Mit vorhandenen Daten neue Business-Modelle schaffen? Das Beispiel Smart Airport zeigt, wie mit IoT und Digitalisierung neue Geschäftsmodelle entstehen können - entscheidend ist lediglich die zündende Idee. [...]
Das letzte Meeting wurde überzogen. Ihr Flieger geht in einer Stunde und Sie wissen noch nicht, wie lange Sie durch die Sicherheitskontrolle brauchen, wie weit Sie von dort aus zum Gate laufen müssen oder wo Sie am besten parken. Hier kommt Ihnen die Flughafen-App zur Hilfe: Sie erhalten per Push-Mitteilung das Angebot, einen Parkservice in Anspruch zu nehmen und werden direkt zum entsprechenden Abgabeort am Flughafen navigiert. Dort geben Sie Ihren Wagen bei einem Flughafenmitarbeiter ab und erfahren von der App, welche Sicherheitskontrolle am günstigsten zu Ihrem Abflug-Gate liegt und wie lange die Abfertigung dort aktuell dauert. Anschließend informiert die Anwendung Sie automatisch, dass sich Ihr Boarding um 15 Minuten verzögert und Zeit für einen Kaffee bleibt. Und für den bekommen Sie in der App sogar einen Rabatt-Gutschein.
Weniger Stress, zufriedene Kunden
Das klingt nach Zukunftsmusik? Ja, noch – aber nicht mehr lange. Am Flughafen Köln/Bonn sollen erste Services dieser Art in diesem Frühjahr Wirklichkeit werden. Das Pilotprojekt beweist: Eine erfolgreiche Digitalisierung muss keine komplizierte Wissenschaft sein. Der Mehrwert entsteht dadurch, dass vorhandene IoT-Technologien sinnvoll miteinander verknüpft werden. Aus Big Data wird so Smart Data, zum Wohle der „Passenger Experience“.
Damit ist die Nutzererfahrung eines Fluggastes gemeint, die seine Zufriedenheit und emotionale Bindung an den Flughafen und die Airline beeinflusst. Ziel ist es, dem Fluggast sämtliche Stressfaktoren zu nehmen und ihm den Aufenthalt am Airport so angenehm wie möglich zu gestalten. Das bringt nicht nur dem Fluggast Vorteile, sondern auch den Flughafenbetreibern. Denn bei weltweit täglich 16 Millionen Fluggästen und einem jährlichen Wachstum von mehr als sechs Prozent liegt hier enormes Potenzial, zusätzliche Umsätze zu generieren – und der Wettbewerb ist groß. Erlöse aus dem Nicht-Flug-Geschäft werden für Flughafenbetreiber daher immer wichtiger. Beispiel Köln/Bonn: Hier hat der Umsatz aus Non-Aviation-Services von 2014 bis 2015 um 17 Prozent auf 104 Millionen Euro zugelegt und macht damit bereits mehr als ein Drittel der Gesamteinnahmen aus. Die Flughafen-App fördert diesen Umsatz, denn die zusätzlichen Informationen und Leistungen sorgen für zufriedenere Kunden. Und zufriedenere Kunden sind kaufbereiter und kommen gerne wieder.
Das Passenger Experience Management am Flughafen baut auf einer Datenbank auf: Die sogenannte „Airport Operational Database“ enthält alle aktuellen Informationen zu den zentralen Abläufen am Flughafen – wie etwa die Anzahl der Flieger auf dem Vorfeld, den Beginn des Boardings, das Be- und Entladen oder Tankvorgänge. Mit Hilfe dieser Daten wird schon seit Jahren der komplette Flughafen gemanagt. Neu ist nun, dass diese wertvollen Prozessdetails auch genutzt werden, um Passagieren ihren Aufenthalt am Flughafen noch angenehmer zu gestalten. Dazu müssen die Nutzer nur eins tun: die Flughafen-App öffnen, den eigenen Flug heraussuchen und „Subscribe to flight“ auswählen. Daraufhin rechnet das System aus, welche zeitkritischen Punkte der Passagier ab diesem Zeitpunkt durchläuft, bis er in den Flieger steigt. Der Fluggast kann sofort sehen, bis wann er einchecken muss, bis wann er das Gepäck aufgeben kann und wann er bei der Sicherheitskontrolle sein muss.
