Das Standing der IT verbessern und Digitalisierung gemeinsam mit dem Vorstand vorantreiben: Wie Bernd Rattey das bei der DB Fernverkehr AG geschafft hat, berichtet der CIO auf den Hamburger IT-Strategietagen. [...]
„Als ich 2016 meine Stelle bei der Bahn antrat, hatte die IT einen schwierigen Stand,“ erinnert sich Bernd Rattey, CIO der DB Fernverkehr AG. Mitarbeiter anderer Abteilungen nahmen sie als fünftes Rad am Wagen wahr. Die IT selbst fühlte sich nicht wertgeschätzt: Der Vorstand wüsste nicht, was sie leisten könnten. Das wollte der IT-Chef ändern.
Der CIO muss einbezogen werden
Zwar existierte ein IT-Management-Gremium, das wurde aber hauptsächlich genutzt, um IT-Themen zu kommunizieren. Anstelle der Verantwortlichen nahmen deren Stellvertreter daran teil. So verlor das Gremium an Relevanz. Teilweise standen IT-Themen in Vorstandssitzungen zur Diskussion, von denen der IT-Chef zuvor noch nichts gehört hatte. Wichtige Entscheidungen wurden also außerhalb des CIO-Bereichs getroffen.
Als ersten Schritt veranlasste Rattey, dass er bei jedem IT-Thema auf der Agenda mit eingebunden wurde. So erfuhr die IT früher von anstehenden Entscheidungen und war von Anfang an eingebunden.
Die zweite Maßnahme war die Initiative „Idea2Project“. Ähnlich einer Sprechstunde beim Arzt können Business-Verantwortliche ohne vorherige Vereinbarung zur kommen und ein Problem schildern. Anschließend wird gemeinsam überlegt, ob es dafür bereits eine IT-Lösung gibt. Ist keine vorhanden, diskutieren die Parteien, ob eine gekauft oder selbst entwickelt werden kann.
„Durch diesen Feldversuch haben wir in kürzester Zeit 160 Themen aus dem Business ohne etablierte Lösungen identifiziert,“ sagt Rattey. Die Zusammenarbeit brachte die Geschäftsbereiche und die IT näher zusammen. Zudem gewann der CIO Einblicke, wie die Fachabteilungen arbeiten.
Drei Säulen der CIO-Organisation
Um die zu einem kompetenten Partner im Unternehmen zu machen, arbeitete das Team um Rattey ein Leitbild der CIO-Organisation aus. Innerhalb von sechs Wochen wurden drei Kernbereiche definiert:
- Operative IT-Exzellenz: Dies ist das wichtigste Thema, ohne das der Rest nicht funktioniert. Dabei geht es um IT-Management auf dem Niveau von Industriestandards. Interne und externe IT-Partner gilt es professionell zu steuern. Benötigte Plattformen und Services müssen aktiv bereitgestellt werden.
- Business-IT-Fusion: In diesem Punkt geht es um Kundenorientierung. Die IT soll in fachlichen Domänen denken, um besser mit den Fachabteilungen zusammenzuarbeiten. Es gilt, für dezentral verantwortete IT zentrale Steuerungsfunktionen zu definieren. Standardisierte IT-Systeme sollen dabei unterstützen, Geschäftsprozesse zu vereinheitlichen.
- Motor der Digitalisierung: Um Innovation im Unternehmen voranzutreiben, treibt die IT die Wertschöpfung aus voran. Sie unterstützt Digitalisierungsideen, erkennt innovative Technologien und macht sie konzernweit nutzbar.
Diese Grundsätze stimmte Rattey mit jedem Vorstand ab. Sie definieren das neue Aufgabengebiet der IT und die Stellenbeschreibung des CIO.
Das Leitbild und die Erfahrungen der „Idea2Project“-Initiative gaben das Ziel vor, wie die IT zukünftig arbeiten wollte. Um das in die Tat umzusetzen fehlten allerdings Personal und Ressourcen. Das Budget dafür fand Rattey in den bestehenden Kosten: „Über eine Recherche in unserem SAP-System fand ich heraus, dass wir viel Geld für Berater ausgeben,“ so der CIO. Die Hälfte davon sollte in den Aufbau der IT-Organisation fließen – mit dem Versprechen, dass die IT damit besser arbeiten werde.
Die Fachbereichsleiter überzeugte Rattey in zwei Workshops von dem Vorhaben. Zudem sicherte er sich den Rückhalt des Vorstands. Um zu verhindern, dass die Abteilungen weiterhin selbstständig Geld für Berater ausgeben, wurde das IT-Budget zentralisiert.
