Welche Möglichkeiten und Probleme bietet die Verschmelzung von IT und OT? Siemens-CIO Hanna Hennig gibt auf den Hamburger IT-Strategietagen einen Überblick. [...]
Netflix, Airbnb und Co. hätten vorgemacht, wie physische Geschäftsmodelle digitalisiert werden, so Hanna Hennig. Die Transformation der Wirtschaft sei damit aber noch nicht abgeschlossen. Denn: Die Revolution des Business stoße laut der Siemens-CIO in großen Teilen der physischen Welt noch an ihre Grenzen.
Fabriken, Städte, Kommunikationsnetzwerke oder Fahrzeuge seien teilweise bereits mit Sensoren ausgestattet und damit Operational Technology (OT). Die so erhaltenen Daten aufzubereiten und zu nutzen scheitere oft jedoch an der Verbindung zur IT. Software entwickle sich schneller weiter als die Hardware der OT, mit der sie interagieren soll. Das Ergebnis sei ein System mit zwei Geschwindigkeiten, die sich schwer miteinander kombinieren ließen.
Software First
„Wir müssen Hardware für Software bauen, statt umgekehrt,“ formuliert Hennig einen Lösungsvorschlag. „Software first“ laute die Devise. Es gilt, eine neue Generation von Hardware-Devices zu entwickeln, die durch Software gesteuert werden.
Der Managerin zufolge sollten diese smarten Geräte remote und kontinuierlich mit Updates für Software und Betriebssysteme versorgt werden können. Dazu sind Lösungen notwendig, die smartes IoT-Computing im Edge-Bereich ermöglichen. Zudem sollte die Hardware Cloud-fähig sein, sofern das mit Sicherheitsvorgaben vereinbar ist.
Drei Branchen im Fokus
Siemens arbeite laut Hennig daran, solche Lösungen für drei Branchen zu entwickeln. Die Potenziale fasst die Managerin anhand von Zahlen zusammen: In der Fertigungsindustrie ließen sich 60 Prozent aller Aufgaben automatisieren. Dadurch könnten sowohl die Produktivität und Produktqualität als auch die Sicherheit im Unternehmen erhöht werden. Darüber hinaus könnten Unternehmen mit digitalen Zwillingen Fertigungsabläufe simulieren und Anlagen für neue Produkte konfigurieren. Zudem erleichtern es Digital Twins, Maschinen in neue Standorte zu überführen und dort in Betrieb zu nehmen.
Bei Infrastrukturthemen fielen 80 Prozent der Lifecycle-Kosten im laufenden Betrieb an. Hier bieten sich IoT-Anwendungen in der Planung an, um Ausgaben zu senken. So könnten etwa Gebäude von Anfang so entworfen werden, dass sie nach der Fertigstellung effizienter und sicherer seien.
Der dritte Fokusbereich ist die Mobilität. Beim Bahnverkehr etwa könnte durch smarte Lösungen ein Fünftel mehr Transportkapazität erreicht werden, ohne neue physische Infrastruktur bauen zu müssen. Der Siemens-Service „Railigent“ biete beispielsweise intelligentes Asset Management für Bahnen. Über Sensordaten ließen sich Störungen voraussagen. Dadurch könne die Instandhaltung und Betriebsplanung optimiert werden.
Noch einige Baustellen
Trotz der vielversprechenden Ansätze sieht Hennig noch einige Herausforderungen. IT und OT nutzen oft verschiedene Technologien. Ältere Maschinen verwenden unterschiedliche Protokolle oder dezentrale Lösungen. Das erschwere es, Daten zwischen beiden Welten auszutauschen und zu verarbeiten.
Zudem müssen die Daten erst einmal vorhanden sein. Vielerorts gäbe es laut der Managerin bisher aber nicht genügend Daten, oder sie seien fehlerhaft. Mehr Sensoren könnten Abhilfe schaffen. Die angelieferten Informationen gilt es darüber hinaus nutzbar zu machen. Dabei stellen sich oft Fragen nach der Ownership und zum Datenschutz, die noch zu klären seien.
Haben Unternehmen erfolgreiche Pilotprojekte, müssen sie in den produktiven Betrieb oder neue Werke überführt werden. Es gilt also sicherzustellen, dass die smarten Lösungen skalieren können. Hennig plädiert für offene Architekturstandards, um den Weg vom Piloten zum Produkt zu erleichtern.
Fachkräftemangel in den Bereichen IoT und künstliche Intelligenz hemmen solche Projekte. Eigene Mitarbeiter zu schulen, sei ein möglicher Ausweg. Bei Siemens habe man beispielsweise 500 Millionen Euro in das Upskilling des Personals investiert, so Hennig.
Die Angst vor Cyberangriffen ist eine weitere Hürde. Sie führe dazu, dass Anlagen häufig nicht an die Cloud oder das Netzwerk angeschlossen werden, so die CIO.
Nicht zuletzt existierten in vielen Unternehmen noch Silos, die IoT-Projekte verlangsamen. Dort ist Führung gefragt: Die OT-Einheiten müssten mit den IT- und Sicherheitsverantwortlichen auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet werden. Das sei auch bei Siemens ein langjähriger Prozess, berichtet die IT-Chefin. Es habe sich jedoch bewährt, nahe am Business zu arbeiten. IT und Lieferanten sollten etwa mit den Werksleitern über Bedarfe in den Fabriken sprechen. Daraufhin gilt es, IoT-Projekte zu starten, die dort Abhilfe schaffen. So entstehe übergreifende Zusammenarbeit.
Kleine Schritte
Zum Schluss sprach Hennig der CIO-Community Mut zu: „Trauen Sie sich anzufangen. Starten Sie mit kleinen Projekten und bringen Sie die Verbindung von IT und OT auf die Agenda des C-Levels.“ Ausgewachsene Transformationsprogramme sollten erst ausgearbeitet werden, nachdem erste Erfahrungen gesammelt wurden. Zudem sei es wichtig, IoT-Strategien immer gemeinsam mit der Kultur im Unternehmen zu betrachten und entsprechende Change-Initiativen zu starten. Dabei helfe es, Erfolge zu feiern und die Verschmelzung von IT und OT als Voraussetzung für zukünftiges Wachstum klar zu kommunizieren.
*Jens Dose ist Redakteur des CIO Magazins. Neben den Kernthemen rund um CIOs und ihre Projekte beschäftigt er sich auch mit der Rolle des CISO und dessen Aufgabengebiet.
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