Das geschieht nicht statisch, sondern dynamisch: das System erkennt, wenn sich das Smartphone mit der geöffneten App in der der Nähe eines sogenannten Beacons befindet. Diese Bluetooth-Sender sind an strategischen Orten des Flughafens verteilt. Empfängt das Handy das Beacon-Signal, meldet es sich beim System. Die Lösung berechnet die Restzeit bis zum Boarding automatisch immer wieder neu. Das hilft gleichzeitig, die Flughafenabläufe effizienter zu gestalten. Denn wenn der Flughafenbetreiber weiß, wann die Passagiere ankommen und wo sie sich gerade aufhalten, kann er seine Kapazitäten besser planen und Passagierströme effizienter steuern. Das spart Zeit und Geld.
Umsatz mit Fast Lanes
Sobald sich ein Detail im Reiseplan ändert, erhält der Nutzer eine Benachrichtigung. Ein Ampelsystem macht die aktuelle Situation zusätzlich optisch deutlich: Bei „grün“ ist alles entspannt, wird die Reisekette „gelb“ ist Eile angesagt. Bei „rot“ droht der Passagier, seinen Flug zu verpassen. Damit dies nicht geschieht, bietet die App automatisch an, den Fast Lane Access dazu zu buchen: Dieser kostenpflichtige Service gibt dem Reisenden die Möglichkeit, lange Warteschlangen zu umgehen. Der Reisende wählt einfach den angebotenen Coupon in der App aus, scannt sein Smartphone an einem Terminal, bestätigt den Kauf mit seiner Kreditkarte und ist für die bevorzugte Abfertigung registriert.
Jeder Passagier bekommt zu jeder Zeit genau die Informationen, die er gerade braucht. Aber wie ist es in einem solchen System um den Datenschutz bestellt? Die Datenspeicherung und -verarbeitung erfolgt in der Cloud. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der betreffende Passagier etwas kaufen oder eine Serviceoption buchen möchte, bleibt er vollkommen anonym. Die gesamte Lösung beruht auf reiner Gerätekommunikation auf Basis der ausgewählten Flugdaten. Mithilfe dieser Information kann die Anwendung alle beschriebenen Services bereitstellen, ohne wissen zu müssen, wer die Person ist. Durch die Auswahl des Fluges identifiziert sich der Nutzer nicht automatisch als Fluggast. Erst wenn eine Identifikation wirklich notwendig wird – beispielsweise bei der Buchung von Zusatzleistungen, die mit einer Kreditkarte bezahlt werden müssen – erfolgt die Angabe von persönlichen Daten.
Doch damit nicht genug, noch viele weitere Anwendungen sind denkbar: Apps können etwa die Parkplatzsuche unterstützen oder Fluggästen dabei helfen, ihren Wagen nach der Reise wiederzufinden. Es gibt sogar schon technische Lösungen, mit welchen die Nutzer bereits bei der Einfahrt ins Parkhaus einen Aufzug rufen können. Um Reisenden mit Gepäck entgegenzukommen stehen Bildschirme bereit, die die App erkennen und beim Näherkommen den eigenen Flug auf dem Bildschirm farblich hervorheben. Der Passagier muss dafür nicht einmal sein Smartphone aus der Hosentasche nehmen. Mit Big Data Analytics wäre es sogar denkbar, dass alle Informationen und Angebote für den Passagier automatisch aus allen gesammelten Daten generiert werden und sich dynamisch anpassen. So könnte das System aufgrund der vorhandenen Daten dem Nutzer nicht nur mitteilen, wie lange die Sicherheitskontrolle aktuell dauert, sondern auch wie viel Zeit sie in einer Stunde in Anspruch nehmen wird, wenn er voraussichtlich dort eintrifft.
Zusammenarbeit führt alle ans Ziel
Um dem Passagier das bestmögliche Reiseerlebnis zu bieten und die bereits vorhandenen Technologien praktisch umzusetzen, sollten alle Beteiligten der Reisekette, wie Reiseanbieter, Flughafenbetreiber und Airlines, zusammenarbeiten. Nur so wird es gelingen, den richtigen Kontakt zum Passagier aufzubauen und ihn dazu zu motivieren, eine entsprechende App und die damit verbundenen Angebote zu nutzen. Solche Vorschläge könnte etwa die Airline schon bei der Ticketbuchung platzieren, um sich als Serviceanbieter zu präsentieren. Vorstellbar wäre beispielsweise eine gemeinsame Plattform, auf der alle Beteiligten ihre Angebote einstellen können, die dann zum jeweils richtigen Zeitpunkt durch die Plattform angeboten werden. Nicht nur Flugreisende können sich also auf eine entspannte Zukunft freuen, denn der Einsatz der Passenger-Experience-Lösung wäre beispielsweise auch im Bahnverkehr denkbar.
*Stefan Bucher ist operativer Leiter der IT Division bei T-Systems.
Be the first to comment