Welche Eigenschaften müssen Manager mitbringen, die den digitalen Wandel in ihrem Unternehmen erfolgreich gestalten wollen? Mit dieser Frage haben sich die Analysten von Gartner beschäftigt. [...]
Wenn Führungskräfte die digitale Transformation angehen, dann reden sie beispielsweise über neue Technologien, zukünftige Produkte oder Prozessinnovationen. Und sie fragen sich, wie sie ihre Mitarbeiter dafür begeistern können.
Relativ selten wird darüber gesprochen, dass für die Transformation Führungskräfte mit einem ganz bestimmten Profil erforderlich sind. Die Gartner-Analystinnen Kasey Panetta und Mary Mesaglio haben sich darüber Gedanken gemacht und ermittelt, wie Digital Leader heute ticken sollten.
Neophilie ist Trumpf
Neophilie ist ein Begriff für Menschen, die sich zu Neuem hingezogen fühlen. Sie sind immer bereit, neue Situationen zu erkunden und Chancen zu ergreifen. Und sie sind neugierig auf neue Ideen. Eine neophile Neigung ist in der digitalen Welt wichtig, weil nirgendwo die Veränderungen so schnell und dramatisch vor sich gehen wie hier. Neophil zu sein hat gewiss Nachteile, aber für eine Führungsrolle im rasanten digitalen Wandel ist diese Charaktereigenschaft überaus wichtig.
Erfinden meets adaptieren
Digital Leader wägen genau ab, in welchen Bereichen sie Dinge neu erfinden wollen und wo es ausreicht, von anderen zu kopieren. Wenn sie ihren Job gut machen, werden sie häufig Bewährtes kopieren und/oder adaptieren. Neues werden sie nur dort entwickeln, wo es wirklich wettbewerbskritisch ist und das Unternehmen definitiv besser sein will als die Konkurrenz.
Doch Vorsicht: Eigenentwicklungen sind nicht immer die Basis für ein gutes Kundenerlebnis. Außerdem ist es weder effektiv noch effizient, sich in zu vielen Innovationsanstrengungen zu verheddern. Führungskräfte müssen sich also darüber im Klaren sein, dass Selbermachen oft nur die zweitbeste Lösung ist.
Jenseits des Tellerrands
Wer sich als Digital Leader mit seinem Unternehmen beschäftigt, Innovationsmöglichkeiten in Erwägung zieht oder das eigene Geschäftsmodell unter die Lupe nimmt, läuft oft Gefahr, alles durch die Brille der eigenen Branche zu sehen. Die Verantwortlichen von Internet-Firmen wie Facebook, Amazon oder Google tragen solchen Ballast nicht mit sich herum. Sie denken vor allem über ihre Kunden nach: Was könnte diese interessieren oder voranbringen? Eine starre Branchenfokussierung kann aus solch einem Blickwinkel hinderlich sein.
Nehmen wir die Banken: Wer heute „Finanzdienstleistungen“ erbringt, wird sich erstmal darauf konzentrieren, was er schnell anbieten kann, nicht darauf, was den Kunden fehlen oder ihnen weiterhelfen könnte. Die besten Innovationschancen liegen oft zwischen den Welten – darum schießen Fintechs, Insuretechs, Legaltechs und viele andere Startups wie Pilze aus dem Boden. Eine Branchenperspektive allein reicht nicht mehr aus, interessante Angebote zu kreieren. Digital Leader richten den Bick daher auf mögliche Kundenbedürfnisse.
Innovation ist mehr als Kreativität
Viele Menschen halten Innovation und Kreativität für gleichbedeutend. Wenn man Menschen mit großartigen Ideen hat, dann kommen die Innovationen automatisch, so der Irrglaube. In Wirklichkeit ist Kreativität nur eine von mehreren Verhaltensweisen, die nötig sind, um Innovationen in marktreife Produkte umzusetzen. Kreativität bringt die Ideen hervor, aber jemand muss die Erfinder fordern und unbequeme Fragen stellen: Warum sollten wir das tun? Ist es wirklich nützlich? Würde uns das jemand abkaufen?
Außerdem braucht es die Zusammenarbeit verschiedener Unternehmensbereiche und Disziplinen. Ein weiterer Aspekt ist die professionelle Umsetzung, also buchstäblich der Bau der neuen Lösung. Und schließlich braucht es Menschen, die sie verkaufen können. Um wirklich innovativ zu sein und etwas auf den Markt zu bringen, benötigen Unternehmen all diese Verhaltensweisen, nicht nur Kreativität. Es ist wichtig, die Teamstrukturen im Auge zu haben und sicherzustellen, dass diese Fähigkeiten in einem ausgewogenen Umfang vorhanden sind.
