So schaffen Unternehmen den Turnaround in der Digitalisierung

Glaubt man Wirtschaftsforschern, ist ein Krisenstatus geradezu der Normalfall in den Unternehmen. Hier lesen Sie, wie Sie Krisen in der aktuellen digitalen Transformationsphase bewältigen und Mitarbeiter und Kunden dabei mitnehmen. [...]

Nach Angaben des Wirtschaftsforschers Christoph Lymbersky geraten innerhalb von zehn Jahren 80 Prozent aller Firmen einmal in eine Krise, alle 20 Jahre sogar in eine, die die Existenz der Firma massiv bedroht. Und wir können angesichts der Herausforderungen der digitalen Transformation und der so genannten VUCA-Welt wohl mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass sich die Lage nicht eben beruhigt, sondern dass in der Realität jeden Tag mehr Firmen um ihr Weiterbestehen kämpfen. Manche weithin erkennbar – manche unterhalb des Radars der Wirtschaftspresse oder des lokalen Marktes.
Einige von ihnen wie Osram, Ströer und in der Vergangenheit auch spektakuläre Fälle des Tech- und IT-Sektors wie Dell, Apple, Nokia und Sony schaffen den Turnaround und sind danach stärker als zuvor. Sie haben den Weckruf gehört, sie haben die Zeichen der Zeit erkannt und gelernt. Gelernt, dass man bei den ersten Krisenanzeichen reagieren und sein Geschäftsmodell den volatilen Märkten und disruptiven Geschäftsmodellen, die die eigene Branche durcheinanderwirbeln, anpassen muss.
Mehr als nur „bessere Zahlen“
Doch das ist nur die quasi „technische“ Seite, die den Weg von „Zero to Hero“, von der Null zurück zum Held ebnet. Mindestens ebenso wichtig wie Zahlen und Marktfaktoren sind Menschen und organisationale Faktoren. Denn kein Turnaround gelingt, wenn Kunden und Lieferanten, wenn Führungskräfte und eigene Mitarbeiter kein Vertrauen und Engagement mehr ins Unternehmen setzen.
Wir können viel über die Faktoren eines gelungenen Turnarounds lernen, wenn wir uns anschauen, warum Firmen wirklich in die Krise schlittern. Nach einer Untersuchung aus 2014 liegen „menschliche Faktoren“ wie mangelnde interne Kommunikation, Fehleinschätzungen von Marktbewegungen, schlechte oder schlecht ausgebildete Führungskräfte oder überbordende interne Bürokratie weit vor den nachrangigen – vielleicht auch in Teilen daraus erwachsenden – monetären Faktoren wie mangelnde Liquidität, schlechte Neukundenakquise und nicht ausreichender Cash Flow. Noch eindeutiger das Ergebnis, wenn man aktuelle Studien heranzieht, die sich auf die internen Gründe für ein Scheitern fokussieren. Veraltete Strategien, mangelhafte Adaption an Marktentwicklungen, Visionslosigkeit des Managements gerade auch angesichts der Herausforderungen der digitalen Transformation und mangelnde interne Kommunikation stehen ganz weit oben auf dem Holzhaufen des Scheiterns.
Was macht die Turnaround-Kultur aus?
Sehr oft hapert es ann einer Turnaround-Kultur. Denn selbst nach der Sicherung der Liquidität sehen sich dann vom Überlebenskampf ausgelutschte Führungskräfte einer manchmal über Jahre getäuschten und häufig enttäuschten Anspruchshaltung wütender oder zukunftsängstlicher Mitarbeiter gegenüber. Oder alte und neue Führungskräfte beharken sich in einem endlosen Machtkrieg gegenseitig im Kampf um Schuldzuweisungen oder künftige Pfründe. Ganz abgesehen davon, dass sowohl der Kundenrückzug als auch der Brain Drain gerade der besten Mitarbeiter, die vor allem in diesen Zeiten des Fachkräftemangels überall unterkommen, weitergeht. Ein erfolgreiches Maßnahmenbündel muss also meiner Auffassung nach zusätzlich folgende Punkte umfassen:
1. Das Ausrufen einer erkennbaren Turnaround-Kultur im Unternehmen
Ein Aufbruch zum Besseren braucht immer auch eine Zäsur, einen Startpunkt. Und der braucht klare Sprache, Leitlinien und Symbolik. Kein Weiterwurschteln wie bisher und Überspielen, sondern ein offenes Bekenntnis von der Unternehmensführung über alle Führungsebenen zu einer neuen Turnaround-Kultur – die aber auch definiert sein muss. Definiert über beispielsweise einen neuen Wertekatalog, eine präzise definierte neue Unternehmenspositionierung mit einer klar beschriebenen Vision und einer mitreißenden Mission, eine neue Kommunikationskultur, klare Leitlinien für das „Anders-Machen“ und Wieder-Motivation-Aufbauen.
2. Die Etablierung von Vertrauensmanagern
