Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, weite Bereiche der Arbeitswelt zu verändern. Ob positiv oder negativ – dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. [...]
Der Boom um ChatGPT und Co. weckt bei den einen Begehrlichkeiten, bei den anderen dominieren die Ängste. Wie könnte künstliche Intelligenz (KI) meinen Job verändern? Und wird sie ihn gar überflüssig machen? Das sind die bangen Fragen, die sich viele Arbeitnehmer stellen. Eine allgemeingültige Antwort darauf gibt es (natürlich) nicht, aber eine ganze Reihe von Studien, die zumindest Anhaltspunkte liefern.
Die Analysten von McKinsey & Company haben beispielsweise das Potenzial untersucht, das sich durch den Einsatz von generativer KI (GenAI) ergibt. Damit sind KI-Modelle gemeint, die neue Inhalte generieren können (siehe Kasten).
Die These: GenAI-Technologien wie ChatGPT oder DALL-E können theoretisch weltweit einen jährlichen Produktivitätszuwachs von 2,6 bis 4,4 Billionen US-Dollar ermöglichen. Im Vergleich zu bisherigen Ausprägungen von künstlicher Intelligenz und Analytik, etwa Machine Learning und Deep Learning, würde dies eine zusätzliche Steigerung um 10 bis 40 Prozent bedeuten.
Kundenservice, Marketing, Vertrieb, Software-Entwicklung und Forschung
Die tatsächlichen Auswirkungen könnten sogar höher ausfallen, würde GenAI in Software wie Textverarbeitungsprogrammen oder Chatbots integriert, wodurch frei werdende Arbeitszeit für andere Aufgaben genutzt werden kann. Etwa 75 Prozent des geschätzten Werts wird GenAI laut den Analysten in den Bereichen Kundenservice, Marketing und Vertrieb, Software-Entwicklung sowie Forschung und Entwicklung schaffen – und damit in stark wissens- und personalbasierten Bereichen.
Wenig überraschend ist ein weiteres Ergebnis der Studie: Die aktuelle Entwicklung von GenAI wird die Veränderungen in der Arbeitswelt beschleunigen. Die Technologie hat das Potenzial, Arbeitsschritte zu automatisieren, Menschen von Routinearbeiten zu entlasten und so neue Freiräume für kreative Arbeit und Innovation zu schaffen. Damit könnte auch das insgesamt verlangsamte Produktivitätswachstum der letzten Jahrzehnte ausgeglichen werden.
Die Analysten gehen also von durchweg positiven Effekten aus – doch es gibt auch andere Stimmen. Ende März sorgte beispielsweise eine Prognose der Investmentbank Goldman Sachs für Aufsehen, wonach weltweit rund 300 Millionen Arbeitsplätze durch KI-gestützte Automatisierung überflüssig werden könnten. Der ChatGPT-Entwickler OpenAI wiederum spekulierte vor Kurzem, dass KI bei etwa einem Fünftel aller US-Jobs bis zur Hälfte der auszuübenden Tätigkeiten übernehmen könnte.
Ein Blick zurück
Aber was stimmt denn nun? Vielleicht lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit, KI ist ja keineswegs neu – schon seit Jahrzehnten wird daran geforscht und entwickelt. Und von Beginn an wurde hitzig darüber diskutiert, ob künstliche Intelligenz nun ein Jobkiller oder Jobmotor sei.
Die letzte grosse KI-Welle, die in den 2010er-Jahren für Aufsehen sorgte, war die um die Datenverarbeitungstechnologie «Deep Learning». Dies ist ein Teilbereich der künstlichen Intelligenz, bei dem Computer mithilfe neuronaler Netzwerke lernen, Muster in Daten zu erkennen und Aufgaben zu erledigen, ohne spezifische Regeln zu erhalten.
Dies ermöglicht Computern, Dinge zu verstehen und zu lernen, ähnlich wie Menschen es tun. Dabei durchforsten Algorithmen grosse Datenbestände und identifizieren dabei für den Menschen verborgene Bezüge zwischen Daten oder Sachverhalten.
Vor Kurzem hat nun das National Bureau of Economic Research (NBER) analysiert, welche Folgen der Siegeszug von Deep Learning für die Beschäftigung in den Unternehmen einer Reihe europäischer Staaten zwischen 2011 und 2019 hatte.
Dazu verglichen die Analysten Arbeits- und Kompetenzprofile zahlreicher Berufsgruppen mit den Leistungsmerkmalen von damals neu nutzbaren KI-Algorithmen. Im Anschluss untersuchten sie die tatsächliche Zu- oder Abnahme von Beschäftigung in verschiedenen Branchen und Berufsfeldern, in denen Deep Learning eingesetzt wurde.
Das Ergebnis überrascht – und es könnte so manchen Bedenkenträger besänftigen. In Branchen, in denen der Einsatz von KI tendenziell die größten Auswirkungen haben könnte, also vor allem bei höher qualifizierten Bürotätigkeiten, war kein Verlust von Arbeitsplätzen erkennbar. Im untersuchten Zeitraum wuchs die Zahl der dort Beschäftigten sogar noch leicht an, um rund 5 Prozent.
Aber es gab innerhalb dieser Berufsgruppe eine Verschiebung zu höher qualifiziertem Personal, weil analytische Routinearbeiten eher automatisiert werden können. Die Arbeit wurde also um Routineaufgaben entlastet. Auswirkungen auf weniger qualifizierte Arbeitskräfte, so die NBER-Analyse, waren ebenfalls kaum erkennbar.
Doch sind diese Ergebnisse nun auch auf GenAI übertragbar? Dazu wollen sich die Forscher nicht konkret äußern. Sicher ist nur: Auch mit GenAI wird sich die Arbeitswelt massiv verändern. Wie, wird sich aber noch zeigen.
Hintergrund: Das ist generative KI
Generative KI (engl. kurz GenAI) bezieht sich auf KI-Modelle und Algorithmen, die in der Lage sind, neue Inhalte zu generieren, die den Eigenschaften oder dem Stil der Trainingsdaten ähneln. Diese Art von KI-System kann eigenständig neue Texte, Bilder, Musik, Videos oder andere kreative Inhalte erstellen, ohne auf vorab vorhandene Beispiele oder Vorlagen beschränkt zu sein.
Ein bekanntes Beispiel für generative KI sind sogenannte Generative Adversarial Networks (GANs). GANs bestehen aus zwei Hauptkomponenten: dem Generator und dem Diskriminator. Der Generator erzeugt neue Daten, während der Diskriminator versucht, zwischen den generierten Daten und echten Daten zu unterscheiden. Die beiden Komponenten werden gleichzeitig trainiert, sodass der Generator ständig optimiert wird, um realistischere Daten zu erzeugen, und der Diskriminator immer besser darin wird, zwischen echt und generiert zu unterscheiden.
Generative KI bietet Möglichkeiten zur kreativen Erzeugung neuer Inhalte und wird sowohl in der Unterhaltungsindustrie als auch in der Forschung und anderen Bereichen der KI-Anwendung eingesetzt.
*Waltraud Ritzer ist bei Telecom Handel für die Rubriken Business Solutions und Betrieb & Praxis verantwortlich. Ihre Schwerpunkte sind Telekommunikation, IT und E-Commerce. Die Bandbreite reicht dabei von modernen Kommunikationsplattformen wie Unified Communications und Collaboration (UCC) bis hin zu Lösungen aus der Cloud. Sie schreibt zudem für die Schwesterpublikationen Internet World Business sowie Com.
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