IQ, EQ und AQ
Der Intelligenzquotient (IQ) und der Emotionale Quotient (EQ) sind gut bekannt, der Adversity Quotient (AQ) weniger. Er misst die menschliche Belastbarkeit und die Fähigkeit, sich schnell von einem Rückschlag zu erholen. Für die Digital Leadership ist das wichtig, denn digital zu transformieren heißt, sich angreifbar zu machen. Oft gelingt Fortschritt nur, wenn die Arbeitswelt der Mitarbeiter in Frage gestellt, Regeln gebrochen oder scheinbar gültige Annahmen umgestoßen werden.
Hochleistungssportler werden oft gecoacht, das Positive und das Negative zu visualisieren: „Wie würde es sich anfühlen, in eine Goldmedaille zu beißen? Aber auch: Was wären die Dinge, die andere einsetzen könnten, um mich aus dem Spiel zu nehmen? Was, wenn die Mannschaft plötzlich auseinanderfiele oder ich vor dem Wettkampf einen Splitter in den Fuß bekäme?“ Es geht darum, sich alle potenziellen Hindernisse vorzustellen und zu trainieren, diese zu überwinden – was deio Belastbarkeit deutlich erhöhen dürfte.
Gartners Empfehung für Digital Leader: ihren AQ zu verbessern, indem sie auch mal Unerwartetes zulassen und verschiedene Herausforderungen und Veränderungen durchspielen und erkunden. Menschen bräuchten Werkzeuge für den Umgang mit Hindernissen, damit sie nicht völlig aus der Bahn geworfen würden, wenn sich die Dinge nicht nach Plan entwickelten.
Kein digitaler Blindflug
Niemand digitalisiert, um digital zu sein – so wie niemand transformiert, um zu transformieren. Für die Verantwortlichen ist es wichtig, den Grund für die Digitalisierungsmaßnahmen glasklar zu definieren und anderen zu präsentieren. Es geht darum, sehr klare und zum Teil hart erkämpfte Ziele zu erreichen. Das geht nur mit einer ausreichend flankierenden Kommunikation.
Beispiel Lebensmitteleinkauf: Viele Menschen lehnen hier Online-Shopping ab, weil sie gerne in den Regalen stöbern und das Haptische lieben. Oder sie finden es lästig, sich mit etlichen Klicks einen Warenkorb zusammenzustellen. Manche möchten auch im Laden überrascht werden von etwas, an das sie vorher nicht gedacht haben – also einen Impulskauf tätigen.
Wer hier blind digitalisiert, riskiert, dass sich Kunden abwenden. Deshalb gilt es, genau über die Kundenstruktur und die Geschäftsziele nachzudenken. Geht es um mehr Umsatz oder höhere Gewinnspannen? Sollen die Kunden ein besseres Einkaufserlebnis haben oder sich sicherer fühlen? Erst wenn diese Dinge geklärt sind, kann Digitaltechnik das Mittel sein, ein Geschäftsziel zu erreichen. Digital selbst ist kein Ziel.
Technik, die begeistert
Digitale Führungskräfte müssen viel über Technologie wissen, um beurteilen zu können, wo deren Chancen liegen. Das ist beispielsweise wichtig, wenn verstanden werden soll, was Künstliche Intelligenz (KI), Blockchain oder Augmented Reality für die eigene Organisation bewirken können. Es sind jedoch nicht nur Führungskräfte, die sich für Technologie begeistern müssen, sondern auch ihre Mitarbeiter.
Fragen Sie doch einmal die Kollegen, womit sie sich in ihrer Freizeit beschäftigen. Vielleicht werden Sie überrascht und sie betätigen sich als Drohnenpiloten, Raspberry-Pi-Bastler oder Technologie-Blogger. Das zu wissen kann nützlich werden, wenn Sie optimale Teams für digitale Initiativen zusammenstellen wollen.
*Heinrich Vaske ist Editorial Director von COMPUTERWOCHE und CIO. Seine wichtigste Aufgabe ist die inhaltliche Ausrichtung beider Medienmarken – im Web und in den Print-Titeln. Vaske verantwortet außerdem inhaltlich die Sonderpublikationen, Social-Web-Engagements und Mobile-Produkte und moderiert Veranstaltungen.
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