Funktionen darstellen kann, die der papierbasierte Vorgänger erfüllt. Experten bezeichnen dies als Funktionsäquivalenz. Welche technische Lösung dafür zum Einsatz kommt, schreibt das Gesetz nicht vor. Deutschland gehört damit zu den wenigen Ländern, die den Einsatz elektronischer Konnossemente gestatten.

Der Grundstein für effizientere, einfachere und vor allem sichere Handels- und Transportprozesse ist damit also gelegt. Jetzt geht es darum, dem System weltweit Anerkennung zu verschaffen. Grundsätzlich sollte dies aus Sicht der Projektverantwortlichen kein Problem sein. Erste Schritte dorthin sind bereits in Vorbereitung. Auf Basis von HAPTIK soll ein Minimum Viable Product (MVP) entstehen. Die praktische Umsetzung wird von DB Schenker begleitet.

*Martin Bayer: Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP; Betreuung von News und Titel-Strecken in der Print-Ausgabe der COMPUTERWOCHE.


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