Der CIO als Coach
Für den Vorstand der DB Fernverkehr AG sei Digitalisierung ein zentrales Thema, so Rattey. Es fehlte aber an dem nötigen Know-how. Also suchte das Board nach einem Coach, der ihnen vermittelt, wie IT dazu beiträgt. Der CIO bot sich selbst an: „Ich bin ja bereits da und verstehe, was wir in der IT tun,“ berichtet der Manager. Zudem galt es, im Vorstand ein Verständnis zu entwickeln, was professionelles IT-Management bedeutet.
Diese beiden Punkte bündelte der IT-Chef in einem Termin. Einmal im Monat trifft sich der Vorstand mit dem CIO für drei Stunden. In diesem „Digital Board“ gehe es zwar auch um Wirkmechanismen und Budgets der IT, aber vorranging sei die Struktur der Digitalisierung des Unternehmens.
IT-Vollmacht und Vorstandsveto
Das Board fungiert als Entscheidungsgremium für IT- und Digitalisierungsprojekte. Es treibt die digitale Roadmap voran und stellt die strategische Ausrichtung sicher. Der erhält eine bereichsübergreifende Sicht, die ihm als zentrale IT-Instanz bei der Steuerung unterstützt.
Rattey und die IT-Teams entscheiden jedoch selbstständig über IT-Projekte. Das Board hat ein nachträgliches Veto-Recht. Das sei schneller und kostengünstiger als klassische Freigabeprozesse. Rattey: „Sollte ein Projekt nach vier Wochen durch ein Veto abgebrochen werden, ist das immer noch billiger als die Wartezeit durch eine Abstimmung im Vorfeld.“ Das Konzept scheint aufzugehen: Innerhalb von drei Jahren habe das Board noch nie Widerspruch eingelegt.
Emotion ist wichtig
Das Board spricht in den Meetings über klassische Punkte wie IT-Budget und IT-Sicherheit oder die Priorität von IT-Projekten. Rattey will die Vorstände darüber hinaus aber auch emotional für seine Themen interessieren.
Dazu hat sich der CIO Unterstützung aus den Fachbereichen geholt: Ein Kollege aus der Marketing-Abteilung ist Co-Vorsitzender des Boards. Er bringt einerseits IT-fremde Sichtweisen in die Meetings ein. Andererseits unterstützt er Rattey bei der passenden Kommunikation.
Auch thematisch lockt der IT-Chef den Vorstand aus der Reserve. Nach den oben genannten Pflichtthemen vertieft Rattey ausgewählte IT-Projekte und stellt sie zur Diskussion. Der letzte Punkt auf der Agenda lautet „Lage der digitalen Nation“. Da spricht der CIO Themen an, bei denen er selbst noch unsicher ist, ob sie für das Unternehmen wichtig werden. Dazu tauscht sich das Board aus und klärt, wo die digitale Reise zukünftig generell hingehen soll.
Faktoren für den Erfolg
In den Meetings werden schnell Meinungen ausgetauscht und Entscheidungen getroffen. Sind sich und Vorstand uneins, lassen sich Prioritäten rasch anpassen. Das habe sich nicht zuletzt an der Corona-Krise gezeigt: „Als die Pandemie kam, konnten wir schnell umschalten und den neuen Umständen entgegensteuern,“ so Rattey.
Alle Beteiligten haben denselben Informationsstand zum IT-Portfolio und alle im Zusammenhang mit der IT getroffenen Entscheidungen. Darüber hinaus veröffentlicht das Board das Protokoll und die Unterlagen jedes Meetings. Innerhalb von 24 Stunden erhalten die ersten drei Führungsebenen des Unternehmens die Informationen.
Darauf aufbauend wissen alle Ressorts, welche IT-Projekte priorisiert werden. Das schaffe Rattey zufolge Akzeptanz. Zudem würden Synergie-Effekte und Abhängigkeiten im Unternehmen aufgedeckt. Des Weiteren sei sichergestellt, dass die Themen relevant für den gesamten Betrieb sind. Vom Vorstand bis zu den Teams wüssten alle, woran gerade gearbeitet wird. So können beispielsweise Probleme bei den Projekten aufgezeigt und rasch Lösungen gefunden werden.
*Jens Dose ist Redakteur des CIO Magazins. Neben den Kernthemen rund um CIOs und ihre Projekte beschäftigt er sich auch mit der Rolle des CISO und dessen Aufgabengebiet.
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