So retten Sie Ihre Projekte nach COVID-19

Projekte, die aufgrund der Corona-Pandemie in den Hintergrund gedrängt wurden, sollten einem Projektreview unterzogen werden. Welche Schritte dann zu einer möglichen Wiederbelebung nötig sind, zeigt dieser Ratgeber. [...]

Um ein in Schieflage geratenes Projekt zu retten, muss es von allen Beteiligten als solches erkannt und auch benannt werden (c) pixabay.com

Das letzte Jahr war in vielen Unternehmen durch den Umgang mit der Corona-Krise geprägt. Große Teile der Belegschaft wurden sofern möglich ins Home-Office geschickt. Task Forces auf allen Ebenen sorgten dafür, dass der operative Geschäftsbetrieb nicht gefährdet ist. Projekte zur Veränderung und Transformation, sofern diese keinen direkten Corona-Bezug hatten und nicht eh schon „eingefroren“ wurden, traten in den Hintergrund. Für einige Projekte hat das katastrophale Folgen: Denn nach der Corona-Krise ist vor der Projekt-Krise (oder man steckt schon mittendrin).

Schieflage im Projekt erkennen

Die erste Hürde, über die gesprungen werden muss, ist die Feststellung und das Eingeständnis, dass ein Projekt überhaupt in Schieflage geraten ist. Gerade durch das dezentrale Arbeiten im Home-Office ist dies oft schon eine Herausforderung. In vielen Projekten herrscht die Angst vor „rot“ vor. Projektverantwortliche möchten dem Management zeigen, dass Sie ein Projekt „im Griff haben“. Deshalb werden in Statusberichten sehr häufig anstatt „roter“ Ampeln gelbe oder sogar grüne Ampelfarben gezeigt. Die Deadline für die Abgabe oder Produktivsetzung von Software liegt schließlich noch in weiter Ferne. Und so lange das Budget nicht aufgebraucht ist, besteht weiter Gestaltungsmöglichkeit. Am besten trifft es die Aussage eine Projektleiters, dessen Projekt in vielen Facetten komplett an die Wand gefahren ist: „Die Ampel ist eigentlich nicht gelb sondern dunkelgelb“.

Je schlimmer die Situation desto mehr wird versucht, unter den Teppich zu kehren. Damit wird die Hürde zu „roten Ampeln“ immer höher und Meilensteine werden regelmäßig weiter verschoben, um vermeintlich genug Zeit zu gewinnen, die Probleme zu lösen. Leider fließt bald mehr Zeit in Entschuldigungen und Vertuschung als in die Lösungen der sich immer weiter auftürmenden Probleme.

Ein derartiges, sich immer weiter verzögerndes IT-Projekt mit grünen Ampeln kann ganz leicht vom Top-Management falsch interpretiert werden: Das Projektteam ist im Perfektionismus verfangen und traut sich mit dem vermeintlich guten Produkt nicht an den Markt. In bester Absicht „hilft“ die Geschäftsleitung nun, in dem sie einen zügigen Go Live erzwingt.

Obwohl das Risiko und auch das ungefähre Ausmaß der aus dem Go Live folgenden Katastrophe absehbar ist, wagt das Projektteam nicht zu widersprechen, denn die ehemals kleine Notlüge ist inzwischen zu groß. In derartigen Konfliktsituationen ist es ein normaler Reflex, Probleme zu verdrängen. „Es wird schon gut gehen“ wird zum Mantra und der Vogel Strauß zum heimlichen Projekt-Maskottchen.

Projektkrisen erfolgreich meistern

In vielen Fällen kommt es aber gar nicht erst zum Go Live. Stattdessen „dümpelte“ das Projekt in den Sphären der CoronaPandemie vor sich hin oder wird mit unklarem Zielerreichungsstand gestoppt. Das Motto „Arzt, hilf Dir selbst“ funktioniert hier nicht in der Regel nicht mehr – es entsteht ein Bedarf nach objektiver Betrachtung der Situation durch unabhängige Dritte. Sanierungswürdigkeit, Sanierungsfähigkeit sowie ggf. erforderliche Veränderungen unter Berücksichtigung der spezifischen Ursachen müssen eingeschätzt werden. Dabei geht es nicht darum, jemanden den „Schwarzen Peter“ zuzuschieben, sondern einen für alle Beteiligten Parteien vertretbaren Weg aus der Situation zu finden.

Für den Fall, dass das Projekt grundsätzlich sanierungswürdig und die mit der Umsetzung verbundenen Ziele nach wie vor angestrebt werden, ist es wichtig hierbei den Blick nach vorne zu richten und den Turnaround hinzubekommen. Jedoch sollte man als Basis für eine Turnaround-Strategie mit Handlungsoptionen trotzdem auch verstehen, was die eigentlichen Ursachen der Symptome sind. Sonst ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass nach dem Neuaufsatz gleich der Wurm bereits im Apfel ist. Auf Basis der Erkenntnisse sind inhaltliche und strategische Handlungsoptionen entlang der kurz- und mittelfristigen Ziele zu erarbeiten und zu bewerten. Für einen Rettungsschirm als Ergebnis eines Reviews empfiehlt sich hierbei ein Vorgehen in vier Schritten:

1. Datensammlung und Dokumentenanalyse

Für eine erste Bestandsaufnahme, müssen sämtliche, während der Projektlaufzeit entstandenen Dokumente gesammelt bereit gestellt werden. Hierzu zählen insbesondere Dokumente die die Projektgovernance, Scope und Planung, ggf. bereits diskutierte Lösungsansätze sowie die Entwicklung des Projekts dokumentieren (Statusberichte, Lenkungsausschussunterlagen, Entscheidungslogs, Eskalationen). Die Beurteilung, was wichtig ist und was nicht, sollte der mit dem Review beauftragten Partei überlassen werden – ansonsten läuft man Gefahr durch einen BIAS die Objektivität einzuschränken.