Ja, natürlich sollten die Führungskräfte immer auch vertrauenswürdige Ratgeber und Instanzen für die Mitarbeiter sein. Aber sind wir ehrlich: das sind sie sehr oft nicht. Und schon gerade gar nicht in Zeiten heftiger Krisen. Oft gehören in solchen Situationen Schwiegen und Verschweigen, Überspielen, Tarnen und Täuschen zum Verhaltensrepertoire leitender Mitarbeiter ihren Teams gegenüber.
Die Etablierung von extra ausgewiesenen und ausgebildeten Vertrauensmanagern oder Mediatoren mit besonderer Vertraulichkeitsfunktion kann helfen. Hier können Mitarbeiter nicht nur von ihren Sorgen berichten, sondern finden auch eine Anlaufstelle für ihre neuen Ideen und Wünsche finden. Das kann dazu führen, dass sie neuen Sinn in ihrer Arbeit finden und ihre Zugehörigkeit zum Unternehmen entwickeln. Ja, das ist aufwändig, aber Vertrauen ist nunmal die Basis jeden verantwortlichen menschlichen Handels. Und nur aus der Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls kann wieder Stolz auf die Firma und die eigene Arbeit erwachsen.
3. Neue interne Kommunikation
Ein Turnaround wird nur gelingen, wenn die Führung nicht nur Dinge anders regelt, sondern auch weiß, wie sie kommunikativ das Vertrauen und Commitment der Mitarbeiter zurückgewinnen kann. Technisch war dies nie einfacher als heute, wo wir auf ständig neue zeitsynchrone und zeitasynchrone Kommunikationsmedien zurückgreifen können.
Ob firmeninterne Messenger- oder Chatsysteme oder What´s App-Gruppen – eine neue Kommunikationskultur sollte möglichst schnell auch durch neue Kommunikationsmedien unterstützt werden, um den alten Flurfunk, der in Krisenzeiten meist nur miese Nachrichten breittrat, zu ersetzen. Aber es braucht eben auch besseres und schnelleres Feedback und viel mehr Wertschätzung. Sprache formt immer auch rückwirkend die Gedanken – eine positive Turnaround-Kultur muss mit einer positiven Sprachgebung, mit positiven Wordings, mit positiver Wertschätzung verbunden sein.
Eine neue Kommunikationskultur wird im Turnaround auch vieles aushalten müssen. Ruppige, manchmal sogar hinterhältige Umgangsformen, die sich in Krisenzeiten eingeschlichen haben. Hahnenkämpfe in Managementboards, in denen sich alte und neue Führungskräfte beharken, um die Oberhand zu gewinnen, bisherige Herangehensweisen zu rechtfertigen oder aufrecht zu erhalten, neue Marktentwicklungen zerstreiten oder Machtposition auskämpfen.
Da hilft oft nur eines: Keiner verlässt den Tisch, bis alle Streitpunkte und verborgenen Kampfhandlungen offengelegt und mindestens mit einer Lösungsabsicht versehen sind.
4. Proaktive Kommunikation nach außen
Was innen gilt, gilt auch für die Kommunikation nach außen. Die Vertrauenssicherung von Lieferanten und Kunden hat höchste Priorität. Kundenservice wird im Turnaround zum Vertrauensmanagement – jeder Mitarbeiter mit Kundenkontakt muss zum positiven Herold, zum Multiplikator der neuen Umbruch-Kultur werden. Das geht nicht nur mit motivierenden Reden – dazu gehört Schulung und Weiterbildung. Was ebenso für den proaktiven Umgang mit bisherigen Fehlern oder Krisenfaktoren und den „neuen guten Vorsätzen“ gilt, denn nur eine proaktive Kommunikationsstrategie kann ein beschädigtes Markenimage im Markt und bei der Presse sowie den Kunden und Lieferanten reparieren. Ansprechen, zugeben, Neuerungen offensiv nach außen tragen. Das im gelebten Vorbild beweisen, gerade im Umgang mit kritischer Presse oder erzürnten Altkunden. Walk your Talk!

* Thorsten Beckmann ist Geschäftsführer der internationalen Kommunikationsagentur achtung! GmbH.

Mehr Artikel

News

Bad Bots werden immer menschenähnlicher

Bei Bad Bots handelt es sich um automatisierte Softwareprogramme, die für die Durchführung von Online-Aktivitäten im großen Maßstab entwickelt werden. Bad Bots sind für entsprechend schädliche Online-Aktivitäten konzipiert und können gegen viele verschiedene Ziele eingesetzt werden, darunter Websites, Server, APIs und andere Endpunkte. […]

Frauen berichten vielfach, dass ihre Schmerzen manchmal jahrelang nicht ernst genommen oder belächelt wurden. Künftig sollen Schmerzen gendersensibel in 3D visualisiert werden (c) mit KI generiert/DALL-E
News

Schmerzforschung und Gendermedizin

Im Projekt „Embodied Perceptions“ unter Leitung des AIT Center for Technology Experience wird das Thema Schmerzen ganzheitlich und gendersensibel betrachtet: Das Projektteam forscht zu Möglichkeiten, subjektives Schmerzempfinden über 3D-Avatare zu visualisieren. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*