2. Tiefeninterviews, Software Process Analytics und Ursachenanalyse

Im nächsten Schritt empfiehlt es sich persönliche und vertrauliche Interviews mit Teilnehmern auf allen Hierarchiestufen der beteiligten Parteien zu führen um weitere Informationen zu sammeln. Hierbei sollte kein zu enges Korsett hinsichtlich der Inhalte vorgegeben sein, sondern vielmehr die Interviewees erst einmal frei von ihren Eindrücken berichten können. Hierdurch geben die Befragten häufig Informationen, die mit gezielten Fragen nicht ans Tageslicht gekommen wären.

Erst im zweiten Schritt ist es dann sinnvoll, sich die bereits erarbeiteten Ergebnisse anzusehen. Dies kann auch eine Analyse der bislange entwickelten Software umfassen, um die Situation zu objektivieren und das „Licht“ einzuschalten. Digitale Analyseplattformen bilden hierfür die Basis. Zumindest sollten z.B. mit Hilfe von Process Mining die zu Grunde liegenen Softwareprozesse analysiert werden. Qualitative Informationen aus Interviews sowie quantitative Einblicke aus der Ergebnisbetrachtung liefern den Input für die Identifikation der Ursachen, die zur aktuellen Situation geführt haben.

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3. Bewertung und Ableitung von Handlungsoptionen

Für das erfahrene Auge eines professionellen Projekt-Reviewers und auf Basis eines die Analyse leitenden Project Review Frameworks ergibt sich aus den erhobenen Informationen ein Muster der Ursachen für die Krise und es kann definiert werden an welchen Stellen es aus Projektmanagement-Sicht anzusetzen gilt. Typischerweise lassen sich diese den folgenden Themenbereichen zuordnen:

  • Kommunikation und Stakeholdermanagement
  • Projektziele, -scope und -anforderungen
  • Projektmanagement und -vorgehen
  • Projektteam, -ressourcen und -organisation
  • Projektergebnistypen (Anforderungen, Architektur, Code, Testfälle, …)

Die inhaltlichen Handlungsoptionen ergeben sich in den meisten Fällen auch bereits aus den erhobenen Informationen, denn der grundsätzliche Raum an Lösungsmöglichkeiten ist in der Regel begrenzt und wurde oft bereits eingehend diskutiert. Oftmals fehlt es hier lediglich an einer objektiven und strukturierten Gegenüberstellung zur Bewertung und an einem Ausblick hinsichtlich zeitlicher Planung und Kosten der einzelnen Optionen.

4. Entwicklung einer Turnaround-Strategie

Liegen die grundsätzlichen inhaltlichen Handlungsoptionen vor, wird im ausgewählten Teilnehmerkreis und moderiert von „außen“ entschieden welcher inhaltliche Weg einzuschlagen ist. Hierbei kann es je nach Situation sinnvoll sein, eine vorgelagerte Machbarkeitsstudie zu einer oder auch zu mehreren Optionen durchzuführen, bevor man wieder mit voller Kraft gen Umsetzung und Golive strebt. Hinsichtlich der Ursachenanalyse aus Projektmanagement-Sicht sind in den meisten Fällen personelle Entscheidungen zu treffen.

Vor diesem Hintergrund und auf Basis einer gesunden Fehlerkultur sollten entsprechende Maßnahmen diskret und nicht in der „großen Runde“ diskutiert und umgesetzt werden. Denn offenes „Bashing“ ist nicht nur unschön für die Betroffenen Personen, sondern hilft auch nicht dabei das bereits vorhandene Problem im Nachhinein zu beheben – vielmehr schafft es eine Kultur der Angst bei den verbliebenen oder den neuen Projektmitgliedern und motiviert neu aufkommende Probleme nach Neuaufsatz gleich wieder unter den Teppich zu kehren.

Guter Rat ist nicht teuer

Objektivität und Erfahrung sind wesentliche Erfolgsfaktoren für einen Projektreview denn kritische Projektverläufe lassen die beteiligten Personen nicht unberührt – oftmals herrschen auch gegenteilige Meinungen oder Agenden vor. Daher lohnt es sich das Review durch eine neutrale, möglichst unbeteiligte Partei durchführen zu lassen. Neben einem neutralen Blick zählt hier die Erfahrung in der Sanierung von IT-basierten Projekten. Im Vergleich mit den Kosten des Projekts lohnt sich die Investition. Übrigens: wer proaktiv vorbauen möchten, der lässt gerade bei größeren Projekten und auch bei grünen Ampeln den Zustand durch periodische „Health Checks“ überprüfen. Auf diese Weise kann einer Krise frühzeitig vorgebeugt werden.

*Oliver Laitenberger leitet bei der Managementberatung Horn & Company das Kompetenzzentrum Digitalisierung und Technologie.


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